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Wasserstoff: In Hemmingen entsteht Treibstoff aus Gülle und Mist
HEMMINGEN. Der blaue Container neben der Biogasanlage auf einem Bauernhof in Hemmingen (Kreis Ludwigsburg) wirkt auf den ersten Blick unscheinbar. Doch der Inhalt hat es in sich. Denn dahinter verbirgt sich eine Demonstrationsanlage, mit der pro Stunde fünf Kilo Wasserstoff erzeugt werden. Die Grundlage dafür ist ein Dampfreformierer.
Solche Dampfrefomierer findet man in großem Maßstab auch in Chemiewerken, wo aus Erdgas Wasserstoff hergestellt wird. Die Anlage auf dem Bauernhof ist sehr viel kleiner. Und sie verwendet kein Erdgas, sondern Biogas aus Gülle, Mist oder Bioabfall. Nicht ganz so gut ist die CO2-Bilanz, wenn Mais verwendet wird.
Betrieben wird die Anlage vom Start-up BtX Energy aus Hof in Bayern. Die Technik hingegen kommt von der WS-Gruppe aus Renningen (Kreis Böblingen). Die Geschäftsführer der WS-Wärmeprozesstechnik Joachim Alfred Wünning und Joachim Georg Wünning wurden für ihre Arbeit auch schon mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet. BtX Energy hat seine Wurzeln ebenfalls in der WS-Gruppe, wo Geschäftsführer Andy Gradel seine Dissertation schrieb.
Neue Wertschöpfungsketten für Landwirtschaftsbetriebe
Die Demonstrationsanlage in Hemmingen erzeugt hochreinen Wasserstoff direkt auf dem Hof und eröffnet landwirtschaftlichen Betrieben so neue Wertschöpfungsketten, erläutert der Initiator des Konzepts Joachim Georg Wünning. Er hat auch in die Demonstrationsanlage investiert. Denn derzeit sind rund 80 Prozent der fermentierbaren Reststoffe wie Gülle und Mist in Deutschland noch ungenutzt. Dieses Potenzial wird durch die Wasserstofferzeugung lukrativ und könnte schon heute fast ein Drittel des inländischen Schwerlastverkehrs nachhaltig mit Wasserstoff versorgen, ist man bei BtX Energy überzeugt. Dadurch ließen sich zugleich die Methan- und Geruchsemissionen senken. Der Gärrest könnte weiterhin als Dünger dienen.
Basis ist eine Dampfreformierungsanlage
Die Basis der Anlage zur Erzeugung von Wasserstoff aus Biogas ist ein Dampfreformer. Das Biogas wird mit entmineralisiertem Wasser gemischt und im Dampfreformer, der quasi ein Ofen mit Rohren und Katalysatoren ist, auf etwa 900 Grad erhitzt. Dort wird aus dem Methan dann ein Synthesegas aus Kohlenstoffmonoxid und Wasserstoff. Über einen Reaktor wird es dann zu einem Wasserstoff-Kohlendioxid-Gemisch. Dieses wird dann getrocknet und in eine Druckwechselabsorbtion gegeben, in der das Gas getrennt wird. Übrig bleiben sehr reiner Wasserstoff und Kohlendioxid mit etwas Restwasserstoff.
Die Anlage ist gut geeignet für Mobilitätsanwendungen, erläutert Roland Berger, Geschäftsführer von Eflox, einem Tochterunternehmen der WS-Wärmeprozesstechnik. Er und sein Team haben die Demonstrationsanlage entwickelt und aufgebaut. Mit einer solchen Anlage, die skalierbar ist, können beispielsweise Müllfahrzeuge oder Busse mit Wasserstoff betankt werden. Grundlage dafür könnten beispielsweise entsprechende Verträge mit lokalen Stadtwerken sein.
Am Ende des Prozesses in der Anlage entsteht neben Wasserstoff auch noch Kohlendioxid. Letzteres wird wieder erneut im Prozess im Kreislauf geführt. Derzeit wird nur der Wasserstoff herausgefiltert. Grundsätzlich könnte aber auch Kohlenstoff herausgefiltert werden. Dieser wird beispielsweise in der chemischen Industrie für die Kunststoffherstellung benötigt. Das Herausfiltern von Kohlenstoff rechnet sich derzeit allerdings noch nicht, wie Wünning erläutert.
Die Pilotanlage zieht nach Nordrhein-Westfalen um
„Ich bin der Überzeugung, dass regionale, dezentrale Infrastrukturlösungen das Merkmal von erneuerbaren Energien sind und zur Energiesicherheit entscheidend beitragen“, sagt Joachim Georg Wünning. Gerade die dezentrale Erzeugung von Wasserstoff aus Biomasse kann für Biogasanlagen ein interessantes Anschlusskonzept nach Auslaufen der EEG-Vergütung sein, heißt es auch bei der Plattform H2BW. Diese ist bei der Landesagentur E-Mobil-BW angesiedelt und koordiniert die Landesaktivitäten beim Thema Wasserstoff. In einer aktuellen Untersuchung hat man sich dort in diesem Jahr mit der Wasserstoffbereitstellung aus Biomasse befasst. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass je nach eingesetzter Technologie sogar negative CO2-Emissionen realisiert werden können. Zudem wird dort ebenfalls bestätigt, dass die Technologie der Reformierung von Biomethan oder Biogas kurz vor der Markteinführung steht.
Die Pilotanlage wurde zwar bei der Naturenergie Glemstal in Hemmingen erstmals in Betrieb genommen. Doch sie reist nun weiter nach Krefeld. Dort soll die Anlage Wasserstoff für den Verkehrssektor aus Gülle im Alltagsbetrieb erzeugen. Gefördert wird dies im Rahmen des Projekts „BioH2Ref“ des Bundes. Die Universität Aachen wird das Projekt wissenschaftlich begleiten. Dabei geht es auch um Daten zur Effizenz und zur Umweltbilanz.