Themen des Artikels
Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen
Illenau in Achern: Von der Heilanstalt zum Verwaltungssitz
ACHERN. Schon von Weitem ist es gut sichtbar: Ein langer, gerader Weg führt den Besucher das letzte Stück Straße zum Rathaus in Achern, bevor es nur zu Fuß weitergeht. Es liegt nicht inmitten der Innenstadt wie in so vielen Kommunen, sondern am Stadtrand. Der riesige, symmetrisch angelegte Bau aus der Mitte des 19. Jahrhunderts war bis zum Zweiten Weltkrieg eine Heil- und Pflegeanstalt für mehr als 400 Menschen auf einer Fläche von knapp 40 Hektar.
In zwei Gebäuden befindet sich heute die Stadtverwaltung. Sie ist aber nur ein Baustein auf dem Gelände, das mit den heutigen Nutzungen auch historischen Bezug aufnimmt.
Umbau der Illenau beim Rathaus ist immer noch nicht abgeschlossen
Als der frisch gewählte Acherner Oberbürgermeister Klaus Muttach (CDU) im Jahr 2007 seine Pläne für die künftige Nutzung der Illenau konkretisierte, war das nicht unumstritten. „Wahnwitzige Ideen“, erinnert er sich zurück, seien noch die harmloseren Äußerungen gewesen. Und selbst Muttach gesteht sich ein: „Einen Bürgerentscheid hätten wir damals wohl verloren.“ Doch mit dem, was bis heute rund um das Rathaus entstanden ist, macht er allen Kritikern heute wohl das Leben schwer. Und: Abgeschlossen ist der Umbau auf dem Illenau-Areal immer noch nicht. Aktuell wird der zentrale Bau zu einem neuen Veranstaltungssaal für Achern und zur Musikschule umgebaut.
Im linken und rechten Flügel der ehemaligen Heilanstalt sind heute Rathaus und Technisches Rathaus untergebracht. Der Bau besticht vor allem durch lange Flure: Sie sind rund 150 Meter lang. „Auf diesen Fluren hat sich früher das Leben der kranken Menschen abgespielt“, berichtet Muttach. Behutsam wurde der Umbau im Innern vorgenommen. Im Eingangsbereich sind beispielsweise Originalfliesen erhalten, die ursprünglich in der Heilanstalt eingebaut worden waren. An anderer Stelle auf dem Gelände hat man ebenfalls den Ursprungszustand wiederhergestellt. Ein Brunnen wurde wieder ausgelagert und in Betrieb genommen, die Gärten existieren wieder nach den alten Plänen, das gilt auch für die Bäume, die schon in XL-Größe wieder eingepflanzt wurden.
Achern liegt am Fuß des Achertals und nah dem Mummelsee
Das Mittelzentrum Achern ist mit rund 26 000 Einwohnern die viertgrößte Stadt im Ortenaukreis und seit 1974 auch Große Kreisstadt. Sie liegt am Fuße des Achertals. Über den Touristenort Sasbachwalden gelangt man schnell zur Schwarzwaldhochstraße und zum Mummelsee. Achern hat acht Ortsteile, die über einen Ortschaftsrat verfügen. Die Eingemeindungen erfolgten im Zug der Gemeindereform in den 1970er-Jahren. Der Gemeinderat umfasst insgesamt inklusive Oberbürgermeister Klaus Muttach (CDU) 27 Personen. Muttach wurde im Jahr 2015 im Amt des Oberbürgermeisters bestätigt.
Die Geschichte des Areals gehört wohl in Baden-Württemberg zu den Musterbeispielen, wie mit historischer Substanz, vor allem aber auch mit einer schwierigen Geschichte umgegangen werden kann.
Die Nationalsozialisten schlossen 1940 die Heilanstalt. Zuvor waren 135 Patienten, die vom geschassten Klinikdirektor nicht mehr hatten entlassen werden können, von den Nazis verschleppt und im Rahmen des Euthanasieprogramms ermordet worden. Heute befindet sich in einem Trakt der Illenau direkt hinter dem Rathaus ein inklusives Bistro, in dem Menschen mit Einschränkungen arbeiten.
Die Nationalsozialisten nutzten die nun geräumte Anstalt als Erziehungsanstalt für Mädchen und später als Reichsschule für Volksdeutsche. Fast vier Jahre lang lebten hier mehrere Hundert Mädchen aus Südtirol für eine „Umerziehung“. Die Eltern der Mädchen hatten 1940 für Deutschland optiert. Eine eindrucksvolle und umfangreiche Ausstellung zeigt die wechselvolle Geschichte der Anstalt. Nach dem Zweiten Weltkrieg besetzte das französische Militär die Anlage, nach dem Abzug Mitte der 1990er- Jahre standen die Gebäude zunächst leer.
Bürger nutzen Rathausgang für einen Spaziergang an den Stadtrand
Die Mitarbeitenden sind heute hochzufrieden, in den historischen Illenau-Räumen arbeiten zu können. „Als 2009 die Mitarbeiter des Technischen Rathauses zuerst einzogen in ihre neuen Büros, hatten sie noch die Haltung, sie ‚müssen‘ aus der Innenstadt hierher umziehen“, erinnert sich Muttach. Denn die ersten Mitarbeitenden zogen quasi in ein riesiges Baustellenareal ein. Die restliche Verwaltung habe dann schon gefragt: „Wann dürfen wir denn umziehen?“.
Zu beobachten ist im Umfeld des Rathauses, dass viele Bürger aller Generationen den Gang zum Rathaus am Stadtrand für einen Spaziergang nutzen. Wird die Acherner Illenau in ihrem zentralen Bau in einigen Jahren fertig umgebaut sein, dann werden Veranstaltungssaal und Musikschule zusätzliche Magnete sein, hierher zu pilgern.
Quelle/Autor: Marcus Dischinger