Toxische Mischung befeuert die Zahl der Unternehmenspleiten
Stuttgart . Renommierte Unternehmen wie der Autositzbauer Recaro aus Kirchheim/Teck und der Batteriehersteller Varta aus Ellwangen sorgten jüngst für Aufsehen, weil sie zum Amtsrichter mussten, um dort Insolvenz-Anträge zu stellen. Keine Einzelfälle. Zumal die Folgen schwer wiegen. So sind im Land mehr als 10 000 Beschäftigte von Pleiten ihres Arbeitgebers betroffen, teilt das Statistische Landesamt mit. Zugleich laufen Gläubiger laut den Statistikern Gefahr, auf Forderungen von insgesamt 1,5 Milliarden Euro sitzen zu bleiben.
Es ist eine toxische Situation, die immer mehr Unternehmen überfordert. Gestiegene Zinsen und hohe Kosten für Energie und Personal stehen deutlich niedrigeren Umsätzen gegenüber. In der Autoindustrie zahlen sich die hohen Investitionen nicht aus und der Maschinenbau kämpft seit über einem Jahr mit wegbrechenden Aufträgen. Vor allem kleinere und junge Unternehmen hatte die Pandemie bereits geschwächt. So fällt auf, dass jetzt vor allem Betriebe zum Amtsgericht müssen, die noch keine acht Jahre alt sind. Mit 590 Fällen sind das über die Hälfte aller Anmeldungen und ein Anstieg um 34 Prozent.
Baden-Württemberg ist bundesweit gesehen sogar stärker von der Misere betroffen. So stieg in Deutschland die Zahl der Pleiten im ersten Halbjahr um 30 Prozent auf 11 000, meldet die Wirtschaftsauskunftei Creditreform. Laut Chefökonom Patrik-Ludwig Hantzsch haben die Insolvenzen in Deutschland den höchsten Stand seit fast zehn Jahren erreicht. „Die Unternehmen kämpften gegen die Auswirkungen der Rezession, anhaltende Krisen und die kraftlose konjunkturelle Entwicklung“, sagt Hantzsch. Die Unternehmensstabilität in Deutschland sei derzeit so wacklig wie seit vielen Jahren nicht mehr.
Das wird auch an einem weiteren Krisen-Indikator sichtbar. So hat die Zahl der Kurzarbeiter im vergangenen Monat die Zahl von 12.000 erreicht. „Wir beobachten diese Entwicklung mit Sorge“, bestätigt ein Sprecher der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit. In der Stuttgarter Behörde weiß man, dass die Unternehmen erst alle anderen Möglichkeiten ausschöpfen, bevor sie Kurzarbeit anmelden. Der Grund: die Sozialabgaben müssen dennoch bezahlt werden. Diese Ausgaben, die sogenannten Remanenzkosten, können für den Arbeitgeber zwischen 35 und 40 Prozent des Aufwands für das Personal ausmachen.
Rund 80 Prozent der Industrie im Schwarzwald arbeitet kurz
Auch viele Betriebe im Schwarzwald sind betroffen, wie Christoph Münzer, Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbands der industriellen Unternehmen in Baden (Wvib) weiß. „Rund 80 Prozent der Industrie im Schwarzwald arbeitet kurz. Die Auftragspolster sind längst weg, Umsätze und Auftragseingänge sind in den vergangenen Monaten bei vielen zurückgegangen.“ Der Verband, der sich selbst gern als Schwarzwald AG bezeichnet, vertritt 1040 mittelständische Unternehmen mit 400 000 Beschäftigten, davon 250 000 in Deutschland. Im ersten Halbjahr ist der Umsatz der Betriebe um 7,2 Prozent eingebrochen. Eine Besserung sei nicht in Sicht, so Münzer. Diese Entwicklung könne auf ganz Baden-Württemberg übertragen werden.
Industrie in Baden ist überwiegend pessimistisch
„Nur noch ein Viertel der Unternehmen erwartet eine Besserung für das kommende Halbjahr. Fast jeder zehnte Betrieb rechnet hingegen sogar damit, dass erst 2026 die Konjunktur wieder anzieht.
Ähnlich skeptisch sind die Forscher des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH). „Wir rechnen damit, dass die Insolvenzzahlen im August leicht sinken und dann im September wieder ansteigen“, schätzt Steffen Müller, der die Abteilung Strukturwandel und Produktivität leitet. Damit dürfte die Zahl der Insolvenzen auch weiter durchgehend über dem Niveau von vor der Corona-Pandemie liegen, schätzt er.
Was die Pleite-Statistik nicht offenlegt, ist, dass viele Betriebe still verschwinden. Sie geben einfach auf. Besonders betroffen sind Einzelhandel und Gastronomie. Der Handelsverband HDE rechnet damit, dass allein in diesem Jahr bundesweit 5000 Geschäfte vom Markt verschwinden. In der Gastronomie stellt sich Umfragen zufolge inzwischen jeder vierte Betreiber, die Sinnfrage.