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Interview

Drees & Sommer-Vorstand Steffen Szeidl: „Wir brauchen beim Bauen mehr Mut zum Risiko“

Jährlich rund 6500 Projekte setzen die Berater für den Bau- und Immobiliensektor von Drees & Sommer um. Vorstand Steffen Szeidl wirbt für den Gebäudetyp E. Der soll professionellen Bauherren ermöglichen, von gängigen Standards abzuweichen. Mutige Vorreiter eröffne die Idee neue Chancen, um das Bauen kostengünstiger, schneller und innovativer zu machen.

Drees & Sommer-Vorstand Steffen Szeidl macht sich stark für den neuen Gebäudetyp E. Er sei kostengünstiger und man könne schneller bauen.

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Staatsanzeiger: E wie einfach und experimentell. Seit dem Ende der Ampel-Koalition liegt der neue Gebäudetyp E auf Eis. Welche Rolle spielt die Idee für Sie?

Steffen Szeidl: Der Gebäudetyp E könnte schon jetzt von jedem Bauherrn, von jedem Planer ohne Änderungen im Baugesetz oder im BGB angegangen werden. Wir sind schlicht und einfach auf einem Qualitätsniveau angelangt, das nicht mehr bezahlbar ist. Und darauf zu hoffen, dass die Baupreise wieder um 20 Prozent fallen, ist ein Irrtum. Das heißt, wir müssen an Komfortstandards ran, von denen man als Planer ohne Probleme abweichen kann. Dabei herrscht ein Irrglaube, dass solche Themen immer in Berlin entschieden werden. Wenn wir uns das Bau- und Planungsrecht anschauen, geschieht dies weder auf Bundes- noch auf Landesebene, sondern am Schluss entscheiden die Kommunen über einen Bauantrag.

Man könnte also den Gebäudetyp E heute schon realisieren, wenn sich Bauherr, Planer und Bauunternehmen einigen?

Ich bin im Vertragsrecht frei, Vereinbarungen zu treffen. Ich muss natürlich Sicherheitsstandards etwa beim Brandschutz und der Statik einhalten. Aber bei allem anderen kann ich abweichen, insbesondere dann, wenn ein professioneller Bauherr beteiligt ist, der das mit den bauausführenden Firmen vereinbart. Insofern ist heute schon viel möglich.

Skeptiker führen aber die fehlende Rechtssicherheit ins Feld, für den Fall, dass Mängel an Gebäuden auftreten.

Wenn ich vorne in der Planung eines Bauwerks von Standards abweiche, muss ich sicherstellen, dass das auch in der gesamten Kette der Bauausführenden durchgezogen wird. Vertraglich wie versicherungstechnisch. Es reicht heutzutage nicht aus, wenn sich Eigentümer und Bauausführende mündlich einig sind. Hier brauchen wir perspektivisch eine Änderung des BGB, die derzeit auf Eis liegt.

Wenn man mit dem Gebäudetyp E loslegen könnte, weshalb tut man das nicht?

Wir haben da mit unserem Gebäude OWP 12 auf unserem Firmen-Campus in Stuttgart Erfahrungen gesammelt. Hier waren wir Bauherr, Planer und Nutzer in einem, was uns viele Freiheiten gegeben hat. Die Haustechnik wurde hier anders verbaut als üblich. Gewöhnlich wird die Technik geplant und dann kommen die einzelnen Gewerke wie Heizung, Lüftung, Kälte, Sanitär, Elektro auf die Baustelle. Alle arbeiten nebeneinanderher. Wenn dann Probleme auftreten, wird die Baustelle gestoppt. Ein solches Vorgehen ist sehr ineffizient.

Sie sind hier also anders vorgegangen?

Ja, wir haben Module industriell vorfertigen lassen, in denen die gesamte Technik bereits verbaut war. Es war deutlich weniger Aufwand, die Module an die Decke zu montieren. Damit war lediglich 20 Prozent der Zeit auf der Baustelle nötig und das bei höherer Qualität, weil alles unter Idealbedingungen vorgefertigt wurde. Das Gebäude ist seit drei Jahren in Betrieb. Wir haben die Vorgehensweise mittlerweile in vielen anderen Projekten umgesetzt. Dass wir das in einem Prototyp realisiert haben, hilft uns sehr, weil Interessierte sehen können, dass es funktioniert.

Bauherren brauchen also Mut, so etwas umzusetzen?

Ja. Man muss gängige Standards immer wieder hinterfragen. Und man braucht motivierte Leute, die diese neuen Wege auch gehen. Wichtig ist, von Anfang an eng mit Stadtverwaltung und Partnerfirmen zusammenzuarbeiten.

Welche Vorteile sehen Sie im neuen Gebäudetyp E?

Er macht das Bauen flexibler. Damit können wir kostengünstiger und schneller bauen und Gebäude an lokale Gegebenheiten anpassen. Statt starre Bauvorschriften befolgen zu müssen, können Kommunen mit dem Gebäudetyp E etwa Grünflächen an Dächern und Fassaden besser integrieren und sich damit vor Extremwetter wie Hitze und Starkregen schützen. Wir brauchen nur auf Länder wie die Niederlande schauen, wo diese Ideen seit vielen Jahren praktiziert werden. Dort gibt es die Idee eines Innovationsgebäudes, das von den Beteiligten zu Beginn gemeinsam vereinbart wird. Dabei muss man akzeptieren, dass das Gebäude hinterher vielleicht nicht zu hundert Prozent alle Erwartungen erfüllt. Dafür lassen sich aber sehr viele Innovationen umsetzen, die sich dann testen und messen lassen.

Steht bei uns das Risiko zu sehr im Vordergrund, das solch ein Vorgehen verhindert?

Ja. Wir brauchen mehr Offenheit, dass vielleicht das ein oder andere Vorhaben nicht perfekt gelingt. Dafür können wir aber neue Wege beschreiten. Meine Erwartungshaltung wäre nicht, dass jedes Gebäude ein Typ E wird. Es würde reichen, wenn man das Prinzip bei zwei, drei Prozent der Gebäude umsetzen würde. Das sind dann die Vorreiter, die den Weg für effektive Vereinfachungen beim Bauen weisen. Sie könnten neue Standards für die gesamte Branche schaffen. Wenn wir diese neuen Wege gehen, so muss man fairerweise sagen, sollten das eher erfahrene Partner machen, die sich mit dem Planen und Bauen auskennen, die auch bereit sind, gewisse Risiken einzugehen.

Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit Bauherren gemacht? Sind diese bereit, solch neue Wege zu gehen?

Die Frage ist, wie weit geht man, Standards zu hinterfragen. Das hat Grenzen, weil damit Risiken verbunden sind. Es ist ja auch nicht so, dass jetzt in jedem Gebäude alles neu und anders sein muss. Wir brauchen Pioniere, die diese Standards weiterentwickeln. Damit wäre extrem viel für die Branche gewonnen.

Wenn Sie mit diesen Ideen auf öffentliche Bauherren zugehen, sehen Sie bei diesen die Bereitschaft dafür?

Im privaten Bereich, ja. Da ist der Druck bei Investoren bereits sehr hoch, gerade im sozialen, bezahlbaren Wohnungsbau, wo fast gar nichts mehr läuft. Auf Seite der öffentlichen Bauherren ist das deutlich schwieriger, weil da müsste sehr viel mehr geändert werden als nur das Planungs- und Baurecht. Da müsste man auch an die Vergabepraxis ran. Da bin ich dann Realist genug: Das werden wir nicht in naher Zukunft erleben.

Sie müssen also noch viel werben, um Vorreiter in der öffentlichen Verwaltung zu finden, die bereit und mutig sind, so etwas anzugehen?

Ja, absolut. Es gibt auch positive Beispiele. Nehmen Sie Heidelberg oder München, zwei Städte, die das Thema Urban Mining verfolgen. Dort wurde auch überlegt, wie gehen wir neue Arten des Planens und Bauens an? Wie reduzieren wir den Müll, indem wir die Stadt quasi als Rohstofflager betrachten? Es gibt diese Frontrunner. Aber da braucht es dann Leute, die hinstehen und sagen: Ich will solche Themen durchsetzen. Und das löst dann einen Schub aus, weil dann andere folgen.

Der Gebäudetyp E wird meist auf Wohngebäude bezogen. Inwieweit ist er auch für Bürogebäude der öffentlichen Verwaltung oder der Industrie denkbar?

Wir brauchen perspektivisch einen Gebäudetyp E über alle Assetklassen. Aktuell konzentriert man sich auf das Wohnen, weil es politisch eines der Hauptthemen ist, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Ich bin davon überzeugt, dass da viel Musik drin ist. Die Industrie ist hier längst weiter. Sie arbeitet immer wieder mit Prototypen. Dabei werden immer wieder Standards hinterfragt. Somit liegt der Industrie eine Herangehensweise wie beim Gebäudetyp E. Private Bauherren sind daher deutlich offener und sehen auch die Vorteile.

Es braucht also mehr Offenheit?

Ja. Es braucht aber auch mehr Miteinander. Es wird gerne auf der ein oder anderen Seite geschimpft: Ein schwieriges Förderumfeld, Unsicherheiten in der Planung, lange Genehmigungszeiten, die ganzen Baunormen, die geändert werden könnten. Da will ich mich nicht einreihen, denn dann geht hier nichts mehr voran. Jeder hat ein gewisses Aufgabenpaket und Themen, die er beisteuern kann. Und wenn jeder an seinem Paket arbeitet, dann kommen wir beim Gebäudetyp E auch weiter.

Das Gespräch führte Wolfgang Leja

Das Gebäude OWP 12 von Drees & Sommer in Stuttgart diente den Ingenieuren als Experimentierfeld, um innovativ, günstiger und schneller zu bauen.

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