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Mobilität

Zwei automatisierte Busse fahren durch Friedrichshafen und lernen

Zwei automatisierte Shuttles verkehren seit Ende Oktober auf einer sechs Kilometer langen Teststrecke in Friedrichshafen. Die fahren zwei Monate lang nach Plan und mit angemeldeten Passagieren. Wie das Projekt „Reallabor für automatisierten Busbetrieb im ÖPNV in der Stadt und auf dem Land“ (RABus) funktioniert und warum die Kleinbusse noch Sicherheitspersonal an Bord brauchen.

Blick aus der Frontscheibe des autonomen Shuttles. Der Ingenieur sieht im Laptop, was der Bus „sieht“.

Katy Cuko)

Friedrichshafen. Fast lautlos s urrt das futuristisch anmutende Gefährt heran, stoppt an der Bushaltestelle ZF-Forum. Hier an der mächtigen Konzernzentrale des Friedrichshafener Automobilzulieferers starten seit Ende Oktober bis zu vier Mal täglich Fahrten mit diesem Kleinbus, den ZF entwickelt hat. Der knuffige, nur knapp sieben Meter lange und zweieinhalb Meter breite, schwarz-gelb lackierte Shuttle ist eins der ersten Fahrzeuge, die ohne Fahrer durch den Straßenverkehr steuern können.

„Halb Bus, halb Zukunft“ steht auf den Großplakaten in der Stadt, die den Start des achtwöchigen Testbetriebs begleiten. Bis zum kommerziellen Einsatz dürfte es noch Jahre dauern. Diesmal sind nicht nur Ingenieure, sondern auch neugierige Fahrgäste an Bord. Die Tür öffnet sich, eine Frau fragt nach dem kostenlosen Ticket, das die Buchung bestätigt. Wer mitfahren will, muss sich vorab als Test-Passagier bewerben.

Das öffentliche Interesse ist groß. 1700 Bewerbungen seien bis zum Start des Pilotprojekts eingegangen, teilte RABus mit. Die Abkürzung steht für „Reallabor für automatisierten Busbetrieb im ÖPNV in der Stadt und auf dem Land“.

An diesem nebligen, kalten Morgen steigen aber nur drei Fahrgäste zu; zwei Frauen und ein Mann, alle jenseits der Lebensmitte. Neun Sitzplätze bietet der Bus plus einen Platz für einen Rollstuhlfahrer oder einen Kinderwagen. Drinnen sieht der Bus eigentlich ganz gewöhnlich aus. Es gibt Haltestangen und Knöpfe, um den nächsten Stopp zu signalisieren. Ein Bildschirm zeigt aber nicht nur die nächste Haltestelle an. „Wir fahren autonom“, steht immer drunter.

Zwölf Haltestellen liegen auf dem Weg

Mit einem sanften Ruck rollt der Shuttle los. Sechs Kilometer lang ist die Teststrecke vom ZF-Forum bis zum städtischen Klinikum; zwölf Haltestellen liegen auf dem Weg, der ein Stück weit auch über Land führt. In den ersten vier Wochen befahren die Shuttles allerdings zunächst nur den Innenstadt-Teil der Strecke, drehen um und bringen die Fahrgäste auf Wunsch binnen 30 Minuten zurück zum ZF-Forum.

Diese Fahrt begleitet Diana Atlas, seit über 30 Jahren Busfahrerin, die jetzt beim Regionalverkehr Alb-Bodensee (RAB) arbeitet. Sie wird später selbst am Steuer sitzen, erzählt sie. Ohne die Profifahrer, die jederzeit das Lenkrad übernehmen können, dürfen autonome Shuttle noch nicht im alltäglichen Straßenverkehr mitschwimmen. Auch in Friedrichshafen und Mannheim nicht, wo die kleine Flotte mit insgesamt vier der neuartigen Minibusse noch bis Mitte Dezember Passagiere an Bord nehmen dürfen. Im Februar habe die RAB gefragt, wer Interesse hätte, sich für den Testbetrieb schulen zu lassen. „Jetzt sind alle Kollegen neidisch, die nicht wollten“, sagt sie.

Ein Sicherheitsfahrer ist immer mit an Bord

Ein Kollege von Diana Atlas ist an diesem Morgen der sogenannte Sicherheitsfahrer. Ein ZF-Ingenieur mit Laptop auf dem Schoß sitzt neben ihm auf dem Beifahrersitz. Er hat ständig im Blick, was die Sensoren anzeigen. Später wird schnell klar, dass eigentlich beide den Bus steuern, wenn es nötig ist. Ziel des achtwöchigen Testbetriebs ist aber, dass der Shuttle am Ende ohne das aktive Eingreifen des Fahrers über die Strecke kommt.

Dafür sorgt Technik an Bord, die ZF entwickelt hat. In schwarzen Leisten sind Radar- und Lidarsensoren rund um das Fahrzeug angebracht, die neben dem Kamerasystem ständig das Umfeld checken und Hindernisse orten. Mit den Ampeln auf der Teststrecke in Friedrichshafen, die speziell nachgerüstet wurden, kommuniziert der Shuttle via Funk, was aber noch nicht an jeder Signalanlage gelingt. Genau genommen kennt der Bus seine Route, die in akribischer Vorarbeit mit ZF-Testautos erfasst und berechnet wurde.

Mit beeindruckender Präzision steuert der Kleinbus quasi führerlos durch die Stadt am Bodensee. Der Fahrer hat im „Autodrive-Modus“ die Hände nicht am Lenkrad. Der Bus sucht sich seinen Weg allein, orientiert sich unter anderem an den Mittelstreifen und den Seitenmarkierungen der Straße.

In der engen Charlottenstraße na vigiert er an manchen Stellen gefühlt in Zentimeter-Abständen an parkenden Autos vorbei. Draußen schauen Passanten neugierig bis ungläubig auf das Gefährt, das mit einem leisen Surren mit etwa 30 bis 40 Kilometer pro Stunde auf der Straße unterwegs ist, wenn es rollt. Doch immer wieder ruckelt und holpert der Bus, wenn er bremst oder beschleunigt. „Mich erinnert das Fahrgefühl eher an eine Straßenbahn“, sagt die Mitfahrerin lachend. Auch für Diana Atlas „darf der Bus an seinem Fahrstil noch ein bisschen üben“.

Manchmal hält der Bus wegen einem Laubhaufen am Straßenrand

Dafür sind 100 Kilometer Reichweite und eine Fahrgeschwindigkeit bis zu 60 Kilometer pro Stunde schon alltagstauglich. Kommt dem Bus ein Hindernis in die Quere, ein Falschparker etwa, wird er erst langsamer und bleibt dann automatisch stehen. Selbst kleine Laubberge am Straßenrand stoppen ab und an die Fahrt. Noch müssen jede Menge Sensordaten gesammelt werden, erklärt der Ingenieur an Bord. Die werden in einer Leitstelle ausgelesen und ausgewertet. Daraus werden Fahrstrategien abgeleitet. Der Shuttle lernt also immer mehr dazu.

An Zebrastreifen, Ampeln und Kreisverkehren drückt der Sicherheitsfahrer noch einen Knopf, wenn der Bus anhalten soll, wenn Menschen auf der Straße sind. Doch an die Haltestellen rollt er schon automatisiert, wenn auch noch zu weit weg vom Bordstein. Er hält an, senkt die Seite zum Fußweg hin ab, dann öffnen sich die Türen. „Da tasten wir uns nach und nach heran“, sagt der Ingenieur auf dem Beifahrersitz.

Zu Beginn des Probebetriebs sollten die beiden Busse eher defensiv fahren. „Den Nahverkehr von morgen kann man bei uns in Friedrichshafen schon heute erleben“, freut sich Magdalena Linnig, Chefin des Stadtverkehrs in Friedrichshafen.

Wohl wissend, dass noch nicht klar ist, ob und wann die Busse nach der Testphase regulär zum Einsatz kommen. Am Bodensee und in Mannheim gibt es die bundesweit ersten Genehmigungen für die Erprobung. Um autonome Busse im Linienverkehr auf die Straßen zu bekommen, müssen aber noch die rechtlichen Rahmenbedingungen geklärt werden. Im Mai 2021 haben Bundestag und Bundesrat zwar einem Gesetz zugestimmt, nach dem autonome Fahrzeuge in Deutschland am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen können.

Bis auf Weiteres gilt das aber nur in festgelegten und vorab genehmigten Betriebsbereichen. Und ganz ohne Fahrer dürfen die Busse heute noch nicht unterwegs sein. Eine mit Menschen besetzt Aufsicht und die dauerhafte Überwachung des Fahrbetriebs sind Pflicht.

Das Land unterstützt das Projekt mit knapp 14 Millionen Euro

Der gut zwei Monate dauernde Test mit den Elektro-Kleinbussen wird dabei nicht nur von den ZF-Ingenieuren mit Argusaugen verfolgt, die die Technik entwickelt und die Komponenten im Shuttle selbst verbaut haben. Es gibt viele weitere Beteiligte. Wissenschaftlich wird RABus vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) begleitet. Auch die Weiterentwicklung der Fahrzeuge ist Teil des Projekts.

Das Land Baden-Württemberg fördert das Projekt mit knapp 14 Millionen Euro aus dem Verkehrsministerium und hat den ÖPNV im Blick. Erklärtes Ziel ist es, dass die Busse zum Projektende ohne aktives menschliches Eingreifen fahren können, erklärt ein ZF-Sprecher. Selbst der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen spricht in Bezug auf RABus von einer „Sonderstellung“ und verweist unter anderem auf eine deutlich fortgeschrittenere Technologie im Vergleich zu ähnlichen Projekten sowie der engen Verknüpfung mit ÖPNV-Betreibern.

Die Mannheimer Rhein-Neckar-Verkehrsgesellschaft als Projektpartner sieht autonome Busse allerdings auf absehbare Zeit nicht als Ersatz für reguläre Busse und Bahnen. „Vielmehr könnten autonom fahrende Fahrzeuge in Zukunft überall dort interessant werden, wo sich ein konventionelles Angebot mit Bussen nicht lohnt oder schlicht überdimensioniert wäre“, teilt ein Sprecher mit. Dabei gehe es etwa um die sogenannte letzte Meile zwischen Stadtbahnhaltestelle und Reiseziel oder in der Nacht, sagt der Sprecher weiter.

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ZF beendet Entwicklung

Über Jahre hinweg galt die Entwicklung von autonom fahrenden Shuttles als Vorzeigeprojekt von ZF. Ergebnis sind unter anderem die vier Fahrzeuge, die für das RABus-Projekt im Einsatz sind. Allerdings hat der Konzern mit seinem Stammsitz in Friedrichshafen entschieden, von der bisherigen Strategie abzurücken und nur noch Ingenieurdienstleistungen für das autonome Fahren anzubieten.

Die hohen Vorinvestitionen im Shuttle-Geschäft seien nicht mehr zu rechtfertigen, da sich der Markt langsamer entwickelt als erwartet, teilte das wirtschaftlich angeschlagene Unternehmen mit, das einen Abbau von bis zu 14 000 Stellen im Konzern angekündigt hat. Bisherige Projekte, darunter RABus in Mannheim und in Friedrichshafen, bei dem der automatisierte Busbetrieb erforscht wird, würden aber fortgesetzt.

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