Themen des Artikels
Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen
„Wichtig wäre, dass Vertrauen da ist“
Stuttgart. Mit dem Hellfeld sexueller Übergriffe in der Landesverwaltung hat sich Bärbel Hönes befasst. Der Ausschuss hatte die frühere Sinsheimer Strafrichterin als Ermittlungsbeauftragte eingesetzt. Für ihren im vergangenen Herbst vorgestellten Bericht wertete sie Akten zwischen 2012 und 2022 und knapp 100 Fälle in Behörden des Landes aus, „überwiegend niederschwellige Handlungen einzelner Personen, ohne dass ein strukturelles Problem zu erkennen wäre“.
Eine Bachelor-Arbeit, geschrieben an der Hochschule der Polizei Baden-Württemberg (HfPol), kam 2020 jedoch zu einem anderen Ergebnis: 21 Prozent der Befragten gaben an, schon einmal sexuell belästigt worden zu sein, vor allem aber konnten sich nur 38 Prozent davon entschließen, den Vorfall auch zu melden. Antworten auf die vielen Fragen nach dem Warum dieser Diskrepanz und der Zurückhaltung, sich zu offenbaren, hat Schatz auch nicht. Der 64-Jährige ist 1978 in den Polizeidienst im Land eingetreten und als Präsident a.D. der HfPol geladen.
Er lobt die vielen Ansprechpersonen, an die sich Betroffene wenden könnten, beklagt aber, dass diese Angebote nicht ausreichend genutzt würden. „Eher kritisch“ sieht er Dienstvereinbarungen, denn die könnten befolgt werden oder auch nicht. „Wichtig wäre, dass Vertrauen da ist“, sagt der frühere Landeskriminaldirektor, also der ranghöchste Kriminalbeamte im Land. Und er wird persönlich: Er habe keine Töchter, sich aber immer wieder überlegt, was er raten würde. Eine Antwort auf diese Frage hat er nicht, eine Blaupause für den Umgang mit sexuellen Übergriffen gebe es einfach nicht.
Erhebliche Diskrepanz zwischen Hell- und Dunkelfeld
Nach Schatz‘ langer Erfahrung kann ein Grund, Vorfälle nicht zu melden, die Zusammenarbeit im Team sein. Bei der Polizei seien Menschen „sehr stark aufeinander fixiert“. Vielleicht begünstige „so etwas die Zurückhaltung“. Da überlegten sich Kolleginnen, was sie machen und ob sie überhaupt aktiv werden sollten. Ein Bewusstseinswandel sei schwierig: „Wenn ich wüsste, wie man das hinkriegt, dass mehr Fälle weiterverfolgt werden, würde ich das sofort machen.“ Thema im Ausschuss war keineswegs nur die eine Bachelor-Arbeit, eine Zweite wurde nicht mehr geschrieben, nach Rücksprache mit dem Innenministerium.
Schatz war mit dem Fall nicht befasst, kann sich auch keinen Reim über die Hintergründe machen. „Ich spekuliere“, sagt er an einer Stelle, vielleicht habe die Anlage der Arbeit nicht gepasst. Über die Themen der mehr als tausend Bachelor-Arbeiten pro Jahr, aufgeführt in einer Liste, werde das Innenministerium informiert. Ihm sei kein Fall von Zurückweisung bekannt, er habe sich im Gegenteil immer gefreut, „wie vielfältig wir aufgestellt sind“ und wie gut die Arbeiten „zur Breite polizeilicher Praxis passen“. Die erhebliche Diskrepanz zwischen Hell- und Dunkelfeld spielte im Polizeipräsidium Ludwigsburg schon allein deshalb eine Rolle, weil sich Beamte zur Teilnahme bereit erklärt hatten. Ohne Anlass, wie der pensionierte Ex-Präsident Burkhard Metzger berichtete, sondern aus Überzeugung: „Wir haben ein Interesse daran gehabt und „mehrere Veranstaltungen zu diesem Thema gemacht, um klar zum Ausdruck zu bringen: Wenn was vorfällt, bitte melden“. Nicht das Opfer sei schuldig, sondern der Täter.
Die Zeugenvernehmung soll vor der Sommerpause abgeschlossen sein
Auch Metzger machte deutlich, dass Kontakte von Betroffenen unterschiedlich empfunden werden, etwa danach, ob einem ein Mensch sympathisch sei oder nicht, dass dennoch aber gelten müssen, Übergriffe hätten keinen Platz bei der Polizei. Mit dem Ergebnis hat im Ludwigsburger Präsidium niemand gerechnet. „Es wäre Sache des Innenministeriums gewesen“, sagt der Zeuge, „es in die entsprechenden Gremien hineinzutragen.“ Dort zogen die Verantwortlichen jedoch, ausweislich der Akten, einen anderen Schluss: Sie verhinderten eben jene zweite Bachelor-Arbeit, die zum Thema „Sexuelle Übergriffe“ überlegt wurde, als „nicht geeignetes Instrument“.
Die nächste Sitzung findet am 17. Februar statt. Nach aktuellem Zeitplan sollen die Zeugenvernehmungen vor der Sommerpause abgeschlossen sein.
U-Ausschuss: „Die Arbeit ist der Mühe wert“ | Staatsanzeiger BW Goll kritisiert Innenministerium: „Gerede von der maximalen Transparenz“ bei Polizeiaffäre sei „reines Lippenbekenntnis“ | Staatsanzeiger BW
Neue Vorwürfe gegen Führungskräfte
Innenminister Thomas Strobl (CDU) hat kürzlich im Innenausschuss des Landtags über die Vorwürfe gegen Polizeibeamte berichtet. Im Rahmen der Ausbildung müssen angehende Polizisten einen 5000-Meter-Lauf absolvieren. Ein Prüfling soll die Mindestzeit nicht erreicht haben, was zur Entlassung hätte führen müssen.
Laut anonymem Hinweisgeber sei die Zeit geändert und ein entsprechendes Zeugnis ausgestellt worden. Die Vorwürfe richten sich gegen vier höherrangige Polizeibeamte und eine Tarifbeschäftigte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, ein Disziplinarverfahren wurde eingeleitet. (lsw)