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Wenn das Eckige zu einer runden Sache wird
Villingen-Schwenningen. Zielen, den roten Knopf über dem Kopf drücken, das Bein schnellt vor und das Eckige fliegt ins Eckige. Das Eckige? Der eingefleischte Fan weiß längst: Der „Ball“ beim Tipp-Kick ist eckig, damit immer eine Farbe klar anzeigt, wer als nächstes spielen darf. Schon seit 100 Jahren werden mit mit den zwei Figuren wichtige Begegnungen nachgespielt. Und noch immer ist das kleine Unternehmen aus Schwenningen im Besitz der Familie Mieg.
Firmengründung statt Auslandseinsatz
Manch eine Erfolgsgeschichte beginnt damit, dass Pläne nicht aufgehen. Edwin Mieg will 1923 eigentlich weit weg in die Welt hinaus. Er bewirbt sich beim Uhrenhersteller Junghans um die Verkaufsniederlassung in Indien. Doch am Ende bekommt ein anderer Kandidat den Job und der verhinderte Weltenbummler hat Zeit zum Tüfteln in der Schwarzwälder Heimat.
Ein Jahr später entsteht eine Figur, die gegen einen Ball treten kann. Die ersten Kicker sind noch aus Blech und wenig standhaft. Mieg kauft einem anderen schwäbischen Tüftler, Carl Mayer, ein Patent ab. Mit dessen Lösung können die Figuren aus Blei gegossen werden.
Mieg fährt 1926 nach Leipzig zur Spielwarenmesse. Geld für einen Stand ist natürlich keines da. Also baut der Schwarzwälder seine Figuren auf den Treppen am Eingang auf. Schnell dränen sich viele Neugierige um Mieg und seine Spieler. Und die ersten Bestellungen folgen. In Schwenningen entsteht 1938 die erste eigene kleine Fabrik, wo die Figuren nicht mehr aus Blei sondern aus Zink gegossen werden.
Großer Aufschwung durch das „Wunder von Bern“
Der Gründer stirbt 1948 und die beiden Söhne Peter und Hansjörg übernehmen den Betrieb. Der Ältere entwickelt den fallenden Torwart „Toni“, der auf Knopfdruck nach rechts oder nach links hechten kann. Die Spielfelder werden verbessert und es entstehen Tore ebenfalls aus Kunststoff.
Das „Wunder von Bern“ beschert den Miegs den ersten richtigen Aufschwung. Tausende wollen wie Toni Turek halten, wie Helmut Rahn aus dem Hintergrund schießen, und dann wie Reporter Herbert Zimmermann „Tor, Tor, Tor!“ rufen. Deutschland ist Weltmeister und 180 000 Tipp-Kick-Packungen gehen 1954 über die Ladentheken.
Die Gründung der Bundesliga 1963 beschert dem Familienbetrieb zusätzlichen Schub. Jetzt kommen Figuren in Vereinsfarben auf den Markt. Die Miegs gewinnen für 1000 D-Mark einen jungen Spieler, sein Gesicht für die neuen Spielepackungen herzugeben: Gerd Müller. Der „Bomber der Nation“ schießt 1974 das entscheidende Tor im WM-Finale und in Schwenningen werden Figuren in den Farben der verschiedenen Nationalteams produziert.
Gerd Müller 1000 D-Mark unter Vertrag genommen
Doch es geht nicht immer nur bergauf. Der Bundesliga-Skandal in den 1970er-Jahren und „Schmach von Cordoba“ bei der WM 1978 in Argentinien sorgt bei Tipp-Kick zu Absatzrückgängen. In den 1990er-Jahren entdecken Werbeagenturen die Tipp-Kick-Figuren als interessanten Werbeträger. So gibt es Torwand-Schießen mit Seitenbanner des Versicherers Allianz. Gut ein Drittel der Spiele gehen an Geschäftskunden. In diesem Jahr sollen es bis zu 30 000 Packungen werden.
Dieses Geschäft treiben die Cousins Mathias und Jochen Mieg – die dritte Generation der Tipp-Kick-Familie – voran. Sie lagern viele Fertigungsprozesse an Zulieferer aus, um die Nachfrageschwankungen besser beherrschen zu können. Notfalls ist der „kleinste Spielwarenfirma Deutschlands“, wie man sich selbst bezeichnet, aber weiter in der Lage, alle Prozesse weiter in Schwenningen umzusetzen. So werden viele Figuren weiterhin am Stammsitz in Heimarbeit handbemalt. Rund um Großereignissen wie jetzt die EM sind die Malkräfte voll ausgelastet seien. Größere Stückzahlen und komplette Sets lässt Tipp-Kick aber seit Jahren in China produzieren.
Vierte Generation steigt im Sommer ins Unternehmen ein
Seit der WM 2011 sind auch Tipp-Kickerinnen in Sortiment. Inzwischen sind auch eine Flutlichtanlage und auf Knopfdruck jubelnde Zuschauer im Sortiment.
Die kleine Schwarzwälder Kultmarke hat schon manchen übernahmewilligen Konzern angelockt. Doch die Miegs widerstehen beharrlich den Verlockungen des Geldes und wollen den Betrieb in Familienhand behalten. Mit dem 29-Jährigen Leonhard Mieg steht die vierte Generation bereit. Der Betriebswirt wird in diesem Sommer in die Firma einsteigen. „Dass mein Sohn weitermachen will, finde ich klasse. Wir wollen, dass die Firma in der Familie bleibt“, freut sich Mathias Mieg.
Deutsche Meisterschaft zum 100. Firmengeburtstag
Ihr Firmenjubiläum begeht die Tipp-Kick GmbH am Wochenende vor dem WM-Auftakt-Spiel mit der Deutschen Meisterschaft im Tipp-Kick am Stammsitz in Villingen-Schwenningen. Denn das Spiel wird von Hobbysportlern schon seit Jahrzehnten ambitioniert betrieben. Seit 1973 gibt es eine Tipp-Kick-Bundesliga , Deutsche Einzelmeisterschaften wurden bereits seit 1959 ausgespielt. Und auch im deutschsprachigen Nachbarland Schweiz ist das Spiel aus dem Schwarzwald als Sport verbreitet. Die Eidgenossen spielen seit Anfang der 1980er-Jahre sowohl Mannschafts- wie auch Einzelmeisterschaften aus.