Themen des Artikels

Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen

Erfindung

Neu entwickeltes Fassadenmaterial soll gegen Hitze und Starkregen helfen

Ein neu entwickeltes Fassadenmaterial könnte dazu beitragen, zwei städtebauliche Probleme zu lösen: Überhitzung der Städte und Überschwemmungen durch Starkregen. Denn Hydroskin, das an der Uni Stuttgart entwickelt wurde, kann Regenwasser speichern, weiterleiten oder dosiert wieder abgeben.

Christina Eisenbarth ist die Erfinderin von Hydroskin. Am Demonstrator-Hochhaus der Universität Stuttgart wurde die Funktionsfassade zwei Jahre lang getestet.

dpa/Marijan Murat)

Stuttgart. Am Anfang stand der Zufall. Vor sechs Jahren habe ein Industriepartner ihr ein Stück Abstandsgewirke gegeben und gefragt, ob sich das nicht auch in der Architektur einsetzen ließe, sagt Christina Eisenbarth, Architektin und damals wie heute wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Leichtbau und Entwerfen (ILEK) der Universität Stuttgart. Abstandsgewirke sind Textilien, bei denen zwei Stoffschichten durch Fäden auf Abstand gehalten werden. Sie werden häufig aus Polyesterfäden hergestellt und sowohl als Polsterung für Matratzen, aber auch im Automobilbereich eingesetzt.

Hydroskin wird am Demonstrator-Hochhaus getestet

Die junge Architektin kam schließlich auf die Idee, die technische Textilie für eine neuartige Fassade einzusetzen: Hydroskin . Denn das Abstandsgewirke ist leicht und kann durch seine große Oberfläche Wasser speichern. Im Rahmen ihrer Dissertation tüftelte Eisenbarth am optimalen Aufbau der neuartigen Fassadenelemente aus einem Abstandsgewirke, Membranen und Folien, damit diese Regenwasser schnell aufnehmen können und es dann entweder zur Brauchwassernutzung weiterleiten oder zur Kühlung verdunsten lassen können. Die Uni Stuttgart spricht von „Funktionskleidung“ für Gebäude.

In den vergangenen knapp zwei Jahren wurden die von ihr entwickelten Fassadenelemente am Demonstrator-Hochhaus auf dem Unicampus in Stuttgart-Vaihingen getestet. Und die Ergebnisse begeistern nicht nur die Erfinderin selbst, sondern auch andere Wissenschaftler.

Fassade kann viel mehr Regen aufnehmen als eine Dachfläche

Die Hydroskin-Fassade könne mehr als das Doppelte an Regenwasser aufnehmen als die gleich große Dachfläche desselben Gebäudes, erklärt Eisenbarth. Dadurch lasse sich die Menge an Regenwasser, die durch versiegelte Flächen direkt in die Kanalisation fließt, um mehr als die Hälfte reduzieren. Das wiederum würde das Risiko von Überflutungen in eng bebauten Gebieten erheblich vermindern. Um diese Werte zu erreichen, muss lediglich ein Viertel der Fassade verkleidet sein.

Wird das in der Fassade gesammelte Wasser in einem Tank gespeichert und für Toilettenspülungen oder Waschmaschinen genutzt, können nach Berechnungen der Forscher bis zu 46 Prozent des Frischwassers im Gebäude eingespart werden. Gleichzeitig oder alternativ lässt sich das Wasser aber auch in die textile Fassade zurückleiten, um das Haus und gleichzeitig die Stadt zu kühlen. Während normale Fassaden, etwa aus Beton oder Glas, durch die Sommersonne auf bis zu 90 Grad aufgeheizt werden, kann Hydroskin die Temperatur auf bis zu 17 Grad reduzieren. „Hydroskin ist damit mehr als nur eine Fassade es ist ein aktiver Beitrag zum Umweltschutz und zur Ressourcenschonung in unseren Städten“, sagt Lucio Blandini, Leiter des ILEK und Eisenbarths Chef.

Erfinderin gründet Start-up für die Umsetzung

Das neue Material lässt sich zudem individuell gestalten, von transparent bis bunt. Und als Rohstoff für das Abstandsgewirke könnte auch PET aus Getränkeflaschen verwendet werden, erklärt Eisenbarth. Und längerfristig sei auch eine Herstellung aus Biofasern denkbar. Die Fassadenelemente ließen sich beim Rückbau sortenrein trennen und alle Bestandteile wiederverwerten.

Ihre Promotion hat die Architektin inzwischen abgeschlossen und ist nebenher zur Unternehmerin geworden. Unter dem Dach der Technologie-Transfer-Initiative der Uni Stuttgart besteht Hydroskin seit einem Jahr als Start-up, um die Erfindung in den Markt zu bringen. Nun sucht Christina Eisenbarth Partner aus dem Bausektor, die bereit sind, die Fassade an einem Bauprojekt in größerem Stil einzusetzen. „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, diese vielversprechende Technologie schnellstmöglich in die Baupraxis zu überführen“, betont die Erfinderin. Die Folgen des Klimawandels ließen schließlich nicht viel Zeit für Gegenmaßnahmen.

Sonderforschungsbereich für das Bauen von Morgen

Die Entwicklung von Hydroskin ist ein Projekt im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1244 „Adaptive Hüllen und Strukturen für die gebaute Umwelt von Morgen“ der Universität Stuttgart. Sichtbares Zeichen der großangelegten Bauforschung ist das Demonstrator-Hochhaus auf dem Unicampus Stuttgart-Vaihingen, dass auch Teil der IBA 27 ist. Das experimentelle Gebäude dient dazu, Neuentwicklungen zu testen. So gilt D 1244, wie es offiziell heißt, als erstes adaptives Hochhaus der Welt, das Windlasten aktiv ausgleichen kann.

Nutzen Sie die Vorteile unseres

Premium-Abos. Lesen Sie alle Artikel aus Print und Online für

0 € 4 Wochen / danach 189 € jährlich Nachrichten aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren

Lesen Sie auch