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Katastrophenschutz

Katastrophenschutzübung „Magnitude“: Was die Retter machen, wenn die Erde bebt

In Baden-Württemberg hat die größte Übung innerhalb des EU-Katastrophenschutzverfahrens stattgefunden, die je in Deutschland organisiert wurde. Bei der „Magnitude“ kooperierten Fachleute aus Europa, um die Katastrophenvorsorge zu verbessern.

Patienten werden von DLRG und Feuerwehr versorgt und betreut. Mittendrin in einem Übungsszenario in Mannheim macht sich Innenminister Thomas Strobl ein Bild von der europaweiten Großübung Magnitude, für die er sich stark gemacht hat.

Petra Mostbacher-Dix)

Mannheim/Mosbach. „Er hat vorhin noch reagiert.“ Ein Mitarbeiter der Feuerwehr Wien berührt vorsichtig einen Mann, der in einer Auffangwanne am Rheinufer liegt, spricht ihn an. Nichts! Er ruft – und die Sanitäterinnen und Sanitätern des Deutschen Roten Kreuzes sind zur Stelle, kümmern sich um den Bewusstlosen. Diesen auf die Wanne gerettet hatten zuvor Personen in orangefarbenen, gasdichten Chemikalienschutzanzügen. Liegt doch eine „CBRN-Lage“ vor, also eine chemische, biologische, radiologische und nukleare Gefahrenlage.

Auf dem Rhein havarierte ein Schiff, brannte, Aceton trat aus. Dass detektierte die Analytische Task Force. Nun müssen Verletzte versorgt und dekontaminiert werden, während auf dem Schiff noch gelöscht wird. Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) lässt Drohnen aufsteigen, um sich stetig einen Überblick zu verschaffen. Die laufenden Bilder werden in Echtzeit auf Monitore übertragen.

Was so real wirkt, ist eine Übung im Hafen Mannheim auf der Mobilen Übungsanlage Binnengewässer. Keine der üblichen Trainingseinheiten: Es handelt sich um einen Teil von „Magnitude“. So heißt die größte und internationale Übung im Katastrophenschutzverfahren der Europäischen Union, dem Union Civil Protection Mechanism, die zum ersten Mal in Deutschland organisiert wurde. Drei Tage – von 24. bis 26. Oktober – wurde in Mosbach , Mannheim, Bruchsal und Schwarzach, ein Erdbebenszenario am Oberrhein simuliert.

„Wir bewarben uns dafür bei der EU und bekamen den Zuschlag“, freut sich Innenminister Thomas Strobl (CDU). Als erstes Land in der Bundesrepublik Deutschland habe man mit ‚Magnitude‘ auf baden-württembergischen Boden die Kooperation und das Zusammenwirken mit Einsatzkräften anderer EU-Mitgliedstaaten proben können, sagt er.

Geübt wurde ein Erdbebenszenario mit 109 Toten und 825 Verletzten

Nordbaden als Schauplatz habe seinen Grund. „Der Oberrheingraben ist durch die Plattentektonik und einen Grabenbruch ein erdbebengefährdetes Gebiet“, so Strobl, das fiktive Szenario erläuternd. „Ein Erdbeben um 5:51 Uhr mit einer Stärke von 6,9, das Epizentrum liegt bei Mosbach. Es gibt 109 Tote, 825 Verletzte, 500 Vermisste und über 2000 Obdachlose“.

Und die Lage bewältigen, das übten 950 Helfende, Ehren- und Hauptamtliche, von über 30 Organisationen aus Österreich, Griechenland, der Schweiz und Frankreich. Sie retteten, bargen, versorgten, transportierten, identifizierten und spielten die Rollen der Verängstigten, Verletzten und Verstorbenen. Rückblick: Eine Woche zuvor startete das Megatraining am Schreibtisch mit einer Stabsrahmenübung. Vertreterinnen und Vertreter des Innenministeriums und der Katastrophenschutzbehörden konzipierten da die Organisationsprozesse für einen reibungslosen Ablauf, etwa Registrierungsplätze, Unterbringen der internationalen Teams und auch deren Betreuung.

Am ersten Tag der „Magnitude“ dann, an dem die internationalen Teams ankamen, begannen Räumarbeiten, die notwendigsten Infrastruktur wurde aufgebaut, Trinkwasseraufbereitungsanlagen installiert, um alle mit sauberem Nass zu versorgen. Bei der Havarie in Mannheim allein waren 220 Personen beteiligt – von DLRG, Johanniter-Unfall-Hilfe, Malteser Hilfsdiensts, DRK, Arbeiter-Samariter-Bund (ABS), Katastrophenschutz des Landkreises Karlsruhe, Feuerwehr Mannheim. Außerdem zwei Einheiten zur Abwehr chemischer, biologischer sowie radiologischer und nuklearer Gefahren aus Griechenland und Österreich.

Menschen mit höherem Hilfebedarf werden evakuiert

Einige Kilometer weiter in Schwarzach mitten im Odenwald spielte ein anderes Kapitel des Katastrophendrehbuchs: Die Johannes-Diakonie musste evakuiert werden. „Am Wohngebäude für Menschen mit einem höheren Hilfebedarf wurden strukturelle Schäden festgestellt, es ist einsturzgefährdet“, so das Skript. Die Herausforderung für das rund 50-köpfige Team des DRK Baden-Württemberg: Mobile Bewohner, partiell eingeschränkte, und voll eingeschränkte zu retten.

Das taten die Helferinnen etwa mit Matratzen in Gurten, die von sechs bis sieben Leute über eine Außentreppe herunter getragen wurden. Das Besondere an diesem Übungsteil: Niemand mimte, die echten Heimbewohnenden ließen sich in Sicherheit bringen. Auf diese Weise habe man die eigenen Evakuationspläne der Johannes Diakonie einem Stresstest unterziehen können, wurde betont. Selbiges war denn auch ein großes Anliegen des stellvertretenden Ministerpräsidenten Strobl. „Vulnerable Personen können nicht aufs Dach oder auf Bäume klettern bei einer Hochwasserlage.“

An einem anderen Standort wurde rund um die Uhr durchgearbeitet: am Training Center Retten und Helfen in Mosbach. Auf dem ehemaligen Kasernengelände drehte sich alles um die Rettung und die Versorgung verletzter Personen.

Auf der für Übungszwecke aufgeschütteten „Trümmerstrecke“ – im Vorfeld wurden etwa 1950 Tonnen Geröll, Betonfertigteile, Holz, Fahrzeuge und sonstige Trümmer für die Inszenierung bewegt – und in den Zelten für Erste Hilfe probten zahlreiche Gruppen den Ernstfall: Technisches Hilfswerk, Malteser, DRK, Johanniter, ASB, DRF-Luftrettung, @fire- Internationaler Katastrophenschutz Deutschland, International Search-and-Rescue Germany, Bergwacht, Bundesverband Rettungshunde, Such- und Rettungsteams aus Frankreich, Österreich und der Schweiz.

Dazu kamen außerdem Katastrophenschutzeinheiten vom Neckar-Odenwald-Kreis. Der Bundesverband der Bestatter mit seinem Death Care Team unterstützte die Polizei, die in solchen Lagen für die Bergung von Verstorbenen und deren Identifizierung zuständig sind.

Neben schwerem Gerät und Helikoptern bewiesen dort zudem tierische Helfer ihren Spürsinn. 15 Rettungshunde erschnüffeln unter den teils meterhohen Gesteinsbrocken, in dem sich zwei Menschen zwischen mehreren Puppen eingraben hatten, die Überlebenden. Das tun sie in der Regel abwechselnd jeweils rund 20 Minuten lang, erläutern Hundeführer. „Das ist anstrengend für sie.“ Riecht ein Hund etwas, bellt er und ein zweiter wird zum Überprüfen geholt. Die Verletzten wurden indes auf der anderen Seite des Areals gesichtet, versorgt und behandelt.

„In das Zelt mit roter Markierung kommen intensivmedizinische Fälle, gelb bedeutet Priorität beim Transport und im grünen Zelt sind jene mit leichteren Blessuren“, so Dominick Burger-Grosch vom DRK Mosbach.

Nach Bruchsal ging es an Tag drei der Übung „Magnitude“ zur Landesfeuerwehrschule und dem Übungsplatz des ABC-Abwehrkommandos der Bundeswehr. Dort wurde der Umgang mit gefährlichen Stoffen und das Zusammenspiel verschiedener Einheiten geprobt, einmal mehr mit der Analytische Task Force der Feuerwehr Mannheim sowie Spezialisten aus Griechenland und Österreich.

Die Europäische Union kofinanziert die Übungssimulation

Innenminister Strobl, der mit dem slowenischen EU-Kommissar für Krisenmanagement Janez Lenarcic, die EU-Großübung besuchte, zieht ein positives Fazit. „Für das Land Baden-Württemberg und auch für den europäischen Katastrophenschutz war die Magnitude-Übung ein großer Erfolg. Das Zusammenspiel von hauptamtlichen und ehrenamtlichen, von internationalen, nationalen und baden-württembergischen Einsatzkräften war die große Herausforderung.“ Das habe gut funktioniert, Probleme habe man gemeinsam gelöst. Nicht alles sei perfekt gelaufen. „Das ist gut. Wir üben auch, um Fehler zu finden, zu lernen und um uns weiter zu verbessern.“

Glücklich sei er über die Teilnahme der Schweiz, die beim Union Civil Protection Mechanism mitmachen will. „Sie trug die Kosten selbst.“ Denn „Krisen kennen keine Grenzen, betont der Innenminister.

Auch EU-Kommissar Lenarcic dankte allen Beteiligten und dem Land. Die Magnitude sei ein Investment in Prävention und in die Zukunft. Die EU kofinanzierte die Simulation. „Mit der Verschärfung der Klimakrise sind extreme Wetterereignisse in ganz Europa und darüber hinaus ein fast jährliches Ereignis“, sagt er. „Als Reaktion darauf müssen wir unsere Katastrophenvorsorge auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene verbessern, um mit dieser stetig wachsenden Katastrophenrate Schritt zu halte, so der EU-Kommissar.“

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