Themen des Artikels
Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen
Warum das Seehaus Leonberg für Marion Gentges so wichtig ist
LEONBERG. Es ist das erste Mal, dass Justizministerin Marion Gentges (CDU) das Seehaus Leonberg von Innen betrachtet. Auf dem 1609 erbauten Gutshof betreibt der Verein Seehaus eine Alternative zum geschlossenen und offenen Strafvollzug: Männliche Gefangene im Alter von 14 bis 23 Jahren leben in familienähnlichen Wohngemeinschaften und sollen dazu erzogen werden, in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen.
Bisher ist die neue Justizministerin, die 1971 in Haslach im Kinzigtal geboren wurde, nur an dem Gelände im Naherholungsgebiet Glemswald vorbeigefahren. Sie sei schon immer neugierig gewesen, hinter die Kulissen zu blicken, erzählt sie. Umso aufmerksamer lauscht sie Tobias Merckle, dem geschäftsführenden Vorstand, und den Mitarbeitern, was der Verein täglich leistet.
Jugendliche können sich aus der Haft für Programm bewerben
Der Verein betreibt das Seehaus Leonberg seit 2003 im Auftrag des Landes Baden-Württemberg. Die Arbeit wird teilweise aus öffentlichen Haushaltsmitteln finanziert.
Jugendliche können sich aus der Haft heraus für das Programm bewerben. Stimmt die Anstaltsleitung zu – dafür müssen sie bestimmte Kriterien erfüllen –, verbringen sie ihre gesamte Haftzeit im Seehaus, meist ein bis drei Jahre. Kernelement ist das „Familienprinzip“, also das Zusammenleben von bis zu sieben Jugendlichen mit Hauseltern. Diese leben gemeinsam mit ihren Kindern und den Jugendlichen in einer Wohngemeinschaft. So wird Familienleben vorgelebt, „auch mit gemeinsamen Feiern, die sie oft sonst so nie erlebt haben“, erzählt Merckle der Justizministerin, die seit 2016 Mitglied des Landtags ist.
Schon als Jugendliche hat sich Gentges für Politik interessiert. Sie kommt aus einem politisch interessierten Elternhaus, trat 1990 in die Junge Union, ein Jahr später in die CDU ein. Nach ihrem Studium der Rechtswissenschaften an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und ihrem Referendariat am Landgericht Offenburg arbeitete sie als Rechtsanwältin, seit 2007 ist sie Fachanwältin für Arbeitsrecht. Als sich die Gelegenheit ergab, ergriff Gentges diese und bewarb sich parteiintern für die Landtagskandidatur 2016 – mit Erfolg. Im Mai wurde sie zur Justizministerin berufen.
Dass sie sich für die Arbeit des Seehauses interessiert, liegt auch daran, dass sie über zehn Jahre lang Opferanwältin des Weißen Rings war. Im Seehaus spielen nämlich nicht nur die Täter, sondern auch die Opfer eine Rolle, zum Beispiel bietet es Opfer- und Traumaberatung an. Aber auch die Jugendlichen können an einem Opfer-Täter-Gespräch teilnehmen. In sechs bis acht Treffen können Opfer den Tätern direkt Fragen stellen und berichten, wir ihr Leben durch die Straftat beeinflusst wurde. So lernen die Jugendlichen, welche Auswirkungen ihre Taten haben können.
Unbürokratische und unkomplizierte Hilfe für Opfer gewünscht
Im Gespräch mit Gentges äußert Merckle daher den Wunsch, dass die Opfer von Straftaten unbürokratische und unkomplizierte Hilfe bekommen sollten, zum Beispiel mit mindestens acht bis zehn Trauma- und Opferberatungsstellen in großen Kreisstädten. Für diese Wünsche ist die Ministerin sehr aufgeschlossen. Im Koalitionsvertrag sei schon vereinbart, dass es in der Fläche mehr Ansprechpartner für den Opferschutz geben soll, so Gentges. Dafür werde ein Konzept erarbeitet.
Darüber hinaus nimmt sich Gentges in den kommenden fünf Jahren vor, im Vollzug genügend Haftplätze zu schaffen und die Justiz personell so auszustatten, dass sie ihren Aufgaben auch nachkommen kann – dabei spiele auch die technische Ausstattung wie die Einführung der E-Akte eine bedeutende Rolle. Auch sollen die beschleunigten Verfahren in der Fläche des Landes ausgerollt werden. Projeke, wie der Bau eines neuen Vollzugskrankenhauses sowie den flächendeckenden Ausbau der Häuser des Jugendrechts, hat sich die Ministerin auf die Fahnen geschrieben.
Auch die Jugendlichen im Seehaus haben ein straffes Programm: Der Tag beginnt um 5.45 Uhr morgens mit Frühsport und endet 22.15 Uhr mit der Bettruhe. Die Jugendlichen werden konsequent gefordert, etwa mit pädagogisch begleiteter gemeinnütziger Arbeit, und müssen Leistung bringen, erfährt Gentges. Dabei spielen Erfolgserlebnisse, Fairness, Ausdauer und gegenseitige Verantwortung eine große Rolle. Das lernen sie zum Beispiel mit entsprechender Freizeitgestaltung, wie Musik, Theater, Kunst und Sport.
Auch Gentges ist in ihrer Freizeit gerne sportlich: Sie fährt Mountainbike. Ob sie eine Lieblingsstrecke hat? „Ich wohne im Ortenaukreis. Da ist es überall schön“, sagt sie. Gerne geht sie auch spazieren und kocht für ihren Mann und ihre 17-jährige Tochter oder Freunde. „Ich koche gerne regional-badisch, aber auch internationale Küche kommt auf den Tisch.“
Der Termin im Seehaus endet mit einem Rundgang über das Gelände und mit Einblicken in die Wohngemeinschaften und Werkstätten. In der Seehaus-Schule erzielen die Jugendlichen ihren Abschluss und können eine Lehre beginnen, etwa in der Schreinerei oder im Metallbereich – gute Voraussetzungen für ein straffreies Leben, so Gentges.
Weitere Videos mit den Landesministern finden Sie hier: