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Innenminister Thomas Strobl sagt als erster Zeuge im U-Ausschuss aus
STUTTGART. Normalerweise, sagte Innenminister Thomas Strobl (CDU), „wäre ich heute zur Weinlese gegangen“. Tatsächlich mühte er sich an diesem Spätsommerfreitag viele Stunden lang im Plenarsaal des Landtags in seiner Zeugenvernehmung vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, den vielfältigen Abgeordnetenfragen gerecht zu werden: zum Vorwurf der sexuellen Übergriffe durch den ranghöchsten Polizisten im Land, zur Beförderungspraxis und zur Übergabe eines Anwaltsschreibens an einen einzigen Journalisten. Christiane Staab, die Obfrau der CDU-Fraktion, erkundigte sich teilnahmsvoll nach dem persönlichen Befinden des Innenministers. „Mir geht es gut“, erwiderte Strobl, „ich bin gesund.“
Das Thema, das den Fall überhaupt erst ins Rollen gebracht hatte, war sexueller Missbrauch und Belästigungen bei der Polizei. Es trat während der vielstündigen ersten öffentlichen Zeugenvernehmung irgendwann in den Hintergrund, nicht zuletzt, weil Strobl in seinem ausführlichen Eingangsstatement zur Brief-Affäre noch einmal Fragen aufwarf. Denn der 62-Jährige berichtet, wie er am Tag vor Heiligabend 2021 in „Alarmstimmung“ gewesen sei, weil er „jede Sekunde“ damit haben rechnen müssen, dass das Anwaltsschreiben öffentlich wird. Jenes Schreiben, in dem ihm der Rechtsbeistand des Inspekteurs der Polizei im Disziplinarverfahren ein Gesprächsangebot machte, das der Innenminister als „brandgefährlich“ einstufte wegen der Gefahr, dass der Eindruck von Mauschelei hätte entstehen können, wäre es öffentlich geworden.
Widersprüche zum Gutachten
Zur Weitergabe wurde dann ein Interview mit einem Journalisten zur Cyberkriminalität genutzt. Es sei „eine spontane Entscheidung“ gewesen. Wenn ein anderer ihn interviewt hätte, hätte er es „vermutlich einem anderen gegeben“. Es habe einfach rausmüssen, „da hat die Uhr getickt“. Die Darstellung vor den Abgeordneten widersprach allerdings der Grundlage jenes Gutachtens, mit dem der Berliner Medienanwalt Christan Schertz dem Minister bescheinigt hatte, schon allein aus Gründen der Auskunftspflicht richtig gehandelt zu haben. Schertz war jedoch davon ausgegangen, dass der Journalist ausdrücklich nach dem ihm bekannten Schreiben gefragt hatte.
Noch komplizierter wurde es in der inzwischen neunten Stunde der Befragung, als SPD-Obmann Sascha Binder wissen wollte, ob die Staatsanwaltschaft dem Innenminister ein Angebot zur Einstellung des Verfahrens unter Auflagen gemacht habe. Der Ausschuss zog sich zu Beratungen darüber zurück, ob Strobl diese Frage beantworten müsse. Der Journalist, den Strobl in den Augen der Ermittler zur unberechtigten Veröffentlichung des Schreibens anstiftet, hat jedenfalls schon vor einigen Tagen publik gemacht, eben ein solches Angebot bekommen und abgelehnt zu haben.
Immer mehr Stimmen für Strobls Rücktritt
Der Innenminister berief sich nach den Beratungen und einigem Hin und Her auf sein Zeugnisverweigerungsrecht, weil es um ein laufendes Strafverfahren gehe und er vermeiden wolle, durch öffentliche Äußerung Einfluss zu nehmen. Dementsprechend mochte er die Frage auch nicht mit Nein beantworten. Das Thema ist auch nach Meinung von Juristen im Innenministerium deshalb von Brisanz, weil sich die Stimmen mehren, dass Strobl zurücktreten müsste, sollte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen ihn nicht ohne Auflagen einstellen.
Der Ausschuss tagte bis tief in die Nacht. Bisher terminiert sind weitere vier Sitzungen, vorerst bis zum 23. Januar 2023. Benannt wurden am Freitag zum Auftakt der Beratungen auch mehr als 30 weitere Zeugen.
Quelle/Autor: Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer