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Interview

Netze BW-Chef Jörg Reichert: „Wir haben Bezahlbarkeit und Netzstabilität im Blick“

Seit rund einem halben Jahr leitet Jörg Reichert den Verteilnetzbetreiber Netze BW. Er plant eine Milliardenoffensive in den Netzausbau und rückt die Bezahlbarkeit der Energiewende und die Netzstabilität mehr in den Mittelpunkt.

Es bleibt eine sehr zentrale Säule unserer Bemühungen, dem Klimawandel entgegenzuwirken, sagt Netze BW Chef Jörg Reichert.

Leif Piechowski)

Staatsanzeiger: Herr Reichert, wie war Ihr Start in den neuen Job?

Jörg Reichert: Ich bin seit 2006 im EnBW-Konzern und habe bereits viele unterschiedliche Stationen durchlaufen dürfen. Netze BW ist der drittgrößte Verteilnetzbetreiber in Deutschland. Ich habe ein Unternehmen vorgefunden, das auf sehr solidem Fundament gebaut ist. Die Mitarbeiterzufriedenheit ist hoch und das Unternehmen ist attraktiv für Fachkräfte. Wir haben seit 2021 rund tausend neue Beschäftigte aufgebaut. Die Werte für die Kundenzufriedenheit sind sehr gut, insbesondere auf der kommunalen Ebene. Das zeigt sich zum Beispiel bei unserem kommunalen Beteiligungsprogramm „EnBW vernetzt“, aber auch in unseren Konzessionsbemühungen und im Dienstleistungsgeschäft.

Mit der Energiewende stehen Sie vor großen Aufgaben. Wie positionieren Sie sich da als Verteilnetzbetreiber?

Es bleibt eine sehr zentrale Säule unserer Bemühungen, dem Klimawandel entgegenzuwirken und die Energiewende im Verteilnetz umzusetzen. Gleichzeitig sind auch weitere Themen wichtiger geworden. Das eine ist die Bezahlbarbarkeit, das andere die Versorgungssicherheit.

Wie wollen Sie den Netzbetrieb günstiger machen?

Wir haben dafür einige operative Hebel, etwa Anlagen standardisiert und modularisiert zu bauen und sie günstiger zu beschaffen. Oder Freileitungen, die günstiger sind als Erdkabel. Wir müssen auch bei der Entwicklung der Netze diskutieren, wie die Kosten für das Zusammenspiel von Erneuerbaren Energien, Netzen und Speichern gesenkt werden können. Hier braucht es eine bessere, abgestimmtere Verzahnung der Sektoren.

Problem ist, die Netze bei fluktuierenden Anteilen erneuerbarer Energien stabil zu halten. Wie lassen sich Erzeugung und Verbrauch besser abstimmen?

Die Frage der Netzstabilität hat deutlich an Bedeutung gewonnen, weil durch die Energiewende das System weniger großer Kraftwerke durch ein System mit einer Vielzahl von kleinen Kraftwerken ersetzt wird. Das wird etwa am Photovoltaik-Zubau deutlich: Wir haben heute zehn Gigawatt an PV in unserem Netz. Mittlerweile liegen uns Anfragen für weitere Netzanschlüsse von insgesamt 16 Gigawatt vor. Damit wächst die Herausforderung, das Netz steuerbar zu halten. Dafür müssen möglichst viele Anlagen ansteuerbar sein.

Sie wollen also Anlagen bei zu viel Strom im Netz abschalten?

Der Gesetzgeber hat erkannt, dass es da Handlungsbedarf gibt. Seit Ende Februar ist das Solarspitzengesetz in Kraft, das noch die Ampelkoalition auf den Weg gebracht hat. Es sieht zwei Dinge vor: Zum einen müssen alle neuen PV-Anlagen bis höchstens 100 Kilowatt, die nicht durch den Netzbetreiber fernsteuerbar sind, eine Wirkleistungsbeschränkung von 60 Prozent haben und die Leistungsschwelle für die Steuerbarkeitspflicht wurden von 25 Kilowatt auf sieben Kilowatt gesenkt. Das soll eine Überlastung der Netze verhindern. Und zweitens müssen PV-Anlagen über eine intelligente Steuereinheit verfügen, damit Netzbetreiber bei einer drohenden Netzüberlastung die Einspeisung drosseln können. Natürlich erfolgen solche Eingriffe durch die Netzbetreiber nur in Extremsituationen, wenn es wirklich erforderlich ist.

Sie haben angekündigt, verteilt über 20 Jahre, einen mittleren zweistelligen Milliardenbetrag investieren zu wollen, unter anderem in die Digitalisierung. Was ist das Ziel?

Wir investieren in drei Bereiche: Einmal in die Digitalisierung der Netze, um die Auslastung mit Sensorik und Aktorik transparent messbar zu machen und daraus abzuleiten, wo wir prioritär ausbauen müssen. Unser zweites Thema ist die Schnittstelle zu den Kunden, etwa Anfragen zum Netzanschluss oder dem Anschluss von PV-Anlagen auf dem Dach. Die können wir heute schon zu 80 Prozent digital bearbeiten. In diesem Bereich geht noch mehr. Und das dritte Thema: Unsere energiewirtschaftliche und netztechnische Prozesswelt wird durch die vielen erneuerbaren Anlagen immer komplexer. Auch da müssen wir mit Hochdruck weiter digitalisieren.

Sie haben ihr Netzgeschäft für die Kommunen geöffnet. Dazu hat die EnBW das Beteiligungsmodell „EnBW vernetzt“ geschaffen. Wie läuft es?

Das Modell betreiben wir seit 2019. Wir konnten damals 214 Gemeinden gewinnen, die sich mit rund 300 Millionen Euro an Netze BW beteiligt haben. Wir haben einen Mindestbetrag von 200 000 Euro festgelegt. Der größte Beteiligungsbetrag liegt um die elf Millionen. Wir haben kürzlich die zweite Beteiligungsrunde aufgelegt. Inzwischen sind es schon rund 220 Kommunen, die sich an der Netze BW beteiligen – also ein Zuwachs, obwohl die Zeiten für die Kommunen deutlich schwieriger geworden sind und die Zeichnungsfrist noch läuft. Für mich ist das ein klarer Vertrauensbeweis der kommunalen Seite.

Welche Vorteile haben diese dadurch?

Die Kommunen sind damit sehr nah an den Entwicklungen der örtlichen Netze dran. Eine Beteiligung bietet Kommunen nicht nur eine angemessene Verzinsung, sondern auch Mitspracherechte.

Was für eine Rendite können die Kommunen denn erwarten?

Bisher 3,6 Prozent. Ab Juli dann für weitere fünf Jahren 4,38 Prozent.

Sie sagen, die Kommunen werden beteiligt. Wie sieht das konkret aus?

Sie stellen einen Geschäftsführer der Beteiligungsgesellschaft und haben auch zwei Aufsichtsratsmandate bei der Netze BW. Auf diese Weise bringen sie ihren Input unmittelbar in unsere Gremien ein. So profitieren beide Seiten. Wir haben außerdem ein EnBW vernetzt-Komitee, das setzt sich zusammen aus 35 Bürgermeistern aus elf Regionen in Baden Württemberg. Zweimal im Jahr gibt es gemeinsame Austauschrunden. Sie erhalten so Informationen aus erster Hand. Und jede Kommune, egal mit welchem Betrag sie beteiligt ist, kann sich in die Diskussion einbringen.

EnBW vernetzt ist ein Ansatz, zusätzliches Kapital zu bekommen, um den riesigen Ausbaubedarf zu bewältigen. Haben Sie noch andere Finanzierungsmodelle im Blick?

Bei EnBW vernetzt steht der Partnerschaftsgedanke an erster Stelle; die zusätzlichen Finanzmittel helfen aber natürlich auch. Insgesamt ruht die Finanzierung im Konzern auf drei Säulen: Erlöse aus dem operativen Geschäft, Zugang zum Kapitalmarkt und eben Beteiligungsmodelle.

Hilft Ihnen die Aussicht auf das große Infrastrukturpaket der designierten Bundesregierung?

Es ist noch nicht genau klar, was da kommt. Für uns als Verteilnetzbetreiber stellt sich vor allem die Frage, unter welchen Bedingungen der weitere Ausbau der Netze erfolgt. Und dafür legt die Bundesnetzagentur im laufenden Jahr den Rahmen neu fest. Es braucht eine, auch im internationalen Vergleich attraktive Verzinsung, um ausreichend Investitionsmittel akquirieren zu können, um den Ausbau zu stemmen. Sonst wird es schwierig, Gelder zu mobilisieren. Ein zweiter Aspekt ist das Thema Bezahlbarkeit der Energiewende. Gelingt es zum Beispiel, die Netzentgelte zu senken? Da kommt das Sondervermögen ins Spiel.

Das Gespräch führte Wolfgang Leja.

Langjährige Erfahrung in der Energiebranche

Seit Dezember 2024 ist Jörg Reichert (48) CEO des Verteilnetzbetreibers Netze BW. Er begann seine Karriere bei der Strategieberatung L.E.K. Consulting, bevor er 2006 zur EnBW wechselte. Dort sammelte er Erfahrungen in den Bereichen Mergers & Acquisitions, Risikomanagement, Energiewirtschaft und Konzerncontrolling. Von 2019 bis 2024 war er Geschäftsführer der Naturenergie Holding AG sowie Vorstand der Tochtergesellschaft Naturenergie Hochrhein AG.

Netze BW-Chef Jörg Reichert (l.) und Staatsanzeiger-Redakteur Wolfgang Leja in der EnBW-City in Stuttgart.

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