EU-Binnenmarkt

Reformen sollen den EU-27 neue Impulse geben

Jeder dritte Beschäftigte im Südwesten arbeitet direkt oder indirekt für den Export. Dabei geht fast die Hälfte der Güter und Dienstleistungen in EU-Staaten. Die EU ist entscheidend für das Wohl und Wehe der Baden-Württemberger.

Zu den Gütern baden-württembergischer Unternehmen, die am meisten exportiert werden, gehören Fahrzeuge.

IMAGO/Arnulf Hettrich)

Stuttgart . Der Wert mancher Dinge erschließt sich erst, wenn sie nicht mehr da sind. Diese Erkenntnis erleben die Briten – und sie ist teuer. Jedes Jahr verliert die britische Wirtschaft durch den Austritt aus dem Europäischen Binnenmarkt 163 Milliarden Euro an Wertschöpfung. Wäre das Vereinigte Königreich in der Zollunion und im Binnenmarkt geblieben, hätte die Wirtschaft schneller wachsen können. Stattdessen wird das Bruttoinlandsprodukt im UK bis 2035 um zehn Prozent niedriger sein.

Für die Deutschen ist der EU-Binnenmarkt der Grundpfeiler ihres Exporterfolgs. Mehr als jeder Zweite Euro wird nach Daten des Bundeswirtschaftsministeriums mit den 27 Mitgliedstaaten umgesetzt. Somit liegt die EU als Handelspartner weit vor den USA oder China.

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat berechnet, dass bei einem Austritt der Bundesrepublik Wertschöpfung in Höhe von 690 Milliarden Euro in nur fünf Jahren verloren ginge. Auch der Arbeitsmarkt wäre demnach betroffen. Im Falle eines Dexits könnten rund 2,5 Millionen Arbeitsplätze verloren gehen.

Die EU wird für Baden-Württemberg zum Heimatmarkt

„Die wirtschaftlichen Beziehungen sind so bedeutsam geworden, dass wir in Baden-Württemberg beim EU-Binnenmarkt von einem Heimatmarkt sprechen können“, erklärt Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU). Im vergangenen Jahr gingen 47 Prozent alles Ausfuhren aus dem Südwesten in die EU. Die Exporteure haben damit gut 117 Milliarden Euro verdient.

Die wichtigsten drei Handelspartner unter den EU-27 sind für Baden-Württemberg Frankreich, die Niederlande und Italien. Die Güter, die am meisten aus Baden-Württemberg exportiert werden, sind Maschinen, Fahrzeuge und Zulieferteile sowie pharmazeutische Erzeugnisse. Der Südwesten importiert aber auch kräftig. So kamen 56 Prozent aller Warenimporte aus dem EU-Binnenmarkt. Eingekauft haben die Baden-Württemberger für insgesamt 127 Milliarden Euro.

Allerdings beschert die EU den Südwest-Unternehmen auch immer mehr Bürokratiekosten. Sie leiden mittlerweile unter einer massiven Überregulierung. „Inzwischen kommen 50 Prozent der Bürokratielasten von der EU“, klagt Hoffmeister-Kraut. Die Flut der Regelungen und Berichtspflichten überbelaste vor allem den Mittelstand. Als Beispiele nennt sie die EU-Taxonomie, mit der die EU „grüne“ oder “nachhaltige“ Wirtschaftstätigkeiten belohnt und andere sanktioniert sowie die EU-Nachhaltigkeitsberichterstattung. „Europa darf nicht zum Bremsklotz, sondern muss zum Antrieb für unsere Wirtschaft werden“, fordert Hoffmeister-Kraut. „Hierfür die Voraussetzungen zu schaffen, wird eine Herausforderung der Zukunft sein.“

Den Deutschen müsste also besonders viel an einer Verbesserung liegen. Tatsächlich sind es zwei Italiener, die sich mit der Weiterentwicklung des Binnenmarkts beschäftigen. Der frühere italienische Ministerpräsident Enrico Letta hat gut sieben Monate im Auftrag der EU-Kommission an Reformvorschlägen gearbeitet. Energieversorgung, Verteidigung, Telekommunikation und Finanzmärkte seien die Säulen der künftigen europäischen Wirtschaft. Letta sieht vor allem in einem einheitlichen europäischen Kapitalmarkt einen entscheidenden Treiber: Im Kern geht es darum, bürokratische Hürden zwischen den EU-Staaten abzubauen, um Unternehmen mehr Möglichkeiten zu eröffnen, sich Geld zu beschaffen. Vor allem von Kleinanlegern über die hiesigen Finanzmärkte.

Ex-EZB-Banker Mario Draghi will Wettbewerbsfähigkeit verbessern

Parallel dazu will der frühere EZB-Chef Mario Draghi die Wettbewerbsfähigkeit der EU verbessern. Er stellt für Ende Juni ein Papier in Aussicht: „Ich werde radikale Schritte vorschlagen. Das ist genau das, was wir jetzt brauchen“, so Draghi im April. Sein Wort hat europaweit Gewicht. „Super Mario“ bewies auch als Regierungschef in Rom, dass seine Ideen selbst einem notorisch wackeligen Staat wie Italien so etwas wie Stabilität einhauchen können. Für Europa sieht er allein für den grünen Umbau einen Investitionsbedarf von 500 bis 600 Milliarden Euro – pro Jahr!

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