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Was bleibt vom U-Ausschuss zur Polizeiaffäre?

Im Landtag geht der U-Ausschuss zur Polizeiaffäre weiter.
Landtag von Baden-Württemberg)Nahezu jeder parlamentarische Untersuchungsausschuss des Landtags entwickelt über kurz oder lang eine Eigendynamik. Manche dieser Gremien bekommen ihre Wucht nebenbei oder erst im Nachhinein. So mussten 2004 zwei FDP-Minister den Hut nehmen, nachdem ein Karlsruher Ermittler in Sachen Organisierte Kriminalität mit seiner Aussage einen Sonderstrang im „FlowTex“-Untersuchungsausschuss rund um den Milliardenbetrug um nicht vorhandene Tunnelbohr-Maschinen eröffnet hatte. Wirtschaftsminister Walter Döring und Justizministerin Corinna Werwigk-Hertneck kostete dies ihr Amt und die politische Karriere.
So heftig wird die Landesregierung diesmal wohl nicht durchgeschüttelt, schon wegen der zeitlichen Abläufe. Im Sommer will der Polizei-Untersuchungsausschuss die Zeugenaussagen nach dann 40 öffentlichen Sitzungen abgeschlossen haben; vor Weihnachten sollen Berichte und Empfehlungen fertig sein und im Parlament diskutiert werden.
Selbst wenn Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ernst macht mit seiner Ankündigung, sich eine abschließende Meinung erst zu bilden, wenn die Ausschussarbeit beendet ist – vor allem zu den gravierenden Vorwürfen gegen seinen Stellvertreter Innenminister Thomas Strobl (CDU) – ein personelles Erdbeben gilt als ausgeschlossen.
Das Innenministerium hat eine erste Reform der Beförderungspraxis angestoßen.
Strobl hat ein Anwaltsschreiben im Disziplinarverfahren gegen den damaligen Inspekteur der Polizei (IdP) Andreas Renner an einen Journalisten weitergeben, sich dazu aber nicht bekannt, sondern die Staatsanwaltschaft wochenlang gegen Unbekannt ermitteln lassen. In aufgeregten Zeiten wie diesen wäre es dennoch unverantwortlich, am Fuße einer heißen Landtagswahlkampfphase, Öl ins Feuer zu gießen. Zumal Grüne und CDU, in welcher Reihenfolge auch immer, nach dem 8. März 2026 durchaus erneut aufeinander angewiesen sein könnten für die Bildung einer dritten Koalition.
Nicht obwohl, sondern gerade weil diesmal keine Politikerköpfe rollen, bleibt Raum, sich gemeinsam – die Betonung liegt auf gemeinsam – mit den diversen Erkenntnissen zu befassen, die der Ausschuss schon vor seinem Ende zutage gefördert hat. Dazu zählt diese Lektion: Steile Karrieren wie jene des suspendierten IdP, basierend auf zweifelhaften Beurteilungen und auf Wunsch des höchsten Dienstherrn Strobl höchstpersönlich, müssen endgültig der Vergangenheit angehören. Eine erste Reform der Beförderungspraxis hat das Innenministerium angestoßen.
In einer anderen zentralen Frage, gerade rund um die Vorwürfe sexueller Belästigung, greift jedoch, wenn es um konkrete Veränderungen geht, eine wenig hilfreiche Wagenburgmentalität um sich. Dabei wäre diesmal besonders wichtig, einem landespolitischen Markenkern und berechtigten Interessen der so oft so gelobten Polizei gerecht zu werden. Immerhin liegt dem Ausschuss eine unter Verschluss gehaltene, umfangreiche Bachelor-Arbeit an der Hochschule für Polizei vor, wonach knapp 21 Prozent der Polizistinnen im Land schon mindestens einmal sexuell belästigt worden sind, davon aber 62 Prozent den Vorfall nicht gemeldet haben.
Inhaltliche Ergebnisse müssen ihre Breitenwirkung nach und nach entwickeln
Wenn große Aufreger behandelt werden, haben Untersuchungsausschüsse kaum Probleme, ihre Kreise zu ziehen, das zeigen die beiden erwähnten Rücktritte. Natürlich ist nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Lothar Späth und der Aufarbeitung der Traumschiff-Affäre samt der rund 500 von Dritten bezahlten Dienstreisen und Urlauben kein Regierungschef mehr mit einem Firmen-Privatjet kostenfrei zu einem Termin geflogen. Natürlich wird nie mehr wieder ein Ministerpräsident ein Milliarden Euro schweres Aktienpaket – jenes der EnBW durch Stefan Mappus – in einer Geheimaktion kurz vor Mitternacht im Staatsministerium am Parlament vorbei zurückkaufen.
Inhaltliche Ergebnisse müssen – wenn überhaupt – ihre Breitenwirkung nach und nach entwickeln. Abhilfe schaffen gegen die viel zu oft übliche Schubladisierung ohne Konsequenzen könnte, mit der Debatte der Abschlussberichte, den handelnden Personen in der kommenden Legislaturperiode einen Umsetzungszeitplan mit auf den Weg zu geben. Der Polizei-Ausschuss würde als einer mit inhaltlicher Eigendynamik in die Landesgeschichte eingehen. Wie wunderbar wäre, wenn in ein paar Jahren eine Bachelor-Arbeit geschrieben werden könnte dazu, dass sich seit 2026 immer mehr Polizistinnen getraut haben, Übergriffe zu melden. Und dass dieselben dann nach und nach weniger geworden sind.
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