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Warum macht ein Oberbürgermeister TikTok?
Schorndorf. Eine Minute und 22 Sekunden lang ist das bisher erfolgreichste Video eines Oberbürgermeisters auf TikTok. Mit dem Titel „Wie sich Schorndorfer den Alltag ihres OB vorstellen“ sieht man den Rathauschef mit Krawatte und Amtskette von Sicherheitspersonal bedient werden und umjubelt im Blitzlichtgewitter stehen. Dann folgt der Vergleich zur „Realität“ mit T-Shirt unterm Sakko, zur Eile mahnenden Mitarbeitern und verschüttetem Kaffee.
Fast 70 000 Aufrufe hat das kurze Filmchen auf TikTok, mehr als 1400 Nutzer drückten den Like-Button. Dazu kommen mit 119 000 noch mehr Klicks bei Instagram. Dort gab es fast 7000 Likes und rund 190 Kommentare, bei LinkedIn 9500 Reaktionen und 445 Kommentare.
Gefilmt wurde das Video in einer starken Stunde – und auf einem separaten Smartphone, das nur für Social Media genutzt wird, erzählt Eva-Marie Mihai, die im Schorndorfer Rathaus für Social Media zuständig ist und hinter der Idee und Umsetzung des TikTok-Hits steckt.
Der Erfolg zeigt sich nicht nur in Zahlen
OB Bernd Hornikel ist der Meinung, dass mit dem Video eine Gratwanderung gelungen ist: „Die Dosis war so eindeutig selbstironisch, dass kein Missverständnis aufkam, ob sich da einer selbst überhöht.“ In den Kommentaren war die Resonanz zum allergrößten Teil positiv und auch offline freut sich der OB über die Rückmeldungen.
Als einzige Ausnahme nennt Hornikel den Stadtrat Lars Haise (AfD). Der bezeichnet den erfolgreichen Post als „Peinlich-Video“. Nur einen Tag nach dessen Erscheinen veröffentlichte der AfD-Politiker eine Pressemitteilung, in der er diese Kommunikationsform als „Spielzeug zur peinlichen Selbstinszenierung auf Steuerzahlerkosten“ infrage stellt.
Allerdings ist es kein Geheimnis mehr, dass AfD-Politiker deutlich öfter und mehr auf TikTok posten als Mitglieder anderer Parteien. Immerhin lässt sich so die junge Zielgruppe unter 25 erreichen. „Wir haben mit Entsetzen festgestellt, wie die bei den letzten Wahlen agiert haben“, sagt Hornikel.
Er will der AfD auf TikTok nicht das Feld überlassen: „Es ist mir ein persönliches Anliegen, hier Kontra zu geben. Auch wir können Content generieren, der eine hohe Reichweite erzielt.“
Außerdem kritisierte der Stadtrat Haise, „dass die Stadtoberen Besseres zu tun haben sollten“. Denn Schorndorf war von der Starkregenkatastrophe im Juni betroffen und hat mit den Folgen des Hochwassers zu kämpfen.
Social Media als Mittel für Krisenkommunikation
Für OB Hornikel zeigte aber genau dieses Ereignis die Bedeutung von Social Media für die Kommunikation der Stadt: „Da war es essenziell, dass wir stündlich oder minütlich die Infos an die Leute bringen.“ Das unterstreicht auch Eva-Marie Mihai. Die ausgebildete Journalistin erklärt, dass solche Videos auf Dauer außerdem sehr kostengünstig im Vergleich zu althergebrachten Methoden sind. Neben der Kommunikation in Echtzeit bietet Social Media zudem den direkten Kontakt zu Bürgern und die Möglichkeit, auf Anliegen reagieren zu können. Und was spricht gegen Social Media? „Aus meiner Sicht gibt es keinen einzigen begründeten Nachteil“, sagt Mihai.
Mit einem lustigen Video für Aufmerksamkeit zu sorgen, ist dem Team gelungen. Es gehe dann aber darum, dass die Pressestelle Content produziert, der Informationen für die Bürger enthält – das betonen sowohl der Oberbürgermeister als auch die Social-Media-Expertin.
Das Konzept und ein dreiköpfiges Team dahinter sorgen für ein hohes Maß an Professionalität. Ziel soll es sein, die Stadt Schorndorf selbst als beste Quelle zu etablieren, „gerade in Zeiten von Fake News, Polemik und der Brutalität der Sprache“, betont Hornikel.
Mihai ergänzt, dass das Interesse der 13- bis 24-jährigen TikTok-Zielgruppe an städtischen Themen gesteigert werden und die Stadt als Arbeitgeber attraktiver gemacht werden soll, denn: „Das Image einer Stadt ist auch abhängig davon, wie die Stadt online auftritt!“
Der Triumph einer viel kritisierten Plattform
TikTok ist nicht nur durch den chinesischen Betreiber ByteDance und damit zusammenhängende Spionagevorwürfe an die Regierung Chinas umstritten. Die App greift auf Nutzerdaten wie Cache und Kontakte zu, was Datenschutzexperten regelmäßig Sorge bereitet. Trotzdem hat die Videoplattform sogenannten Short-Form-Content erfolgreich gemacht. Die Kurzvideos, oft zwischen 20 und 60 Sekunden lang, werden inzwischen auch von den Plattformen Instagram und YouTube präferiert.