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Wo sich Falken und Raben um die besten Nistplätze streiten
Allerheiligen. In einer App auf dem Handy notiert Lukas Schmidt den Feuersalamander, den er am Weg entdeckt. Ebenso wie den Schwarzspecht und den Grauspecht, dessen Rufe kurz darauf ertönen. Für die Untersuchung der Tier- und Pflanzenwelt im Nationalpark Schwarzwald sind zwar grundsätzlich die Wissenschaftler zuständig, doch die Ranger vermerken ihre Zufallsbefunde ebenfalls. Manchmal mit erstaunlichen Ergebnissen, etwa wenn eine Tierart in einem Teil des Nationalparks gemeldet wird, in dem man diese eigentlich nicht erwartet hatte.
Lukas Schmidt ist einer von zehn fest angestellten Rangern im Nationalpark. Vor allem am Wochenende werden sie von ehrenamtlichen Rangern unterstützt. Schmidt und seine Kollegen sind jeden Tag in dem rund 10 000 Hektar großen Gebiet im Nordschwarzwald unterwegs. Offiziell wird hier von Gebietskontrolle gesprochen. An diesem Donnerstag steht bei Schmidt die Runde in Allerheiligen auf dem Plan. Der kleine Ort mit seiner Klosterruine und den Wasserfällen ist eines der beliebtesten Ausflugsziele im Nationalparkgebiet. Die Ranger bieten hier – ebenso wie an vielen anderen Orten im Nationalpark – auch immer wieder thematische Führungen für Besucher an.
Schmidt zeigt auf eine Steilwand neben den Wasserfällen. Dort ist eine kleine Nische. Ein beliebter Brutplatz bei Wanderfalken und Kolkraben. „Im Frühjahr streiten sich Wanderfalken und Kolkraben immer, wer diesen Brutplatz wieder übernehmen darf“, erzählt Schmidt. In diesem Jahr haben die Wanderfalken den Sieg davongetragen und erfolgreich Junge großgezogen.
Der Brutplatz der Wanderfalken ist von einem Aussichtspunkt zu sehen
Diesen Brutplatz können Besucher im Frühjahr und Sommer gut von einem Aussichtspunkt auf der gegenüberliegenden Seite beobachten, ohne die Tiere zu stören. Nun im Herbst ist nur noch der Nistplatz zu sehen. Die Greifvögel sind längst ausgeflogen. Dafür hüpft eine Wasseramsel an einem der Wasserfälle entlang.
Bei der Gebietskontrolle hat Schmidt jedoch nicht allein die Tierwelt im Blick. Kurz vor dem Wasserfällen hängt ein großer Ast abgebrochen in einem Baum. Solche Beobachtungen entlang der offiziellen Wege melden die Ranger an die Förster. Denn auch wenn im Park in der Kernzone und in der Entwicklungszone abseits der Wege Sturmschäden nicht beseitigt werden, gilt entlang der viel begangenen Wanderrouten die Wegesicherungspflicht.
Wenige Meter von dem abgebrochenen Ast entfernt liegt bereits der Stamm einer Buche am Hang, das Ende knapp vor dem Wanderweg zu den Wasserfällen. Der Baum ist bereits mit Moos überwachsen. Er war bei einem früheren Sturm so geschädigt worden, dass er im Rahmen der Wegesicherung gefällt werden musste. Nun liegt er dort und trägt dazu bei, den Nationalpark im Laufe der Jahre „eine Spur wilder“ zu machen. Das ist das Motto des Parks, denn bis aus bewirtschafteten Wäldern wieder eine Wildnis wird, vergehen nicht nur Jahrzehnte, sondern Jahrhunderte. Die Buche ist im Nationalpark etwas Besonderes. Es gibt sie nicht so häufig dort. „Wir haben letztes Jahr im Nationalpark zum ersten Mal den Buchenstachelbart nachgewiesen. Das ist ein ganz seltener Pilz, der altes absterbendes Buchentotholz braucht“, erzählt Schmidt begeistert. Für diesen Pilz gibt es in Deutschland nur wenige Nachweise.
In den Wasserfällen entdeckt Schmidt kurz darauf eine Plastikflasche, die sich verfangen hat. Vom Weg ist sie nicht zu erreichen. Da wird demnächst mal wieder ein Gang mit Wathosen durchs Wasser notwendig um den Müll einzusammeln. Und auch eines der neuen Nationalparkschilder, das erst vor zwei Wochen aufgehängt worden ist, wurde schon wieder beschmiert. Schilder werden immer wieder abgerissen und zerstört und müssen ersetzt werden.
Ein Problem sind auch Wanderer, die abseits der Wege unterwegs sind und beispielsweise brütende Auerhühner stören. Haben sie bereits Jungtiere, kann es passieren, dass diese von der Henne getrennt werden, weil die Tiere kopflos in unterschiedliche Richtungen laufen.
Viele Menschen sind einsichtig, wenn die Ranger mit ihnen sprechen. Jedoch nicht alle. Die Ranger können auch Platzverweise erteilen oder Bußgelder erheben. Wenn es für sie gefährlich wird, etwa weil Menschen aggressiv werden, ziehen sie sich zurück. Dann muss die Polizei tätig werden.
Zwei Drittel der Arten im Südwesten brauchen Alt- und Totholz
Nach den Wasserfällen geht es erstmal durch den Herbstwald bergauf. Die Runde bei Allerheiligen ist mit 4,5 Kilometern eine der kleineren. So eine Runde machen die Ranger dann auch durchaus zweimal am Tag. Andere Runden dauern deutlich länger, sind bis zu 20 Kilometer lang.
Kurz darauf kommt Schmidt an einer Blockhalde vorbei. Diese sind oft so tief, dass Bäume da nicht ans Grundwasser kommen können. Deshalb bleiben sie überwiegend vegetationsfrei – und das seit der letzten Eiszeit. In solchen Gebieten leben etwa Spinnen und Käfer, wie die Blockhaldenwolfsspinne. Die ist gut getarnt und sieht aus wie eine Flechte auf einem Stein.
Es geht weiter bergauf. Die Wege werden schmaler. Man sieht abgestorbene und umgefallene Bäume zwischen den Nadel- und Laubbäumen. Moose überziehen den Hang. Der Ruf eines Spechts erklingt. Schmidt erläutert: „Das ist signifikant für ein Schutzgebiet. Je älter der Wald wird, desto höher ist auch die Anzahl an Spechten. Denn es entsteht immer mehr Brutraum.“
Weiter oben oben im Nationalpark gibt es inzwischen sogar den Dreizehenspecht. Der galt im Schwarzwald als ausgestorben. Er ist aus dem französischen Jura zurückgewandert und profitiert enorm von Bäumen, die vom Borkenkäfer befallen sind. „Der frisst bis zu 400 000 Borkenkäfer in einer Saison“, erzählt Schmidt, der ein forstwirtschaftliches Studium absolviert hat. Nicht allein Spechte brauchen Alt- und Totholz. „Zwei Drittel der Arten in Baden-Württemberg sind darauf angewiesen“, so der Ranger.
Kurz vor Ende des Kontrollgangs wird es dann laut. Ein Teil des Wanderwegs wird wieder gerichtet. Er wurde vom Regen unterspült. Denn: Mit Niederschlagsmengen von bis zu 2700 Millimetern liegt der Nationalpark Schwarzwald in ein einer der niederschlagreichsten Regionen in Deutschland außerhalb der Alpen. Und das merkt man auch an diesem Donnerstag. Gegen Ende des Kontrollgangs fängt es prompt an zu regnen. Mit dem Auto geht es dann noch zu einer Wettermessstation in der Nähe. Hier liest Schmidt für die Wissenschaftler die Daten aus.
Der Nationalpark Schwarzwald
Der Nationalpark besteht aus zwei Teilbereichen um den Ruhestein und den Hohen Ochsenkopf im Nordschwarzwald. Er liegt knapp über der empfohlenen Mindestgröße von 10 000 Hektar für Nationalparks in Deutschland. Derzeit wird eine Erweiterung und die Weiterentwicklung des Gebiets diskutiert. Ein Ziel ist es, die beiden Teilbereiche zu verbinden. Dazu muss das Land allerdings Waldgebiete tauschen. Denn die Wälder dazwischen gehören nicht dem Land.
Im Nationalparkzentrum am Ruhestein können Besucher sich in einer Ausstellung über das Schutzgebiet und seine Tier- und Pflanzenwelt informieren. Hier sehen sie unter anderem auch Videoaufzeichnungen von Wildtierkameras mit Dachs, Fuchs, Reh und Auerhahn.