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Wie die Kreislaufwirtschaft am Bau vorankommen kann
Heidelberg/Ostfildern. Wie kann man das Material, das beim Abriss von Gebäuden anfällt, möglichst effizient und umweltfreundlich nutzen? Indem man es möglichst vor Ort für geplante Neubauten wiederverwendet. Urban Mining heißt das Prinzip, das die Stadt Heidelberg umsetzen will. Heidelberg will damit als erste Stadt Europas das Kreislaufwirtschaftsprinzip in die Stadtentwicklung einführen.
Der Kern des Pilotprojekts ist ein digitales Materialkataster von allen Gebäuden in der Stadt. Erfasst werden nicht nur die kommunalen, sondern auch alle sonstigen Gebäude. Für die Bestandserhebung gibt es allerdings keine detaillierten Untersuchungen vor Ort. Die für das Projekt entwickelte Software „Urban Mining Screener“ ermittelt vielmehr aufgrund von Gebäudedaten wie dem Standort, dem Baujahr, dem Gebäudetyp und dem Volumen eine Abschätzung, welche Materialien in welchen Mengen voraussichtlich verbaut wurden.
Software errechnet Materialbestand aus vorhandenen Daten
Für das Konversionsgelände Patrick-Henry-Village, ein ehemaliges Wohnareal der US-Armee, auf dem mehr als 5000 neue Wohnungen entstehen sollen, wurden die Daten bereits erhoben und veröffentlicht. Demnach sind in den 325 bestehenden Häusern eine knappe halbe Million Tonnen Material verbaut. Knapp die Hälfte davon ist nach Angaben der Stadtverwaltung Beton, 20 Prozent sind Mauersteine und fünf Prozent Metalle. In der Abbruch- und Recyclingbranche wird das kommunale Pilotprojekt zwar prinzipiell für gut geheißen, doch dass ein solches Kataster bei konkreten Abbruchvorhaben weiterhilft, wird beim Industrieverband Steine Erden (Iste) Baden-Württemberg, der auch die Baustoffrecycling-Industrie vertritt, bezweifelt. „Ein Abbruchunternehmen würde sich kaum auf ein solches Kataster verlassen“, meint Bernd Susset, der beim Iste unter anderem für den Bereich Kreislaufwirtschaft verantwortlich ist.
Recycling-Wirtschaft fordert Pflicht zur Vorerkundung
Bei größeren Gebäuden werde schon heute in den allermeisten Fällen eine Vorerkundung der Gebäudesubstanz vorgenommen. Dabei werden auch Proben genommen, um zu ermitteln, ob Schadstoffe verbaut wurden. Eine Vorerkundung sei bei größeren Projekten inzwischen meist auch Bestandteil der Ausschreibung. Und für das Abbruch- und Recyclingunternehmen, dient die Vorerkundung neben dem Gesundheits- und Arbeitsschutz für die Mitarbeiter auch dazu, die verwendeten Baumaterialien möglichst detailliert vorab zu erfassen. Denn so lassen sie sich möglichst sortenrein und unbelastet gewinnen. Das ist für die Recyclingbranche sowohl aus ökonomischen wie ökologischen Gründen nützlich.
Für Susset wäre es deshalb vordringlich, eine genaue Analyse der Bausubstanz verbindlich für alle Abbruchvorhaben vorzuschreiben. „Viel wichtiger als ein Kataster wäre es, die Vorerkundung rechtlich zur Pflicht zu machen“, so der Iste-Referent.
Österreich hat Pflicht zur Vorerkundung klar geregelt
In Österreich ist das schon verwirklicht. Dort regelt seit 2016 die Recycling-Baustoffverordnung , dass vor Abbrucharbeiten eine „Schadstoff- und Störstofferkundung“ durchgeführt werden muss, sofern bei dem Vorhaben mehr als 750 Tonnen Bauabfälle anfallen. Durchschnittliche Einfamilienhäuser fallen damit nicht unter diese Rechtsvorschrift, aber die meisten Zweifamilienhäuser und größere Gebäude. Zugleich verpflichtet die Alpenrepublik die Eigentümer größerer Gebäude dazu, im Rahmen der Schadstofferkundung „Bauteile zu dokumentieren, die einer Vorbereitung zur Wiederverwendung zugeführt werden können“.
Deutschland bewegt sich aktuell in dieser Frage in die entgegengesetzte Richtung. Denn der aktuelle Referentenentwurf zur Änderung der Gefahrstoffverordnung aus dem Bundesarbeitsministerium sieht vor, dass Bauherren künftig nicht verpflichtet sind, ihr Gebäude vor einem Abbruch auf Gefahrstoffe untersuchen zu lassen. Der Entwurf sieht laut dem Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung (BVSE) lediglich eine Mitwirkungspflicht des Bauherren „im zumutbaren Umfang“ vor. Das wälze die Gefahrstoff-Problematik einseitig auf die Abbruch- und Recyclingunternehmen ab und gefährde das Recycling von Bau- und Abbruchabfällen, meint BVSE-Geschäftsführer Stefan Schmidmeyer. Denn ohne Vorerkundung könnte der Bauschutt als „gefährlicher Abfall“ eingestuft werden und sei deshalb nicht wiederverwertbar.