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Interview

BWIHK-Präsident Erbe: „Kanzler Scholz hat die Wirtschaft nicht im Fokus“

Zwei Jahre war der Tübinger Unternehmer Christian Erbe Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags. Jetzt tritt er turnusgemäß ab. Um die Wirtschaft anzukurbeln, fordert er eine „konzertierte Aktion“, wie sie einst Ex-Bundeskanzler Schröder mit der Agenda 2010 initiierte.

Zu den Top-Risiken zählt Christian Erbe den Fachkräftemangel. „Es wird gerade gefühlt besser, weil wir leider Arbeitsplätze verlieren und Teile der Industrie abwandern“, sagt er. Fotos: Achim Zweygarth

Achim Zweygarth)
Staatsanzeiger: Herr Erbe, Sie waren zwei Jahre an der Spitze des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags. Wie fühlt sich diese Erfahrung für Sie an?

Christian Erbe : Es ist ein großes, ein wichtiges Amt, da die zwölf Kammern in Baden-Württemberg insgesamt 650 000 Unternehmen repräsentieren. Das Schöne, aber gleichzeitig auch Herausfordernde ist, dass das Amt einen branchenübergreifenden Charakter hat. Als BWIHK repräsentieren wir alle Branchen, dadurch wird es komplex. Man bringt dadurch aber auch ein großes Gewicht gegenüber der Politik mit.

Was hat Sie besonders beeindruckt?

Herausfordernd waren die vielen Krisen: erst Corona, dann der Angriffskrieg auf die Ukraine, der uns in der Folge eine Energiekrise beschert hat. Es gab daher sehr viele Gespräche auf politischer Ebene. Jetzt zeichnet sich eine Wirtschaftskrise ab.

Sie sind Geschäftsführer der weltweit tätigen Erbe Elektromedizin GmbH in Tübingen mit 1800 Mitarbeitern. Wie geht es Ihrem Unternehmen?

Dem geht es gut. Wir werden in diesem Jahr auf ein Umsatzplus von zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr kommen. Im Schnitt wachsen wir so um die 15 Prozent. Dass es dieses Jahr weniger wird, liegt an Gesundheitsmärkten wie den USA, unserem größten Markt, wo wir 40 Prozent unseres Umsatzes machen. Dort hat die Unsicherheit wegen der Wahl eine dämpfende Rolle gespielt. In Südkorea streiken die Ärzte und zu den schwachen Märkten gehört leider auch Deutschland. Die Gesundheitsreform von Minister Lauterbach hat die Krankenhäuser hochgradig verunsichert und sorgt für Beschaffungsstopps.

Sie haben eine US-Niederlassung in Atlanta und selbst acht Jahre dort gelebt. Was wünschen Sie sich vom US-Wahlsieger Donald Trump?

Der Export in die USA ist für deutsche Unternehmen wichtig. Ich habe die Sorge, dass sich die USA durch Zölle immer mehr abschotten. Generell sind Handelsbeschränkungen immer schlecht. Deshalb halte ich auch den Beschluss der EU-Kommission, Zölle auf die Einfuhr von Elektroautos aus China zu erheben, nicht für zielführend. Denn die Chinesen werden gleiches tun. Das trifft speziell exportorientierte Volkswirtschaften wie die Bundesrepublik.

Muss sich die exportorientierte baden-württembergische Wirtschaft diversifizieren und neue Handelspartner neben den USA suchen?

Das ist anzuraten. Wir müssen Alternativen finden. Meine große Hoffnung liegt auf Indien, das große wirtschaftliche Entwicklungspotenziale bietet. Unsere Niederlassung dort hatte letztes Jahr ein Umsatzplus von 30 Prozent. Weitere Länder in Südostasien haben auch großes Potenzial. Da müssen wir uns breiter aufstellen und uns nicht allein auf China und die USA verlassen. Allerdings geht weiter die Hälfte der Exporte von deutschen Firmen in Länder der EU. Das ist ein Potenzial, das wir nicht aus den Augen verlieren dürfen.

Wie sehen Sie das abrupte Ende der Ampel-Koalition?

Viel zu lange hat sich die Politik Gedanken darüber gemacht, wie Geld verteilt wird. Viel zu lange wurde vernachlässigt, unter welchen Rahmenbedingungen das Geld erst erwirtschaftet werden muss. Genau das gehört wieder ins Zentrum politischen Handelns. Die Ampel konnte sich nicht auf einen gemeinsamen Weg aus dieser Krise verständigen. Dann muss auch ein Schlussstrich gezogen werden.

Wie soll es jetzt in der Berliner Regierung weitergehen?

Es braucht jetzt einen klaren Fahrplan, wie das Land weiter regiert werden soll und welche Maßnahmen noch umgesetzt werden. Eine Hängepartie können wir uns schlicht nicht leisten – die politische Vertrauenskrise ist längst in der Breite unserer Betriebe angekommen. Es darf nicht länger sein, dass die politischen Rahmenbedingungen von den Unternehmen als ein Top-Geschäftsrisiko bei unseren Umfragen genannt werden.

Wie schon im Vorjahr fahren Sie mit einer Wirtschaftsdelegation aus Baden-Württemberg wieder nach Brüssel. Welche Erwartungen haben Sie?

Die Entscheider in Brüssel sind oft sehr weit weg von der unternehmerischen Realität. Wenn man mit ihnen über die Auswirkungen von Regulierung auf die Praxis diskutiert, dann stellt man fest: Die Intention ist da, Gutes zu tun, aber es herrscht Unkenntnis darüber, wie sich das auf die Unternehmen auswirkt.

Wo sehen Sie denn Gesprächsbedarf mit Brüssel?

Wenn Sie die Unternehmen fragen, dann steht die Bürokratie an erster Stelle. Bürokratieabbau wird immer dringender. Dabei kommt die meiste Bürokratie ganz klar aus Brüssel. Wichtig ist, dass wir kein Gold-Plating betreiben: In Deutschland wollen wir immer besser sein als alle anderen und setzen dann auf die EU-Normen noch eins drauf.

Die EU-Regulierung nimmt die Wirtschaft stark in die Pflicht. Beispiele etwa sind der Green-Deal, das Lieferkettengesetz, der Datenschutz und die ESG-Kriterien: Ist die Wirtschaft zu leise, wenn es darum geht, neue Lasten aus Brüssel abzuwenden?

Die Wirtschaft muss sicherlich lauter werden. In Brüssel agieren sehr viele wirtschaftsnahe Verbände. Unsere Wirtschaft ist dort präsent. Aber das Ergebnis, da haben Sie absolut recht, ist unbefriedigend.

Woran liegt das?

Das Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft hat sich nicht sehr positiv gewandelt. Man hat in der Politik vorrangig viele andere Themen verfolgt, wie etwa die Gleichstellung und Nichtdiskriminierung. Alles andere lief ja. Und das war sicherlich ein Fehler. Denn die Rahmenbedingungen haben sich global verändert. Unsere Altbundeskanzlerin, Frau Merkel, hatte die Wirtschaft nicht sehr im Fokus. Bei ihrem Nachfolger, Olaf Scholz, ist es genauso. Und wenn man ehrlich ist, auch bei Frau von der Leyen. Jetzt sind wir an dem Punkt, wo klar ist, dass man so nicht weitermachen kann. Wir brauchen jetzt für Deutschland eine konzentrierte Aktion, die von oben gesteuert wird, so wie es Gerd Schröder mit seiner Agenda 2010 getan hat. Damals kamen die Reformen vom Bundeskanzler selbst.

Was meinen Sie, ist der Standort Deutschland noch zu retten?

Die Antwort ist ein klares Ja, weil wir ein starkes Land sind. Wir haben viele Ressourcen. Aber wir müssen sie auch nutzen dürfen. Dann können wir wieder aufholen. Damit die Rahmenbedingungen wieder stimmen, bedarf es jetzt größerer Anstrengungen und einer konzertierten Aktion. Wir brauchen durchgreifende Veränderungen in der Größenordnung der Agenda 2010. Eine politische Agenda müsste Reformen auf dem Arbeitsmarkt, bei den Energiekosten und Bürokratielasten konsequent in den Blick nehmen.

Das Gespräch führte Wolfgang Leja

Unternehmer, Familienvater und Lobbyist: Auch für Christian Erbe (rechts) hat der Tag nur 24 Stunden. Das Private komme manchmal zu kurz, sagte er zu Redakteur Wolfgang Leja.

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