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Wo der Champagner in der früheren Arrestzelle lagert
Münsingen. Egal, ob man im ersten, im zweiten Stockwerk oder im Dachgeschoss unterwegs ist, überall knarrt der Fußboden. Seit 27 Jahren amtiert Bürgermeister Mike Münzing dort. Sein Arbeitszimmer mit sechs Fenstern und einem großen Tisch für die wöchentliche Amtsleiterbesprechung befindet sich am südwestlichen Eck des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes. Von wo aus der 56-Jährige einen herrlichen Blick auf den Rathausplatz, den neuen Matthias-Erzberger-Platz, hat. Die Bronzefigur des 1921 ermordeten Finanzministers der Weimarer Republik, 1875 im Münsinger Stadtteil Buttenhausen geboren, sitzt auf einer Bank vor dem Rathaus.
Tuffstein im Erdgeschoss, Sichtfachwerk darüber
Das zwischen 1935 und 1937 erbaute Haus ist ein typischer Behördenbau aus der nationalsozialistischen Zeit, erklärt der Rathaus-Chef. Tuffstein im Erdgeschoss und die Ausführung der Obergeschosse in Sichtfachwerk sollte die Verbundenheit zur Heimat und zur Handwerkskunst ausdrücken. An den Pfosten der südlichen Eingangslaube finden sich Wappen des Landes Württemberg-Hohenzollern und der Stadt Münsingen . Eine Rathausuhr auf dem Dach schlägt zu jeder Viertelstunde. Vor Münzings Büro steht ein Schrank aus den 1930er-Jahren, auf dessen Türen sich alle Handwerker mit ihrem Wappen und dem Namen des jeweiligen Obermeisters samt Mitgliederzahl verewigt haben.
Bei der Eröffnung beherbergte das Gebäude im östlichen Teil die Stadtverwaltung, im westlichen Teil den Kreisverband sowie im Kellergeschoss Luftschutzräume. Nach dem Zweiten Weltkrieg residierte dort die französische Militärregierung, welche die Soldatensiedlung und den Truppenübungsplatz unter sich hatte. Anfang der 1950er-Jahre übernahm der damalige Landkreis Münsingen schrittweise das Gebäude. Die Auflösung des Kreises 1973 ermöglichte die Rückkehr der Stadtverwaltung ins „Neue Rathaus“, die im „Alten Rathaus“, aus dem 16. Jahrhundert untergebracht war. „Besucher müssen immer schmunzeln, wenn ich ihnen erzähle, dass sich die Verwaltung im,Neuen Rathaus‘ befindet“, berichtet Münzing.
Heute sind dort rund 70 Mitarbeitende in 45 Büros auf vier Etagen beschäftigt. In den ehemaligen Luftschutzräumen lagern Archivalien und Unterlagen der Registratur. Akten stapeln sich in der einstigen Hausmeisterwohnung im Dachgeschoss, die vor zehn Jahren aufgegeben wurde. Beim Rundgang durch das Haus zeigt Münzing auch zwei alte Arrestzellen im Keller. Dort werden keine Bürger eingesperrt, lacht der Bürgermeister der rund 15 000 Einwohner zählenden Kommune mit ihren 14 Stadtteilen. Dort lagert das örtliche Partnerschaftskomitee Champagner-Kisten. Münsingen pflegt eine Partnerschaft mit dem französischen Beaupréau.
Auch wenn das „Neue Rathaus“ bereits neun Jahrzehnte auf dem Buckel hat, ist im Inneren des Gebäudes die Zeit nicht stehengeblieben. Vor zehn Jahren hat die Verwaltung, nach einem dreijährigen Genehmigungsverfahren, viel Geld für die Barrierefreiheit des Rathauses ausgegeben. Das war nicht einfach, erinnert sich Münzing. Der Durchbruch der Rathaus-Decken für den Aufzug vom Keller bis hinauf in die zweite Etage „war sehr anspruchsvoll“. Außerdem mussten aus Brandschutzgründen die beiden Treppenhäuser durch Glaselemente getrennt werden.
Stolz erzählt der Rathauschef, dass das Gebäude inzwischen EMAS-zertifiziert sei, das heißt, die Verwaltung leiste einen wirksamen Beitrag zum Umweltschutz, spare Kosten ein und zeige gesellschaftliche Verantwortung. Deshalb hat auch kein Zimmer eine Klimaanlage. Die Mitarbeitenden wissen, wann sie die Fenster öffnen und wann sie sie wieder schließen müssen, sagt Münzing.
Lieblingsort ist nicht der Schaumweinkeller
Fragt man den Bürgermeister, wo sein Lieblingsplatz im Verwaltungsgebäude ist, wird man verwundert sein. Nein, es ist nicht die ehemalige Arrestzelle, wo der edle Schaumwein lagert, sondern sein Vorzimmer. Dort hält er ab und zu ein Schwätzchen mit seinen beiden Mitarbeiterinnen.