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Die Bauwende braucht eine neue Planer-Ausbildung
Karlsruhe. In öffentlichen Diskussionen um nachhaltiges Bauen geht es meist um Baumaterial, Dämmstoffe, die Art der Heizung. Wenn es nach Dirk Hebel geht, müsste auch mehr über die Studieninhalte der künftigen Planer diskutiert werden. „Wir müssen in der Ausbildung von vorne beginnen“, erklärt der Professor für Entwerfen und nachhaltiges Bauen Andrea Lindlohr, die als Staatssekretärin im Bauministerium auf ihrer Sommertour Station am KIT macht.
Bei der Grünen-Politikerin rennt der Architekt mit seinem Vorstoß offene Türen ein. „Beim Neubau müssen wir die Wiederverwendbarkeit der Materialien gleich mitdenken“, sagt Lindlohr. Und das setzt voraus, dass die Planer anders denken, als dies bislang meist der Fall ist.
Datenbank für nachhaltige Baumaterialien wird aufgebaut
Hebel sieht beispielsweise die Notwendigkeit, die Lehrmittel für das Architekturstudium völlig umzustellen. „Die Konstruktionshandbücher sind 20 bis 30 Jahre alt“, gibt der Forscher zu bedenken.
Mit der Umstellung begonnen haben Hebel und seine Mitarbeiter bereits bei der Materialbibliothek der Universität. Die Sammlung soll künftig vor allem innovative, meist sortenreine Baumaterialien enthalten, um Studenten auch optisch und haptisch einen Eindruck von solchen Baustoffen zu vermitteln. Dabei handelt es sich überwiegend um Materialien, die bereits in der Baupraxis eingesetzt werden können. 90 Prozent der in der Materialbibliothek vorhandenen Muster hätten eine baurechtliche Zulassung, erläutert Hebel.
Parallel dazu baut das KIT in Zusammenarbeit mit anderen Hochschulen eine Materialdatenbank auf. Diese soll umfangreiche Datensätze zu den Materialmustern beinhalten und auf der Webseite der KIT-Materialbibliothek offen zugänglich sein. Sie kann also auch von externen Planern genutzt werden.
Studentenprojekt zeigt Möglichkeiten wiederverwendeter Bauteile
Wie mit sortenreinen Materialien, die sich am Ende der Nutzungsdauer eines Gebäudes wieder nahezu vollständig wiederverwenden lassen, gebaut werden kann, hat Hebel zusammen mit seinem Kollegen Andreas Wagner und Studenten mit dem Projekt Roof-KIT demonstriert. Das Demonstrationsgebäude hat mit dem Solar Decathlon 2021/22 den größten Bauwettbewerb für Universitäten weltweit gewonnen und steht nun auf dem Campus Süd der Universität und soll der interdisziplinären Architektur- und Energieforschung dienen.
Das einstöckige Wohngebäude mit einer Wohnfläche von 54 Quadratmetern ist – wie der Name schon sagt – als Modell für ein Modul zur Aufstockung von Wohngebäuden konzipiert. Einer der wesentlichen Baustoffe ist Holz, einerseits wegen der CO 2 -Bilanz, aber auch aus statischen Gründen, wie Dirk Hebel beim Rundgang mit Lindlohr und Karlsruhes Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) erläutert. Denn Holz wiegt weniger als Beton und ist daher für Aufstockungen besser geeignet.
Leitungsnetz im Haus um ein Viertel verkürzt
Für das Wettbewerbshaus wurden an vielen Stellen gebrauchte Bauteile verwendet, von manchen Bodendielen über die Fenster bis zu Türen. Die Dämmung ist aus Seegras, der Putz aus Lehm und Oberflächen im Innenraum bestehen aus recycelten Joghurtbechern, die immer wieder eingeschmolzen und neu aufbereitet werden können.
Bei der Raumaufteilung und Haustechnik wurde darauf geachtet, das Leitungsnetz im Haus so weit wie möglich zu minimieren. Dafür wurden die gesamte Haustechnik, Heizung, Küche und Bad in einem Block konzentriert und die übrigen Räume herumgebaut. Zugleich wurde die Zahl der Steckdosen und Lichtschalter reduziert. Man habe so das Stromleitungsnetz um ein Viertel gegenüber konventioneller Bauweise reduzieren können, so Hebel.
Dänemark als Vorbild für CO 2 -Reduzierung
Der Hochschullehrer, der auch Co-Vorsitzender der Themensäule „Innovatives und ökologisches Bauen und Sanieren“ im Strategiedialog „Bezahlbares Wohnen und innovatives Bauen“ des Landes ist, setzt aber nicht nur auf technische und planerische Lösungen, um die Klimawende im Bausektor voranzubringen. Hebel setzt sich auch für baurechtliche Änderungen ein. Eine Vorlage dafür sieht er im dänischen Modell. Das skandinavische Land hat die Erteilung von Baugenehmigungen daran geknüpft, dass Neubauten nicht mehr als zwölf Kilogramm CO 2 pro Quadratmeter und Jahr emittieren. Dies gilt zunächst für große Gebäude, ab 2025 für alle. Da Recyclingbaustoffe bei der CO 2 -Bilanzierung mit Null angesetzt werden, sei dies ein Anreiz für deren Einsatz, meint Hebel. Er würde sich wünschen, dass Baden-Württemberg in dieser Frage eine Vorreiterrolle übernimmt.
Fakultät mit Tradition
Die Ausbildung von Architekten in Karlsruhe geht bis zur Gründung der Universität im Jahr 1825 zurück. Sie war die erste Polytechnische Schule in Deutschland. Heute studieren rund 1000 Studenten am KIT Architektur. Zu den bekannten Vertretern des Fachs, die in Karlsruhe lehrten, gehören unter anderem Heinrich Hübsch, Egon Eiermann, Fritz Haller und der im vergangenen Jahr verstorbene Arno Lederer.