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Essay

Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt

Über die Umstände rund um das Aus für das Antidiskriminierungsgesetz wird noch zu reden sein, findet Politikredakteur Michael Schwarz. 

Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Staatsminister Florian Stegmann, Amtsschef der Staatskanzlei.

dpa/Bernd Elmenthaler/Geisler-Fotopress)

Es handelt sich nicht um die Emser Depesche, die Otto von Bismarck den willkommenen Anlass bot, den deutsch-französischen Krieg von 1870/1871 vom Zaun zu brechen. Doch auch diese Veröffentlichung eines Briefes, der nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war, hat das Zeug, maximalen Schaden zu verursachen. Wer auch immer die Idee hatte, ein Schreiben des Staatsministers im Staatsministerium an den Grünen-Fraktionsvorsitzenden, in dem es darum geht, das Antidiskriminierungsgesetz fallen zu lassen, an die Medien zu lancieren, kann kein Freund der Grünen gewesen sein.

So entsteht der Eindruck völliger Führungslosigkeit bei den grünen Akteuren, und die CDU, die den Brief nicht bekommen hat, und alle anderen, die immer schon dagegen waren, lachen sich ins Fäustchen.

Mit dem Quasi-Verzicht auf ein Antidiskriminierungsgesetz geben die Grünen ein für sie wichtiges Thema auf. Politik ist ein Geben und Nehmen und wer bereit ist – und das scheint Ministerpräsident Winfried Kretschmann zu sein –, ein zentrales Anliegen seiner Partei zur Disposition zu stellen, der muss dafür etwas bekommen. Stattdessen räumt das Staatsministerium kampflos Positionen, für die die Fraktionslinke seit Jahren kämpft – auf die Idee muss man erstmal kommen.

Selbstverständlich kann man über die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes unterschiedlicher Meinung sein. Die Kritiker argumentieren unter anderem damit, dass der Gleichheitsgrundsatz bereits im Grundgesetz stehe. Mehr Bürokratie und wenig Nutzen hat sogar der grüne Vorsitzende des Normenkontrollrats bemängelt, Wirtschaft und zahlreiche Verbände – nicht alle, Verdi und der VdK sind dafür – laufen Sturm dagegen. Doch das Antidiskriminierungsgesetz hätte nichts anderes getan, als einen Grundgesetzartikel zu konkretisieren. Die Verfassung kann schließlich nicht jedes Detail regeln.

„Wir stehen weiter darüber im Austausch“

Das Entscheidende ist aber: Die Aufgabe dieses Vorhabens, das nicht mehr so recht in die Zeit zu passen scheint, in der es eher darum geht, die Demokratie wetterfest zu machen, als die Gesellschaft fortzuentwickeln, hätte anders kommuniziert werden müssen. Der dürre Satz, den Kretschmann aus Chisinau, der Hauptstadt der Republik Moldau, zu diesem Thema übermittelte, sagt alles: „Wir stehen weiter darüber im Austausch, wie wir die Ziele des Gleichbehandlungsgesetzes wirksam und unbürokratisch erreichen.“ Der Ministerpräsident wurde auf seiner Reise nach Südosteuropa von der Veröffentlichung kalt erwischt und versucht nun, die Scherben zu kitten. Er weiß genau, was es bedeutet, wenn man eine Koalition leichtfertig aus dem Gleichgewicht bringt.

Zumal es Grün-Schwarz ohnehin nur noch mit Mühe – Kretschmann und seinem Vize Thomas Strobl sei Dank – gelingt, einigermaßen Kurs zu halten. In beiden Parteien gibt es genügend Persönlichkeiten, die einander alles andere als das Beste wünsche. Und CDU-Partei- und Fraktionschef Manuel Hagel hat den Wahlkampf längst gestartet, obwohl er offiziell noch nicht einmal aufs Schild gehoben wurde. Sein potenzieller Widersacher wiederum, Cem Özdemir, hat sich noch nicht erklärt, läuft sich aber auch schon warm.

Staatskunst besteht auch darin, die Dinge erst herauszuposaunen, wenn sie spruchreif sind

Es wäre im Sinne der Menschen in Baden-Württemberg, wenn dieser Vorfall singulär bliebe. Niemand hätte etwas davon, wenn sich Grün-Schwarz nach dem Vorbild der Ampel zerfleischt. Auch, um den Populisten von Rechts und Links kein Futter zu geben. Bis zum Ende der Legislaturperiode sind es noch anderthalb Jahre. Bis dann muss das Land ordentlich regiert werden.

Staatskunst besteht auch darin, die Dinge erst dann herauszuposaunen, wenn sie spruchreif sind. Bismarck wusste genau, was er tat, als er die Emser Depesche, die ursprünglich nur für den internen Gebrauch vorgesehen war, veröffentlichte. Ob man im Staatsministerium so ganz genau weiß, was man weshalb tut, daran bestehen erhebliche Zweifel.

Vielleicht muss der Ministerpräsident nach seiner Rückkehr in die Villa Reitzenstein einmal kräftig auf den Tisch hauen. Es kann ja nicht sein, dass sich sein Staatsministerium mit Florian Stegmann an der Spitze selbstständig macht. Schon bei der Affäre rund um die mögliche Verbeamtung von Pressesprechern und Redenschreiber bekam man ja den Eindruck, als würde der Chef nur noch nachvollziehen, was seine Beamten beschließen. Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt, ist alles zu spät. Es sei denn, der Hund fasst sich ein Herz und beißt zurück.

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