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Interview: Oberbürgermeister Matthias Knecht

OB Matthias Knecht: „Wir sind bei Geflüchteten an der Kapazitätsgrenze“

Flüchtlinge unterzubringen, ist für viele Kommunen eine Herausforderung. Matthias Knecht, Oberbürgermeister von Ludwigsburg, schildert, wie seine Stadt damit umgeht. Das Interview mit ihm führten Daniel Buck und Maximilian Meindorfer, beides Studenten der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg.

Teilnehmer des Fachprojekts der Hochschule Ludwigsburg mit Oberbürgermeister Matthias Knecht (ganz r.).

Stadt Ludwigsburg)

Staatsanzeiger: Wie ist die aktuelle Flüchtlingssituation in Ludwigsburg?

Matthias Knecht: Im Vergleich zu 2022 und 2023 haben wir eine deutlich verbesserte Situation, was die Anzahl der Geflüchteten betrifft, die bei uns ankommen. Damals kamen zahlreiche Menschen aus Asien und Afrika und vor allem der Ukraine. Im Herbst 2023 haben wir einen Brandbrief an die Bundesregierung geschrieben. Denn die Kommunen waren zu diesem Zeitpunkt an der Grenze der Belastbarkeit angelangt. Aber 2024 und bis heute hat sich die Situation entspannt. Wenn wir dennoch darüber reden, dass wir an der Kapazitätsgrenze sind, dann ist das weniger ein quantitatives Problem – also nicht ein reines Mengenproblem – sondern ein qualitatives.

Was meinen Sie damit?

Es gibt einige Herausforderungen, vor allem mit Menschen, die sich schwer integrieren, trotz Integrationskursen, Sprachangeboten und Sozialarbeit. Zudem sehen wir es an bestimmten Straftaten. Wobei ich klar sage: Die sind nur von sehr wenigen Geflüchteten begangen worden. Aber es ist das Thema Sicherheit, was in der Öffentlichkeit sehr stark wahrgenommen wird. Es ist auch im Bundestagswahlkampf thematisiert worden. Die mengenmäßige Belastung ist zwar geringer geworden. Aufgrund von Sicherheitsfragen entstehen aber neue Herausforderungen für Städte und Gemeinden.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Ja, zum Beispiel haben wir nach den jüngsten Anschlägen entschieden, rund um den Marktplatz aus- und einfahrbare Poller anzubringen. Das kostet uns mindestens 300 000 Euro. Es ist also auch ein finanzielles Thema, das dadurch entstanden ist. Aber es bedeutet nicht, dass die Zahl der Geflüchteten größer geworden ist.

Wie ist der Stadt Ludwigsburg die Unterbringung der Geflüchteten gelungen?

Wir haben viele Wohnungen, Hotelzimmer und Häuser angemietet und dort die Geflüchteten gut untergebracht. Container waren kaum notwendig. Wir hatten bereits Baubeschlüsse für mehrere Container gefasst, aber diese bis heute nur in einem Fall gebraucht. Wir haben aktuell sogar einige leerstehende Objekte. Die Stadt Ludwigsburg ist für die Anschlussunterbringung zuständig – also den letzten Schritt der Unterbringung, in dem auch die Integrationsarbeit beginnt.

Flüchtlinge werden oft negativ wahrgenommen. Wie erleben Sie die Stimmung in der Stadtgesellschaft?

Die Stimmung ist unterschiedlich. Ich würde sagen, dass der weitaus größte Teil der Bevölkerung Geflüchteten positiv gegenübersteht. Nur wenige sind wirklich kritisch. Nicht, weil sie grundsätzlich gegen Menschen von anderswo sind, sondern, weil sie befürchten, dass etwa eine kleine Wohnstraße durch eine größere Unterkunft für Geflüchtete sozial überlastet wird. Aber insgesamt bleibt die Stimmung in Ludwigsburg positiv. Natürlich gibt es einen kleinen Teil der Bevölkerung, der das anders sieht – das zeigen die 9,5 Prozent der AfD bei der Gemeinderatswahl.

Wie kann die Akzeptanz in der Stadtgesellschaft erhöht werden?

Wir arbeiten eng mit Kirchen, sozialen Organisationen und Vereinen zusammen, um positive Beispiele sichtbar zu machen. Es gibt Geflüchtete bei der Feuerwehr und unseren Technischen Diensten. Es sind Übersetzer aus der Ukraine im Einsatz. Wir versuchen, Erfolgsgeschichten in der Presse, in Sozialen Medien und in direkten Gesprächen zu kommunizieren. Solche Geschichten helfen, ein realistisches Bild zu vermitteln. Es wird immer eine Gruppe geben, die ablehnend bleibt. Aber unser Ziel ist es, möglichst viele zu gewinnen.

Wie nehmen Sie die Integration der Geflüchteten selbst wahr?

Viele nehmen an Sprachkursen teil, nutzen Bildungsangebote und wollen arbeiten. Natürlich gibt es auch Menschen, die sich in ihre eigenen Kreise zurückziehen. Das ist eine Herausforderung, die wir kritisch sehen.

Wie könnte die Integration von Geflüchteten verbessert werden?

Es würde extrem helfen, bürokratische Hürden abzubauen. Es kostet viel Zeit, Formulare und Anträge auszufüllen, Rücksprachen mit Konsulaten, dem Landkreis, dem Regierungspräsidium zu führen und so weiter. Uns würde es zudem sehr helfen, wenn es immer gelingen würde, Geflüchtete schnell in Arbeit zu bringen. Denn Arbeit ist der Schlüssel zur Integration!

Haben Sie ein persönliches Motto, mit dem Sie die Situation angehen?

Mein übergreifendes Motto ist: Verwaltung und Stadt aus der Perspektive der Bürgerinnen und Bürger zu denken. Bezogen auf Geflüchtete bedeutet das, sich in ihre Lage zu versetzen: Was treibt diese Menschen um? Was brauchen sie, um gut anzukommen? Die Geflüchteten kommen mit guten Absichten. Der Großteil sucht Frieden, Sicherheit, Bildung und Arbeit. Und genau das sind auch die Grundwerte unserer Gesellschaft. Wenn wir es schaffen, diese Bedürfnisse zusammenzubringen, also die Erwartungen der ansässigen Bevölkerung mit denen der Neuankömmlinge zu vereinen, dann wird das ein entscheidender Erfolgsfaktor sein.

Mehr zum Thema

Auf der Seite „Aus der Hochschule Ludwigsburg“ der Printausgabe kommen Studierende der Hochschule für Finanzen und Öffentliche Verwaltung in Ludwigsburg zu Wort. Sie erscheint vier Mal im Jahr im Wechsel mit der Seite „Aus der Hochschule Kehl“. Die Studierenden berichten aus erster Hand, was den Nachwuchs der öffentlichen Verwaltung umtreibt. Sie wählen alle Themen auf der Seite selbst aus und bringen sie selbstständig zu Papier. Alle sind Studierenden haben am Fachprojekt „Professionelle Pressearbeit“ teilgenommen. Geleitet hat dieses Breda Nußbaum, bis 2022 Chefredakteurin des Staatsanzeigers.

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