Themen des Artikels
Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen
Umweltexperte Claus-Peter Hutter im Interview: Wie Biodiversität gelingen kann
STUTTGART. Die Biodiversität befindet sich im freien Fall. Daran konnten auch Gesetze, Verbote und immer neue Umweltabgaben bislang wenig ändern. Eine Trendwende kann es nur geben, wenn Konzepte und Fördersysteme, die sich in der Praxis unter Biodiversitäts-Gesichtspunkten als ineffizient oder gar kontraproduktiv erweisen, deutlich reduziert oder durch umweltbewusstere Alternativen ersetzt werden, findet Claus-Peter Hutter, der 35 Jahre lang die Umweltakademie des Landes geleitet hat und sich ab Juli neuen Aufgaben widmet.
Das Interview führte Daniela Haußmann
Staatsanzeiger: Herr Hutter, frei nach Willy Brandt kommt der Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen voran wie eine Schnecke auf Glatteis – trotz Gesetzen, Verboten, Abgaben und steigenden finanziellen Investitionen. Woran liegt das?
Claus-Peter Hutter: Geht es um Naturbewahrung, Klimaschutz, Umweltvorsorge oder die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung, mangelt es weder an Projekten, noch an Programmen und Rechtsnormen. Doch es gibt eine wachsende Diskrepanz zu dem, was auf dem Papier steht und wie es draußen in der Landschaft aussieht. Und das trotz einem All-Parteien-Konsens mit klarem Commitment für die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Wichtig ist in diesem Zusammenhang: Um eine signifikante Trendwende einzuleiten, sollten Konzepte und Fördersysteme, die sich in der Praxis unter Biodiversitäts-Gesichtspunkten als ineffizient oder gar kontraproduktiv erweisen, deutlich reduziert oder durch umweltbewusstere Alternativen ersetzt werden.
Durch die Umschichtung finanzieller Mittel ließe sich also viel für die Bewältigung der ökologischen Herausforderungen tun?
Patentrezepte gibt es sicherlich nicht. Doch wir könnten erhebliche Finanzmittel für Umweltinvestitionen und Klimavorsorgemaßnahmen aufbringen, wenn diese dort eingespart werden, wo mit unsinnigen Subventionsmilliarden Umwelt belastet, Naturerbe vernichtet und dem Klimawandel Vorschub geleistet wird. So zum Beispiel im Bereich der immer stärker industrialisierten Landwirtschaft. Die Reduktion ineffektiver Förderstrukturen könnte Ressourcen für die Unterstützung ökologisch wirtschaftender Betriebe freisetzen. Leider werden solche Landwirte meist nur als dekorative Hingucker bei Agrar- und Verbrauchermessen präsentiert, aber viel zu wenig gefördert. Um die Möglichkeiten einer dauerhaften ökologischen In-Wert-Setzung von Landschaften, Lebensräumen und Artengemeinschaften entscheidend zu vergrößern, muss sich das ändern.
Was bedeutet das konkret für die Agrarpolitik?
Wir brauchen auf EU-, Bundes- und Landesebene eine neue Architektur der Agrarpolitik, die landwirtschaftliche Betriebe in die Lage versetzt, mit ökologisch erzeugten Produkten und mit ihren Leistungen für das Gemeinwohl trotz starker internationaler Konkurrenz ein angemessenes Einkommen zu erzielen. Effiziente und flexible Instrumente wie Prämien für Landschafts- und Artenvielfalt und für Basismaßnahmen im Agrarumwelt- und Klimaschutz – zusätzlich auch auf regionaler Ebene – wären ein Schritt in diese Richtung.
Dazu braucht es aber Akteure, die ökologische Gemeinwohlleistungen honorieren, oder?
Eine nachhaltige Landwirtschaft braucht natürlich auch Marktteilnehmer die nachhaltig handeln. Beratung, praxisbezogene Forschung, ein Innovationsprogramm und Verbraucherkommunikation würden den erfolgreichen Auf- und Ausbau von Mehrwert-Märkten für ökologisch nachhaltig produzierte Güter unterstützen. Denn es braucht Konsumenten, welche die Gemeinwohlleistungen der Landwirtschaft kennen, wertschätzen und preislich honorieren. Nicht nur auf EU- und Bundes-, sondern auch auf Landes- und Regionalebene lässt sich hier viel bewegen, wenn Naturschutz und Landwirtschaft kooperativ Synergien nutzen und Ressourcen in die Erzeugung ökologischer Gemeinwohlleistungen investieren.
Könnte so mehr erreicht werden, als nur gesetzliche Mindeststandards?
Aktuell bekommen immer größere Agrarbetriebe den Löwenanteil von Förderungen. Und zwar nur dafür, dass sie Land besitzen. Jetzt soll es nach den EU-Beschlüssen den in Deutschland diskutierten Maßnahmen eine Umschichtung in Agrarumweltmaßnahmen geben, damit die „gesetzlichen Standards erreicht“ werden. Das ist gerade so, als würden wir Geld dafür bekommen, dass wir bei einer Strecke mit ausgewiesener Höchstgeschwindigkeit von 100 Stundenkilometern nicht schneller fahren. Das System ist völlig absurd und ein Hemmnis für signifikante Fortschritte im Klima- und Biodiversitätsschutz.
Umweltkrisen und ihre Folgen sind nicht neu. Trotzdem wird erst sehr spät und dann unter hohem Ressourcenaufwand mit begrenztem Effekt gegengesteuert. Wie lassen sich Handlungserfordernisse schneller realisieren?
Wenn ich mich ab Juli neuen Aufgaben widme, habe ich die Umweltakademie 35 Jahre lang geleitet. In dieser Zeit habe ich viele Projekte kennengelernt, deren Vorbereitung ein ganzes Jahrzehnt und mehr in Anspruch genommen hat. Derart lange Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsprozesse sind, angesichts der ökologischen Herausforderungen, denen sich Natur- und Artenschutz gegenübersehen, kontraproduktiv. Untersuchungen, die heute oft gefordert werden, verzögern die Handlungsspielräume teilweise derart, dass es manche Tier- und Pflanzenarten gar nicht mehr gibt, die man bei zeitnaher Umsetzung noch hätte retten können, wie sich anhand der Historie verschiedener Projekte nachweisen lässt. Eine vorausschauende und funktional vernetzte Verfahrensweise seitens der beteiligten Behörden ist zur Prozessbeschleunigung unabdingbar. Auch, weil sich Landschaften, Lebensräume und Lebensraumgemeinschaften aufgrund ungezählter und voneinander meist unabhängiger Einzelfallentscheidungen rascher und tiefgreifender als je zuvor verändern. Wir müssen aufhören zu lamentieren und endlich Strukturen schaffen, die den Klima- und Biodiversitätsschutz in eine echte Pole Position bringen.
Kann auch die stärkere Zusammenarbeit von Staat und Privatwirtschaft ein Teil der Lösung sein?
Mit Public-Private-Partnership-Projekten im internationalen Bereich ließen sich schnell weitreichende Erfolge erzielen. Im Kleinen gibt es ja schon Erfolgsprojekte etwa im Bereich Entwicklungshilfe. So ließe sich der heimischen Wirtschaft mit ihrer technologischen Kompetenz ebenso helfen wie den Menschen in armen Regionen, indem die öffentliche Hand im Schulterschluss mit der Ingenieurkompetenz aus Stadtplanung, Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Kreislaufwirtschaft, Energiewirtschaft, Verfahrenstechnologie, sowie Unternehmen aus Anlage- und Maschinenbau internationales Engagement zeigt. Die internationalen Partnerschaften von Kommunen und Landkreise, werden viele zu wenig für die internationale Umweltverständigung, die Nachhaltigkeitsentwicklung und die technische Zusammenarbeit genutzt. Fehlende Förderimpulse, geringe Ausstattung und komplizierte Antragsmodalitäten von Programmen wirken hier hemmend. Eine Neuorientierung ist überfällig.
Kommen wir bei den angesprochenen Themen im Land weiter seit die Grünen mit in der Regierungsverantwortung sind?
Unsere Zeiten sind kurzlebig und man kann den Eindruck gewinnen, dass es zunehmend auch beim Umweltschutz um Themen- und Deutungshoheiten geht – also darum wer was sagt. Und so wird von manchen vergessen, dass etwa die Regierung Oettinger in Sachen Landverbrauch „netto Null“ ausgerufen hat und Oettinger ebenso wie der frühere Bundesverkehrsstaatssekretär Hans Jochen Henke und CDU-Leute vor Ort wie Landrat Helmut Riegger vom Landkreis Calw im Schulterschluss mit Künstlern wie der Schauspieler Hannes Jaenicke, oder die Comedians Hansi Vogt und Christoph Sonntag massiv die Nationalparkbewegung und Befürworter des Schutzgebietes aus allen Parteien vor Ort unterstützt haben. Darüber darf die aus meiner Sicht unverständige – weil wohl rein aus Oppositionssicht erfolgte – damalige Blockadehaltung der CDU-Landtagsfraktion nicht hinwegtäuschen. Was zählt, sind Ergebnisse, die eben letztlich viele Väter und Mütter haben.
Von konservativ schwarz bis umweltbewegt grün sind in Baden-Württemberg also schon früh die Megathemen Klima- und Biodiversitätsschutz vorangetrieben worden?
Insgesamt haben alle Landesregierungen, die ich erlebt habe, in den vergangenen Jahren dem Umweltthema immer mehr Bedeutung eingeräumt; das spiegelt letztlich ja die bedenkliche Entwicklung bei den Megathemen Klimawandel und Verlust der biologischen Vielfalt wider. Im übrigen ist es einem Feuersalamander oder einer Wechselkröte egal, ob sie von roten, schwarzen, grünen, gelben Politikern oder Wechselwählern geschützt werden. Ganz erstaunlich ist, was der Multiminister Gerhard Weiser der von 1976 bis 1996 für Ernährung, Landwirtschaft, Umwelt und Forsten zuständig war, in ganz schwierigen Zeiten erreicht hat.
Ist in dieser Zeit nicht auch die Umweltakademie gegründet worden?
Das ist richtig. Minister Weiser initiierte zusammen mit Lothar Späth auch die Umweltakademie, die ich in den vergangenen 35 Jahren geleitet habe. Mit der Akademie sind Themen rund um Klima-, Umwelt-, Artenschutz und Nachhaltigkeit in Aus- und Fortbildungen, Kongressen und Dialogen zwischen Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft in die Fläche gebracht worden. Damit ist nicht nur das Bewusstsein für den Schutz der natürlichen Ressourcen gestärkt worden, sondern auch wertvolles Know-how in verschiedensten Bereichen der Gesellschaft ausgebaut und verankert worden. Dafür steht auch die Etablierung des landesweiten Netzwerkes zur Umweltbildung und nachhaltigen Entwicklung, die Schaffung von Artenschutz-Netzwerken zum Erhalt bedrohter Wildtiere und Pflanzen oder die Unterstützung internationaler Umweltpartnerschaften, um nur einige wenige Beispiele zu nennen.