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Warum es ohne das Ehrenamt nicht geht
Stuttgart. Im antiken Griechenland wurden öffentliche Ämter der Stadtstaaten nicht per Wahl besetzt, sie wurden verlost. „Stellen Sie sich das mal heute vor“, rief Festredner Ivo Gönner dem Publikum bei der Verleihung des Staatsanzeiger-Awards zu. Der Kommunalpolitiker ging in seiner Rede der Frage nach, warum die Demokratie eigentlich das Ehrenamt braucht.
Der gleichgültige Bürger war in der Antike der schlechte Bürger
Im antiken Stadtstaat, der Polis, war das klar: Wo jeder, zumindest jeder Vollbürger, jederzeit per Losentscheid zur Amtsverwaltung herangezogen werden konnte, war die politische Betätigung, das Ehrenamt ja zu jeder Zeit möglich. Heute sieht das alles ein bisschen anders aus.
Bundesrepublik als eine Antwort auf den Obrigkeitsstaat
Immerhin engagieren sich in Deutschland 30 Millionen Menschen ehrenamtlich, was Gönners Schlussfolgerung untermauert: „Ohne Ehrenamt geht in Deutschland nichts.“ Der Sozialdemokrat skizzierte die Bundesrepublik als eine Antwort auf den Obrigkeitsstaat, der lange in Deutschland die vorherrschende Staatsvorstellung war. Das Grundgesetz mit der Festschreibung des Demokratieprinzips geht vom bürgerlichen Engagement aus, etwa bei der politischen Willensbildung, bei der ein persönlicher Einsatz der Staatsbürger Voraussetzung ist, wenn es um die Durchsetzung von Meinungen geht.
Schule der Demokratie
Auch die kommunale Selbstverwaltung, wie sie in der Gemeindeordnung festgelegt ist, sei ohne den Einsatz der Bürger nicht denkbar. Die Kommunalpolitik bezeichnete Gönner als Schule der Demokratie, in der zum Beispiel Stadt- und Gemeinderäte einen ehrenamtlichen Dienst für die Allgemeinheit leisteten. Das galt schon in der antiken Polis. Dort waren Bürger, die keinen Anteil am Gemeinwesen nahmen, nicht etwa bloß gleichgültig, wie das heute akzeptiert ist, sie waren schlechte Bürger. Angesichts des Losverfahrens bei der Ämtervergabe kein Wunder.
Politiker stehen am Pranger
Heute stehen weniger die Bürger, vielmehr die Politiker am Pranger. Sie würden als Mitglied einer politischen Kaste verächtlich gemacht und selbst auf der kommunalen Ebene brechen sich immer häufiger Aggression gegen Mandatsträger Bahn. „Dem müssen wir entgegentreten, um die Demokratie nicht vor die Hunde gehen zu lassen“, forderte Gönner unter Applaus. Mittlerweile sei der Schutz vor Repressalien bald genauso wichtig, wie die Anerkennung der ehrenamtlichen Leistung.
Mehr Respekt für Ehrenamtliche
Deshalb forderte der Kommunalpolitiker, der über 24 Jahre die Donaustadt regiert hat, mehr Respekt für die engagierten Menschen. Gönner endete mit einem Zitat des athenischen Staatsmanns Perikles. Dieser riet seinen Mitbürgern, Menschen nicht nach deren Herkunft, sondern nach deren Leistung zu beurteilen, und er verkündete: „Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.“
Lokalpatriotismus dient oft als eine wichtige Triebfeder
Im Gespräch mit dem Staatsanzeiger griff Gönner die Frage nach der Herkunft auf und skizzierte den Lokalpatriotismus als eine Triebfeder des bürgerschaftlichen Engagements. In Städten wie Ulm gehörte das Engagement seit Jahrhunderten zur DNA einer Stadtgesellschaft. Dabei pflanze sich der positive Effekt des ehrenamtlichen Wirkens fort. So legt die Betreuung von Flüchtlingen die Grundlage dafür, dass diese ihrerseits sich wieder für die Gesellschaft engagieren würden.