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Zoff über Wahlrecht landet beim Verfassungsgericht
Stuttgart. FDP und Innenministerium streiten vor dem Verfassungsgerichtshof über das Wahlrecht des Landes. Konkret geht es um die Zulassung eines Volksbegehrens gegen die Aufblähung des Landtags, die das Innenministerium den Liberalen verweigert. Dagegen zog die Partei vor Gericht. Im Kern geht es darum, wie viele Abgeordnete im Parlament sitzen und wie viele Politiker wie viele Bürger vertreten sollen.
Hintergrund: Im Jahr 2022 wurde in Baden-Württemberg ein Zwei-Stimmen-Wahlrecht eingeführt. Mit der Erststimme wird der Wahlkreiskandidat oder die Wahlkreiskandidatin direkt gewählt. Die Zweitstimme geht an eine Partei, die dafür eine Landesliste aufstellt. Die Sitzverteilung bestimmt sich nach der Zweitstimme.
Überhangmandate kommen zustande, wenn eine Partei mehr Direktmandate erringt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zusteht. Dadurch entstehende Ungleichgewichte werden wieder durch Ausgleichsmandate kompensiert – was noch mehr Abgeordnete ins Parlament bringt.
Drohender „XXL-Landtag“?
Die FDP fürchtet eine Aufblähung des Parlaments, die mit Kosten verbunden ist. Laut Wahlgesetz muss der Landtag mindestens 120 Sitze haben. Aufgrund von Überhang- und Ausgleichsmandaten hat er derzeit 154 Abgeordnete. Die Liberalen rechnen mit bald mehr als 200 Parlamentarier im Plenum.
Deshalb hatte die FDP ein Volksbegehren mit dem Titel „XXL-Landtag verhindern“ initiiert und dafür mehr als 10.000 Unterschriften beim Innenministerium eingereicht. Inhaltlicher Kern: Die Anzahl der Wahlkreise im Südwesten soll von 70 auf 38 reduziert werden. Das würde auch die Wahrscheinlichkeit von Überhang- und Ausgleichsmandaten drastisch reduzieren, so die Liberalen.
Aus Sicht des Ministeriums verfassungswidrig
Das Innenministerium jedoch lehnte den Antrag auf Zulassung ab – die geplante Gesetzesänderung sei verfassungswidrig. Nach dem Entwurf der FDP habe die Verhältniswahl deutlich mehr Gewicht als die Persönlichkeitswahl. Je weniger Wahlkreise es gibt, desto kleiner sei auch der Anteil der Abgeordneten, die ein Direktmandat erhielten – die also direkt aus einem Wahlkreis in den Landtag gewählt würden. Grüne, CDU und SPD hatten mit der Bürgernähe argumentiert.
Konkret geht es bei dem Streit um den Artikel 28 der Landesverfassung. Dort steht: „Die Abgeordneten werden nach einem Verfahren gewählt, das die Persönlichkeitswahl mit den Grundsätzen der Verhältniswahl verbindet.“ An der Auslegung dieses Satzes scheiden sich nun die Geister.
Wie viel Spielraum lässt die Verfassung?
Für die FDP ist in dem Passus keine konkrete Gewichtung enthalten, es obliege dem Gesetzgeber, die Austarierung zwischen Persönlichkeits- und Verhältniswahl zu gestalten. „Der Landtag hat kein Korsett an, sondern eine geräumige Jacke“, sagte dazu Verwaltungsrechtler Christofer Lenz, der die FDP in dem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof vertritt.
Aus Sicht von Anwalt Winfried Porsch, der das Ministerium vertritt, würde das Gesetz aber den Gestaltungsspielraum überschreiten. Aber die FDP, so Porsch, gewinne ja auch kein Direktmandat.
Die FDP wiederum vermutet politische Motive hinter der Verhinderung ihres Volksbegehrens. Man habe das Volksbegehren zweckorientiert ausgelegt, um der Bevölkerung eine Entscheidung zu verwehren, weil man Sorge habe, die Bevölkerung könne aufseiten der FDP sein, so Anwalt Lenz.
Entscheidung lässt auf sich warten
Der Verfassungsgerichtshof muss in den kommenden Wochen über die Zulässigkeit des Volksbegehrens entscheiden. Der Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Malte Graßhof, stellte klar, dass das dauern werde. Eine Entscheidung noch dieses Jahr sei unrealistisch. Dann wird aber – rechnet man alle nötigen Fristen mit ein – auch sehr unwahrscheinlich, dass im Falle eines FDP-Erfolgs ein Volksbegehren noch Auswirkungen haben wird auf die nächste Landtagswahl im Frühjahr 2026.
FDP-Fraktionschef und Parteivize Hans-Ulrich Rülke betonte, dass man am Entwurf nichts ändern wolle. Man habe eigentlich für die Wahl 2026 ein anderes Wahlrecht angestrebt, aber wenn das nicht klappe, dann eben für die Landtagswahl 2031.
Wie funktioniert ein Volksbegehren?
Mit einem Volksbegehren können Bürgerinnen und Bürger eigene Gesetzesentwürfe ins Parlament einbringen und eine Abstimmung erzwingen. Für die Zulassung werden zunächst 10.000 Unterschriften von wahlberechtigten Baden-Württembergern benötigt. Der Antrag wird vom Innenministerium geprüft. Geht er durch, müssen in einem zweiten Schritt innerhalb von sechs Monaten die Unterschriften von zehn Prozent der Wahlberechtigten im Südwesten gesammelt werden – das sind rund 770.000 Menschen. Ist das geschafft, wird der Gesetzentwurf dem Landtag zur Abstimmung vorgelegt. Findet er keine Mehrheit, folgt eine Volksabstimmung.
Weiteres Volksbegehren
Parallel dazu läuft im Land ein weiteres Volksbegehren zur Verkleinerung des Landtags, das nicht nur eine Reduzierung auf 38 Wahlkreise fordert, sondern auch eine Herabsenkung der Mindestgröße auf 68 Mandate – dieses wurde vom Innenministerium zugelassen, da es die Persönlichkeitswahl nicht zu gering gewichte. (dpa/lsw)