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Ein Parkhaus in Wendlingen als Leuchturm für den Holzbau
Wendlingen. In der Stadtverwaltung von Wendlingen nennen manche Mitarbeiter das neue Parkhaus das „Kolosseum von Wendlingen“. Doch das Gebäude direkt am Bahnhof der Kleinstadt im Landkreis Esslingen fällt nicht nur wegen seiner elliptischen Form auf, die für derartige Zweckbauten ungewöhnlich ist. Es erregt weit über die Region um Stuttgart hinaus Aufmerksamkeit, weil Holz der dominierende Baustoff ist. Und das Gebäude ist so konzipiert, dass es sich mit überschaubarem Aufwand zu Wohn- oder Büroflächen umbauen lässt, wenn der Bedarf an Parkraum durch den Wandel der Mobilität zurückgeht.
Die Idee für das Holzparkhaus stammt vom Büro Herrmann + Bosch Architekten, das für seine Holzbauten bekannt ist. Nachdem die Stadt die Planungsleistungen für das Parkhaus ausgeschrieben hatte, schlugen die Stuttgarter Architekten im Bietergespräch vor, das Gebäude in Holzbauweise zu realisieren. Die Stadt ging darauf ein und schrieb die Bauleistungen dann als Holzkonstruktion aus.
Die Träger und Stützen des Tragwerks sind aus Holz gefertigt
Holzgebäude bedeutet im Fall des Parkhauses, dass auch die tragenden Teile aus dem nachwachsenden Rohstoff bestehen. Sowohl die Stützen wie auch die 16 Meter langen Träger, die die Parkflächen überspannen, sind aus Brettschichtholz gefertigt. Sie laufen strahlenförmig von der Mitte zu den äußeren Stützen. Das wird durch die ovale Form des Parkhauses ermöglicht. Für diese entschieden sich die Architekten auch, um die zur Verfügung stehende Fläche optimal auszunutzen. Ein rechteckiges Gebäude hätte weniger Parkplätze gebracht.
Auch die Decken der einzelnen Geschosse wurden aus Brettsperrholz hergestellt. Darauf wurde ein Gussasphaltbelag aufgetragen. Beton kam nur für wenige Elemente zum Einsatz. So wurden die beiden Treppenhäuser an der Süd- und Nordseite des Parkhauses aus Beton gebaut, um Anforderungen an Statik und Brandschutz zu erfüllen. Und die Auffahrtrampen bestehen aus einer Holz-Beton-Konstruktion, um der Belastung durch den Gussasphaltbelag standhalten zu können.
Steckverbindungen erlauben sortenreinen und einfachen Rückbau
Der „grüne“ Planungsansatz setzt sich in der Fassade fort. Auf der Seite zum Bahnhof hin überspannt ein Edelstahlnetz das Bauwerk, das von Rankenpflanzen begrünt wird. Auf der gegenüberliegenden Nordseite, die zum geplanten Otto-Quartier auf einem ehemaligen Fabrikgelände ausgerichtet ist, ist das Parkhaus mit Profilglas verkleidet. Das soll die Lärmbelastung durch den Autoverkehr im Parkhaus für die künftigen Bewohner reduzieren.
Das gesamte Parkhaus ist als Lärmschutzwand für das neue Stadtquartier vorgesehen. Denn es schirmt dieses zu den viel befahrenen Straßen im Umfeld ab. Aus diesem Grund musste das Gebäude mit seinen sechs Parkdecks auch 18 Meter hoch errichtet werden.
Das neue Parkhaus punktet in Sachen Nachhaltigkeit mit weiteren Besonderheiten. Die Planer haben den Rückbau schon mitgedacht, darauf geachtet, dass alle Materialien sortenrein getrennt und dann wiederverwendet oder -verwertet werden können. So wurde auf Verbundmaterialien komplett verzichtet. Und Verbindungen sind gesteckt oder geschraubt, lassen sich deshalb einfach wieder lösen.
Gebäude lässt sich einfach für Wohnen und Arbeiten umbauen
Weil ein Parkhaus mit rund 350 Stellplätzen für Pkw in Zeiten der Verkehrswende möglicherweise nicht mehr über seine gesamte Lebensdauer zum Parken genutzt wird, haben die Architekten von Herrmann+Bosch eine Nutzungsänderung eingeplant. Die Parkdecks sind mit 2,30 Meter höher als gewöhnliche Parkhäuser und erlauben damit den Umbau zu Büros oder Wohnungen. Und die Betonkerne mit den Treppenhäusern lassen sich etagenweise herausheben und durch Lichthöfe ersetzen.
„Im Gegensatz zu teuren Tiefgaragen kann ein solches Parkhaus leicht anders genutzt oder wieder abgebaut werden. Damit ist es eine Brücke in eine Zeit, in der sich die Städte mehr und mehr von der Last des Autos befreien“, meint der Intendant der IBA 27 , Andreas Hofer. Schon jetzt steht das Parkhaus für einen Mobilitätsmix und bietet neben den Pkw-Stellflächen, darunter bis zu 20 mit Ladesäulen für E-Autos, auch 220 gesicherte Fahrradstellplätze.
Wegen seiner nachhaltigen Konzeption wurde das Wendlinger Holzparkhaus im vergangenen Jahr in die Liste der IBA-Projekte aufgenommen. Und mit der Fertigstellung, die für August geplant ist, wird es das erste IBA-Projekt sein, dass fertiggestellt wird − drei Jahre vor Beginn der Bauausstellung.
Das knapp elf Millionen Euro teure Gebäude steht auch für die modulare Fertigung. Die Holzelemente wurden in Fabriken vorgefertigt und in Wendlingen in 16 Wochen montiert.
Daten und Fakten auf einen Blick
Projekt: Neubau eines Holzparkhauses in Bahnhofsnähe Bauherr: Stadt Wendlingen am Neckar Planung: Herrmann+Bosch Architekten, Stuttgart Bauzeit: 1/2023 bis 8/2024 Baukosten: knapp elf Millionen Euro Nutzfläche: 9615 Quadratmeter Kapazität: 350 Pkw-Stellplätze, 22o Fahrradstellplätze, bis zu 20 Ladestationen für E-Autos und zehn E-Bikes
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