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Studie: Der öffentliche Sektor entzieht Privatfirmen die Arbeitskräfte

In öffentlichen Verwaltungen sind Prozesse noch immer viel zu wenig digitalisiert, kritisieren Forscher des Ifo-Instituts.
IMAGO/Zoonar/Elnur Amikishiyev)Stuttgart . Die Beschäftigung im öffentlichen Sektor in Deutschland wächst. Allein in den letzten zehn Jahren um fast 14 Prozent, so die Ifo-Wirtschaftsforscher der Niederlassung in Dresden. Sie berufen sich dabei auf Statistikdaten. Anstatt mehr Personal einzustellen, „hätte die öffentliche Verwaltung die Digitalisierung vorantreiben müssen, um mit den Effizienzgewinnen Personal einzusparen“, fordern sie.
„Während Unternehmen Automatisierung nutzen und Arbeitsprozesse verschlanken, werden im öffentlichen Dienst neue Stellen geschaffen“, kritisiert Ifo-Forscher Marcel Thum. Der öffentliche Sektor bereite sich nur unzureichend darauf vor, dass die erwerbsfähige Bevölkerung mit dem Ausscheiden der Babyboomer abnehmen werde. Ein kritischer Prüfprozess sei nötig, man müsse alte Aufgaben und Prozesse hinterfragen und klären, welche Tätigkeiten eingestellt oder zumindest reduziert werden könnten.
„Öffentliche Verwaltung versäumt es, zu digtalisieren“
Mit dem demografischen Wandel wähnen die Forscher Deutschland vor einer der größten gesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Der private Sektor steuert durch Digitalisierung und Automatisierung dagegen, doch dem öffentlichen Sektor falle es deutlich schwerer, sich auf diese Realität einzustellen. So habe es die öffentliche Verwaltung bislang versäumt, die Digitalisierung voranzutreiben, um mit den Effizienzgewinnen Personal einzusparen. Deutschland hinke bei der Digitalisierung des öffentlichen Sektors hinterher, wie Daten der EU-Kommission zeigten, etwa der EU Digital Economy and Society Index (DESI) und der Expat Insider Report.
Doch die trübe Bestandsaufnahme muss keineswegs in einem Schreckensszenario enden, vorausgesetzt, die öffentliche Verwaltung schafft die Wende in der Digitalisierung. Untersuchungen für die Wirtschaft zeigen, dass eine beschleunigte Einführung von KI-Systemen bis 2030 zur Automatisierung von fast einem Drittel der Arbeitsstunden führen könnte. Bis 2035 könnte diese Zahl in der EU sogar auf 45 Prozent steigen, prognostizieren Forscher in einer Studie des Mc Kinsey Global Institute (MGI).
KI-Einsatz könnte sich in der Verwaltung stark auszahlen
Solche Ergebnisse sind auch auf die öffentliche Verwaltung übertragbar. Chancen bieten gerade neue Anwendungen der Künstliche Intelligenz. KI ermöglicht es Behörden, ihre Personalressourcen effizienter einzusetzen und den Bedarf an Arbeitskräften für repetitive Tätigkeiten zu reduzieren.
Der verstärkte Einsatz von KI in der öffentlichen Verwaltung könnte sich sogar deutlich stärker auszahlen als in der Gesamtwirtschaft: Die Anzahl der Arbeitsplätze, die von der Nutzung generativer KI profitieren, schätzen Forscher von IW Consult im Fall der öffentlichen Verwaltung auf 82 Prozent, für die Wirtschaft sind es lediglich 70 Prozent. Denkbar sind etwa Chatbots und virtuelle Assistenten, die Bürgerfragen rund um die Uhr beantworten. KI-Systeme helfen den Verwaltungsmitarbeitern bei der Suche und beim Ausfüllen von Formularen.
In Bürgerbüros wie etwa in Ludwigsburg werden bereits Roboter eingesetzt, um einfache Anliegen abzuwickeln. Predictive Analytics analysieren große Datenmengen, um Trends vorherzusagen und Entscheidungen zu unterstützen. Sie können etwa die Verkehrssteuerung und die Polizeiarbeit unterstützen.
Belegschaft möglichst produktiv einsetzen
Klar ist: Private Unternehmen ebenso wie der öffentliche Sektor müssen künftig mit kleineren Belegschaften auskommen und diese möglichst produktiv einzusetzen, so die Ifo-Forscher. Im privaten Sektor gehen sie davon aus, dass einige Tätigkeiten „schlichtweg nicht mehr erledigt werden“ können. „Manche Geschäftsmodelle, die auf arbeitsintensive, aber geringproduktive Tätigkeiten setzen, werden sich bei knappheitsbedingt steigenden Löhnen nicht mehr lohnen.“ So muss die Privatwirtschaft ihre Geschäftsprozesse zwingend digitalisieren und automatisieren, besonders arbeitsintensive Teile der Wertschöpfungskette zur Not international verlagern. Schon heute müssen Kunden etwa zeitintensive Schritte wie das Erfassen persönlicher Daten selbst vornehmen. Aber auch die Aufgabe von Betrieben, die sich immer weniger lohnen, gehören zu diesen Anpassungsprozessen an den demografischen Wandel.
Auf den muss auch der Staat entsprechend reagieren. Tut er das nicht, werde dies langfristig die gesamte Wirtschaft gefährden, da ihr der öffentliche Sektor knappe Arbeitskräfte entziehen werde, warnt Thum.
Erhebliche Zuwanderung
Die Zahl der potenziell Erwerbstätigen wird in den nächsten Jahrzehnten massiv zurückgehen, allein in den nächsten zehn Jahren um gut sechs Prozent, so das Statistische Bundesamt. Diese Zahlen berücksichtigen eine erhebliche Nettozuwanderung nach Deutschland. So unterstellen die Statistiker, dass die Nettozuwanderung von aktuell rund 400 000 Personen in den nächsten zehn Jahren auf 250 000 Personen zurückgeht und danach konstant bleibt.