Infrastruktur

Der Staat konsumiert gerne und investiert zu wenig

Der Bausektor ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige. Noch. Denn er verliert an Gewicht. Das liegt vor allem daran, dass der Staat zunehmend mehr konsumiert und weniger in die Infrastruktur investiert. Ministerpräsident Winfried Kretschmann fordert ein Sondervermögen, um gegenzusteuern.

Der Staat investiert zu wenig in die Infrastruktur, kritisieren Forscher des IW-Köln.

dpa/Rupert Oberhaeuser)

Stuttgart . Staat, Unternehmen und Privathaushalte haben in den letzten Jahren kontinuierlich mehr investiert. Doch die Bauwirtschaft profitiert davon immer weniger. Das zeigt sich an den Bauinvestitionen. Ihr Anteil am gesamten Kuchen ging in der selben Zeit zurück, wie Forscher des IW Köln herausgefunden haben. So entfielen im Jahr 2003 noch 65 Prozent der gesamten Investitionen auf diesen Sektor, 20 Jahre später waren es nur noch 54 Prozent – elf Prozentpunkte weniger.

Verantwortlich dafür ist nach Ansicht der Forscher vor allem die seit zwei Dekaden „stagnierende Investitionstätigkeit des Staates“. Sie fordern, dass der Staat angesichts bröckelnder Straßen, maroder Brücken und sanierungsbedürftiger Wohn- und Schulgebäude mehr Geld in die Hand nehmen müsse. Rund 600 Milliarden Euro sind über die kommenden zehn Jahre nötig, haben die Forscher berechnet. Allein rund ein Drittel der Summe sei nötig, um die Dekarbonisierung voranzutreiben.

Bedeutung der Baubranche nimmt volkswirtschaftlich ab

Sichtbar wird die verhaltene Investitionstätigkeit des Staates auch an der rückläufigen Wertschöpfung der Baubranche. Sie steuerte im Jahr 2019 mehr als fünf Prozent zur gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland bei. Im vergangenen Jahr lag sie real um 6,4 Prozent unter diesem Niveau.

Konkret sichtbar wird die Misere an den Brücken. Vor wenigen Wochen hatten sich mehrere Spitzenverbände, darunter die Bauverbände BVMB, HDB, ZDB angesichts der großen Zahl sanierungsbedürftig Bauwerke in einem „Notruf“ an die Bundesregierung gewandt. Über 4000 Brücken allein im Bereich von Autobahnen seien aktuell dringend sanierungsbedürftig oder müssten neu gebaut werden. Für ein Brückenmodernisierungsprogramm seien zusätzliche Investitionsmittel in Höhe von einer Milliarde pro Jahr nötig.

„Bund, Land und Kommunen vernachlässigen die notwendigen Investitionen in geradezu sträflicher Weise“, sagt Sabine Schmucker, Vizepräsidentin der Bauwirtschaft Baden-Württemberg. Eine Kurskorrektur sei überfällig. Untersuchungen hätten ergeben, dass fast ein Drittel des Landesstraßennetzes in einem schlechten Zustand sei. Zudem müssten fast zehn Prozent der rund 7300 Brücken an Bundes- und Landesstraßen kurzfristig saniert werden.

Das führt zu der Frage, woher das Geld für eine Investitionsoffensive kommen soll? Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) will dafür ein Sondervermögen schaffen. „Wir brauchen die Möglichkeit, ein Sondervermögen über Kredite aufzubauen, das nur für ganz bestimmte Investitionszwecke überhaupt verwendet werden darf“, sagte er. Er sei nicht dafür, allgemein die Schuldenbremse zu lockern. Aber sie dürfe nicht zur Zukunftsbremse werden.

Sparkassen wollen mehr private Investitionen mobilisieren

Dabei mangelt es in Deutschland nicht an Geld. Die Sparkassen und Versicherungen etwa würden gerne in Infrastrukturprojekte investieren. Und sie zeigen, wie es gehen kann. Im Mai 2023 hatte ein Konsortium unter Führung der Sparkassenversicherung mit mehr als 30 Sparkassen, Banken, Versicherungen und Körperschaften aus Baden-Württemberg einen Anteil von 24,95 Prozent am Übertragungsnetzbetreiber Transnet BW vom Eigentümer, der EnBW in Karlsruhe erworben. Sparkassenpräsident Matthias Neth sagte erst kürzlich, dass die Dekarbonisierung von Wirtschaft und Energieversorgung bis 2045 sechs Billionen Euro kosten dürfte und es deswegen nötig sei, auch private Investitionen zu mobilisieren.

SPD- und Grüne im Bund wollen lieber die Schuldenbremse lockern. Doch das ist umstritten. So kommen etwa Forscher des ZEW in Mannheim in einer neuen Studie zu dem Ergebnis, dass eine Lockerung der Schuldenbremse eher zu höheren konsumtiven Ausgaben statt zu den gewünschten Investitionen führen würde. Das zeigte der Blick in die jüngste Vergangenheit.

„Zwischen 2015 und 2019 wurden rund 39,5 Milliarden Euro der zusätzlichen Haushaltsmittel für steigende konsumtive Ausgaben verwendet, während nur rund 13,2 Milliarden Euro für investive Ausgaben ausgegeben wurden“, so das ZEW.

Der Kapitalstock wächst

84 Prozent des gesamten volkswirtschaftlichen Kapitalstocks der Bundesrepublik entfallen auf Bauten – dazu zählen neben Gebäuden zum Beispiel Straßen, Brücken, Tunnel und Parks. Seit 1991 ist das verbaute Bruttoanlagevermögen hierzulande von rund 14,4 Billionen Euro um mehr als zwei Drittel auf gut 24,1 Billionen Euro gestiegen. Das ist vor allem auf den Wohnbaubestand zurückzuführen, der 2023 rund 60 Prozent der Gesamtsumme ausmachte.

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