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Lindner und Habeck: „Der Standort Deutschland ist nicht mehr wettbewerbsfähig“
Stuttgart . Über 3000 Stellen will der weltgrößte Automobilzulieferer Bosch nach eigenem Bekunden abbauen. Hochbezahlte Jobs, die in den Kommunen für Steuerlöcher sorgen. Die Transformation weg vom Verbrenner trifft viele der rund 700 Automobil-Zulieferer im Land. Auch Deutschlands zweitgrößten Autozulieferer ZF in Friedrichshafen. Dort gingen dieser Tage rund 3000 Beschäftigte auf die Straße. Sie fürchten, dass bis 2030 hierzulande 12 000 Stellen bei ZF wegfallen könnten.
Handwerk BW warnt, dass Baukrise und Industrieschwäche bald auf ihre Betriebe durchschlagen könnten. Jeder Dritte geht laut Umfrage der Kammern davon aus, dass sich die Geschäftslage im ersten Quartal 2024 verschlechtern werde. „Wir müssen zurückkehren zu einer berechenbaren, wachstumsorientierten, wirtschaftsfreundlicheren Politik“, rät Handwerk-BW-Präsident Rainer Reichhold. „Selbst Betriebe, die derzeit noch gut zu tun haben, fragen sich angesichts der eingetrübten wirtschaftlichen Lage, der greifbaren Deindustrialisierung, der miesen Konsumstimmung und viel Bürokratie, wie lange sie sich das noch antun.“ Es sei an der Zeit, spürbare Entlastungen für die Betriebe einzuleiten.
„Die Hebel, die wir betätigen müssen, sind alle bekannt“
Die Bundesregierung will mit einem Wachstumschancengesetz gegensteuern. Das wird derzeit im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat verhandelt. Doch Christian Erbe, Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK), ist skeptisch: „Die Bundesregierung ist mit einem Entlastungsvolumen von sieben Milliarden gestartet. Jetzt geht es im Vermittlungsausschuss nur noch um rund drei Milliarden Euro“, sagt er. „Es kann nicht sein, dass bei erwarteten gesamtstaatlichen Einnahmen für 2024 von fast einer Billion Euro eine Entlastung der Wirtschaft in der ursprünglich angedachten Höhe nicht möglich sein soll.“
Oliver Barta, der Hauptgeschäftsführer der Unternehmer Baden-Württemberg, springt ihm bei: „Die Hebel, die wir betätigen müssen, wenn wir unsere Zukunft nicht verspielen wollen, sind alle bekannt. Wir brauchen weniger Bürokratie und nicht ständig neue Gesetze und Belastungen, die Betrieben und Bürgern Knüppel zwischen die Beine werfen.“
Barta fordert von der öffentlichen Verwaltung mehr Effizienz und mehr Einsatz für die Digitalisierung. Das schließe schnellere Genehmigungen und Verfahren ein und könne so die Energiewende beschleunigen. „Der Ausbau der Erneuerbaren Energien oder der Wasserstoffinfrastruktur kommt viel zu langsam voran, was die Preise hoch hält und die Versorgungssicherheit gefährdet.“
Das größte Momentum, um für schnelle Impulse zu sorgen, wäre eine Unternehmensteuerreform, sagt BWIHK-Präsident Erbe. „Deutschland ist ein Höchststeuerland, das macht unseren Betrieben massiv zu schaffen. Spitzenplätze bei Steuern, Energiepreisen und Arbeitskosten führen nun einmal nicht zu einem Spitzenplatz bei der Wettbewerbsfähigkeit.“ Mit einer durchschnittlichen Steuerbelastung von 29,9 Prozent liegt Deutschland unter den Industrieländern nach Japan an der Spitze. „Um wieder wettbewerbsfähig zu sein, müssten wir auf 25 Prozent runter“, so Erbe. Ein erster Schritt dafür könne die Abschaffung des Solidaritätszuschlags sein.
IHK-Präsident: Unsere Warnungen finden da kein Gehör
Die Südwestunternehmen treibt auch die ausufernde Bürokratie um. Etwa das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das deutschen Unternehmen weitere Belastungen auferlegt. „Unsere Warnungen finden da kein Gehör“, sagt Erbe. Auch die weiterhin hohen Energiekosten lasten auf den Unternehmen. „Wir brauchen hier endlich einen Strategieplan, der den Weg der Energiewende vorzeichnet.“ Den fordert Erbe von der baden-württembergischen Landesregierung. „Die Unternehmen wollen Planungssicherheit, die müssen wissen, in welche Richtung gehen wir. Kurzfristig müssen die Steuern auf Strom und Energie auf ein europäisches Mindestmaß gesenkt werden“, sagt Erbe. „Das wäre ein Hebel, den man schnell umlegen könnte.“
„Ich begrüße es außerordentlich, dass die Minister Lindner und Habeck erkennen, dass der Standort nicht mehr wettbewerbsfähig ist“, sagt Christoph Münzer vom Wirtschaftsverband Industrieller Unternehmen Baden (WVIB). Die Politik dürfe jetzt jedoch kein Strohfeuer entzünden. „Bis die Maßnahmen ankommen, ist die Konjunkturkrise wieder vorbei. Die rezessive Phase könnte schon Ende des Jahres enden“, sagt er. Sogar jetzt gebe es einige Unternehmen, die die Krise nicht spüren und volle Auftragsbücher haben, so Münzer. „Wir sollten uns nicht von einem zum nächsten Notprogramm hangeln.“ Erneut ein Sondervermögen zu schaffen, lehnt er ab: „Das wäre purer Aktionismus.“
Münzer hält es für nötig, langfristig zu denken und in die Infrastruktur zu investieren, vor allem in Verkehrswege und Schulen, um die Standortbedingungen zu verbessern. „Wir leisten uns das zweitteuerste Steuersystem der Welt, zugleich gibt der Staat viel zu viel Geld im konsumtiven Bereich aus. Die Arbeits- und Energiekosten sind zu hoch, wir brauchen schnellere Genehmigungen und Fortschritte bei der Digitalisierung, sodass aus einem lahmen, fetten Staat wieder ein dynamischer Staat wird.“