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Offener Vollzug

Wo Gefangene in Weinbau und Landwirtschaft arbeiten

Die Staatsdomäne Hohrainhof ist die landwirtschaftliche Außenstelle der Justizvollzugsanstalt Heilbronn. Dort arbeiten Gefangene im offenen Vollzug in Landwirtschaft und Weinbau. In diesem Jahr ist die Umstellung auf ökologische Landwirtschaft abgeschlossen, der erste Biowein wird gekeltert. Justizministerin Marion Gentges war bei der Traubenlese dabei.

Justizministerin Marion Gentges besuchte kürzlich zur Traubenlese des ersten Bioweins die landwirtschaftliche Außenstelle Hohrainhof der Justizvollzugsanstalt Heilbronn.

Justizministerium BW)

Heilbronn. „Nicht auf diese Weise! Schauen Sie, so geht es am besten!“ Tim und Lukas (Namen von der Redaktion geändert) setzen die Scheren gekonnt an die Reben und zeigen, wie diese korrekt geschnitten werden. Die beiden jungen Männer lesen Trauben bei der Staatsdomäne Hohrainhof – und die Ernte ist im Herbst 2024 etwas Besonderes. Denn aus den Beeren, die da in die Butten und Körbe wandern, wird der erste Biowein gekeltert werden.

Auf dem Gut wird in diesem Jahr die Umstellung auf ökologische Landwirtschaft abgeschlossen, alle Produkte – ob Wein, Obst, Gemüse oder Rindfleisch – gibt es nun in Biolandqualität. Der Hohrainhof in Talheim ist auch in anderer Hinsicht ein außergewöhnlicher. Er ist eine Außenstelle der Justizvollzugsanstalt Heilbronn: Gefangene im offenen Vollzug sind dort in der Landwirtschaft und im Weinbau tätig.

Es gibt neue Etiketten für 32 Weine und Sekte: „Gereift im Gefängnis“

Auf elf Hektar Rebflächen werden jährlich im Weinbaubetrieb der Staatsdomäne zwischen 50 000 und 60 000 Liter Rot- und Weißweine produziert – in den Lagen Talheimer Hohe Eiche und Talheimer Schlossberg –, hinzu kommen Säfte, Secco und Sekt im traditionellen Flaschengärverfahren. Derzeit werden außerdem die Etiketten für die 32 Weine und Sekte überarbeitet nach dem Motto „Gereift im Gefängnis“.

„Durch die Umstellung auf biologische Landwirtschaft erhoffen wir uns, dass wir weitere Absatzmärkte und weitere Verbraucherinnen und Verbraucher mit unseren qualitativ erstklassigen Produkten erreichen können“, wird in der Staatsdomäne betont. „Die Nachfrage an Bio-Produkten und der Wunsch der Verbraucherinnen und Verbraucher nach regionalen Produkten ist zweifelsohne da“, heißt es weiter.

Um sich von den ökologischen Neuerungen ein Bild zu machen, ist denn auch Marion Gentges (CDU), Ministerin der Justiz und für Migration, zu Gast bei der Biowein-Traubenlese und schultert im Weinberg die Butte. „Die Staatsdomäne Hohrainhof wurde seit September 2020 nachhaltig und zukunftsfähig neu ausgerichtet“, betont sie. „Als staatliche Institution sind wir uns unserer Verantwortung Natur und Umwelt gegenüber bewusst.“

Baden-Württemberg wolle die ökologische Wende voranbringen. Da müssten gerade auch die staatlichen Einrichtungen ein Vorbild sein und vorangehen. „Mit der heutigen Lese des ersten Bioweins können wir mit Stolz sagen: Die Landwirtschaft in unserem Vollzug ist ökologisch und auf höchstem Standard“, so die Justizministerin.

Das einzige Bundesland, das Weinbau im Justizvollzug betreibt

Baden-Württemberg ist das einzige Bundesland, das Weinbau im Justizvollzug betreibt. Die Außenstelle Hohrainhof verfügt über 32 Haftplätze für männliche Gefangene. Derzeit sind laut Andreas Vesenmaier, Leiter der Justizvollzugsanstalt Heilbronn, 29 davon besetzt. „Auf dem Hof leben und arbeiten Gefangene in Gemeinschaft mit anderen Mitgefangenen, die sich im geschlossenen Vollzug bewährt haben. Sie bilden Wohngruppen und sind fester Bestandteil der Einrichtung“, beschreibt er.

Ziel sei es, dass die Insassen beaufsichtigt, angeleitet und begleitet von Vollzugsbediensteten – in einem kontrollierten Rahmen das notwendige Rüstzeug an die Hand bekommen, um nach ihrer Entlassung ein Leben ohne Straftaten führen zu können. „Hier auf dem Hof werden Werte vorgelebt und unterschiedlichste Kompetenzen vermittelt.“

So arbeiteten sie nicht nur in der Landwirtschaft und im Weinbau, sondern seien eingebunden in all die vielfältigen Tätigkeiten, die in einer Landwirtschaft anfallen können – von Ackerbau über Gemüseanbau bis zur Viehhaltung und der Vermarktung im Hofladen, so Vesenmaier. „Manchmal besuchen uns Ehemalige, die uns sagen, hier hat sich mein Leben geändert, ihr habt geholfen. Das ist eine schöne Bestätigung“, schildert er.

Die Staatsdomäne Hohrainhof ist denn auch ein landwirtschaftlicher Betrieb, wie es in dieser Gestalt nur noch wenige gibt. Die umliegenden Wiesen und Weiden – sie machen rund 100 Hektar aus – dienen dazu, Grünfutter und Heu zu gewinnen. Neben Zuckerrüben und Raps wird auf den Äckern überwiegend Mais und Getreide als Futter für den Viehbestand angebaut. In den Ställen und Wiesen wiederum werden Limpurger Rinder gehalten. Das Limpurger Rind, auch Leintäler genannt, ist die älteste Rinderrasse Württembergs.

Die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen hat diese Rasse 2019 in die Kategorie I, also als extrem gefährdet, der Roten Liste eingestuft. Sie war 2011 gefährdete Nutztierrasse des Jahres. Im September 2013 hat zudem die Europäische Kommission den Weideochsen vom Limpurger Rind in die Liste der geschützten Ursprungsbezeichnungen aufgenommen.

Kaum verwunderlich, dass sich der Hohrainhof, eingebettet in Hügel, als Idylle präsentiert, wenn man auf ihn zufährt. Das ist die Umgebung, in der die Gefangenen die letzte und wichtigste Stufe „der Regeln des freien Lebens“ einüben, wie der Weg in der Resozialisierung beschrieben wird, also der Wiedereingliederung in die Gesellschaft.

Im offenen Vollzug erhält der Insasse denn auch in regelmäßigen Abständen Ausgänge und Urlaub. Wenn jemand das allerdings ausnutzt, hat das Konsequenzen zur Folge. Dann gehe es lange zurück in den geschlossenen Vollzug, so Gentges.

Justizministerium unterstreicht das wichtige Ziel der Resozialisierung

Die Justizministerin unterstreicht das wichtige Ziel der Resozialisierung. Und gerade die biologische Landwirtschaft könne hier ein ideales Lernfeld bieten. „Diese Form der Landwirtschaft lebt von einem respektvollen Umgang mit Tier, Natur und Umwelt.“ Außerdem erlebten die Gefangenen im offenen Vollzug auf dem Hohrainhof Selbstwirksamkeit, also was mit der eigenen Hände Arbeit entsteht.

Erfolgserlebnisse und die Übernahme von Verantwortung wiederum stärkten das Selbstbewusstsein und schafften Identifikation mit dem Tun und der Umwelt. Hinzu kämen weitere positive Faktoren, die für das Leben draußen befähigten.

So gebe es etwa einen strukturierten Tagesablauf, das Sozialverhalten werde gefördert, die Konfliktfähigkeit verbessert, Ausdauer und Motivation gestärkt, das Interesse geweckt und neue Erfahrungen gemacht.

Die Arbeit mit Tieren in einer ländlichen Umgebung gebe so einen Tagesrhythmus, deren Sinn für die Insassen unmittelbar erlebbar sei, sagt Ministerin Gentges. Manch harter Panzer werde geknackt, wenn man bei der Geburt eines Kalbes dabei gewesen sei, ja gar mitgeholfen habe, es auf die Welt zu bringen. „Das löst Emotionen aus. Tiere nehmen dich ohne Vorurteile, Vorbehalte und ohne deine Vorgeschichte an.“ Diese positiven Auswirkungen bestätigen auch die Evaluationen am Hohrainhof, der bereits seit dem Jahr 1945 Außenstelle der Justizvollzugsanstalt Heilbronn ist.

Die Insassen können sich als Teil einer Gemeinschaft erleben

„Durch die Übertragung von Verantwortung für Tiere und Pflanzen und die Einbindung der Gefangenen in die täglich anfallenden Arbeiten erleben die Insassen hautnah, dass sie Teil der Gemeinschaft sind und wie wichtig und sinnvoll ihr Part beziehungsweise ihre Arbeit für die Erreichung eines gemeinsamen Ziels ist“, heißt es beim Hohrainhof. Und „gleichzeitig wird durch die Einbindung der Gefangenen in die Arbeitsprozesse eine besondere Bindung geschaffen, die den Gefangenen Halt gibt.“

Lange galt der Hohrainhof als einzige Justizvollzugseinrichtung weltweit, wo Wein vor Ort nicht nur angebaut, sondern auch ausgebaut wird. Als Ausbau werden alle kellerwirtschaftlichen Arbeiten zwischen Ende der Gärung und Abfüllung bezeichnet. Doch inzwischen hat der „Hohrainhof“ mindestens in Europa Schule gemacht. Seit dem Jahr 2002 gibt es auch in Italien Wein aus einer Justizvollzugsanstalt: In Velletri bei Rom keltern Häftlinge Weißwein.

Staatsdomäne Hohrainhof

In der Staatsdomäne Hohrainhof, seit dem Jahr 1945 Außenstelle der Justizvollzugsanstalt Heilbronn für offenen Vollzug, sind Gefangene untergebracht, die aufgrund der Zulassung zum offenen Vollzug in regelmäßigen Abständen Ausgänge und Urlaub erhalten. Der Hof liegt wenige Kilometer südlich der Stadt in freier Natur oberhalb eines Rains, also Abhangs. Seine Geschichte beginnt Anfang des 16. Jahrhunderts, 1918 wurde der Hof Eigentum des Landes. Das Gebäudeensemble besteht aus zwei Ställen, zwei Unterkunftsgebäuden, einem Keltergebäude und einer Kapelle. Die Kapelle, erbaut 1707, ist das älteste Gebäude der historischen Hofanlage.

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