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Best Practice in Rottenacker: Wie Unternehmen ausländische Fachkräfte einbinden
Rottenacker. Graue Nebelschwaden wabern über die oberschwäbische Provinz. Ein typischer Herbsttag in dieser ländlichen Gegend, wo die Leute gegenüber Fremden wie die grautrübe Gegend wirken: rau und eher abweisend. Ausgerechnet hier nach Rottenacker, einem Flecken knapp 30 Kilometer südwestlich von Ulm hat es Danica Sias und Kamva Somyali verschlagen. Die beiden 19-Jährigen sind Ende August aus der südafrikanischen Metropole Kapstadt in die 2000-Seelen-Gemeinde in Oberschwaben gezogen. Sie haben sich in einem harten Auswahlverfahren durchgesetzt und so zwei Ausbildungsplätze bei der Spedition Stöhr ergattert.
„Es ist schon auch ein Experiment“, räumt Stephanie Stöhr ein. Die Prokuristin hofft aber, dass die beiden Jugendlichen in dem mittelständischen Logistikunternehmen einen langen Karriereweg eingeschlagen haben und dem Familienbetrieb viele Jahre die Treue halten. Die Beiden haben bereits Deutschkenntnisse auf Level B1 mitgebracht und könnten eigentlich auch zur Uni. Die kostet jedoch in der Heimat 4500 Euro im Jahr – unerschwinglich. „Ich habe deshalb meine Chance in Deutschland gesucht“, betont Somyali mit entschlossenem Blick.
Ausbildung zum Fachlageristen
In der schwäbischen Spedition beginnen die beiden Südafrikaner mit einer Ausbildung zum Fachlageristen. In der Zeit sollen sie die Sprachkenntnisse verbessern und sich in der neuen Heimat einleben. Chefin Stöhr lässt aber schon durchblicken, dass sie den beiden jungen Leuten wesentlich mehr zutraut. Hier wird deutlich: Wer das Fachkräfte-Problem mit Bewerbern aus dem Ausland lösen will, braucht einen langen Atem. Bis der neue Mitarbeiter an Bord ist vergehen viele Monate. „Dieser Weg bringt keine kurzfristigen Lösungen. Es vielmehr eine strategische Entscheidung“, sagt Ingrid Kirchner, die bei der IHK Ulm mit zwei weiteren Mitarbeitern Unternehmen der Region in diesen Fragen berät.
Die Kammer an der Donau ist vor zehn Jahren die erste in Baden-Württemberg gewesen, die ein Welcome-Center eingerichtet hat, um Betriebe und ausländische Interessenten zusammenzubringen. Hier können sich vor allem kleine und mittelständische Betriebe beraten lassen, wie sie den langen Weg bis zum neuen Mitarbeiter aus einem Staat außerhalb der EU nehmen können. Denn bis dahin hält die deutsche Bürokratie eine Vielzahl von Hürden und Fallstricke bereit, die schnell für Frust bei Betrieben wie Bewerbern sorgen können.
Das erstaunt, denn der Fachkräftemangel in Deutschland ist nicht neu. So gehen alleine dadurch regelmäßig 0,3 Prozent BIP-Wachstum verloren. Um den Bedarf zu decken müssten jedes Jahr rund 400 000 Zuwanderer ins Land kommen. Dabei werden die Lücken immer größer, denn die Generation der „Baby-Boomer“ steht vor dem Ruhestand. Allein im Kammerbezirk Ulm, einer der wirtschaftlich besonders dynamischen Regionen, suchen die Betriebe 23 000 Mitarbeiter.
Hürden sind immer noch hoch
Doch trotz aller Versprechungen der Bundesregierung sind die Hürden hoch geblieben. So sind die Behörden weiterhin nur unzureichend miteinander vernetzt. Entsprechend wandern viele Papiere von Amtsstube zu Amtsstube. Größtes Problem bleibt weiterhin die Anerkennung von Qualifikationen. Die Behörden erwarten einen schriftlichen Nachweis für das vorhandene Fachwissen. „Wenn ein gelernter Maurer in seiner tunesischen Heimat lange als Koch gearbeitet hat, darf er nicht in eine deutsche Restaurant-Küche, weil er keine Berufsausbildung vorweisen kann“, erklärt Kirchner die Fallstricke in der Praxis. Hinter vorgehaltener Hand klagen viele Mittelständler, dass die vielen Verordnungen des Ausländerrechts derart verzwickt sind, dass selbst die Sachbearbeiter in den Behörden damit überfordert seien – und lieber kein Risiko eingingen.
Viele Kammern kennen diese Probleme und beraten die Mittelständler, deren Entwicklung gefährdet ist, weil ihnen die Leute fehlen. Sie helfen bei der Suche nach Wegen durch den Bürokratiedschungel und sprechen mit den Zuständigen bei Ausländerbehörden oder der Bundesagentur für Arbeit. Die IHK-Berater vermitteln auch Kontakte beispielsweise zu den deutschen Außenhandelskammern (AHK), der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und verweisen auf Dienstleister, die beispielsweise Visaverfahren vor Ort begleiten. Denn auch damit wären die meisten Betriebe völlig überfordert.
Den Weg der beiden Jugendlichen aus Kapstadt nach Oberschwaben hat Dienstleister Michel Kreutle geebnet, der über seine aus Südafrika stammende Frau gute Verbindungen dorthin hat. „Wir haben einen guten Kontakt zur Botschaft, da bekommen wir viele Formalitäten schnell gelöst. Gleichwohl haben die ersten Vorbereitungen bereits vor einem Jahr mit dem internen Auswahlverfahren an der High-School begonnen. Dabei wurde den Interessenten auch genau erläutert, welche Tätigkeit sie tatsächlich in Deutschland erwartet. „Das ist sehr wichtig, sonst kommen die Leute mit völlig falschen Erwartungen und sind auch schnell wieder weg“, so Kreutle.
Unternehmen hilft bei Wohnungssuche und unterstützt bei Freizeitaktivitäten
Für Stephanie Stöhr und ihre Personalverantwortliche Merve Sahin waren tatsächlich deutlich mehr Vorbereitungen nötig, als bei anderen Auszubildenden. „Wir haben beispielsweise unser Team auf die Neuen vorbereitet“, erklärt die Prokuristin. Eine Unterkunft zu finden, ist selbst in der schwäbischen Provinz nicht so einfach. Da war Stöhr selbst lange aktiv. Die Unterkunft wird erst in den kommenden Wochen fertig. So lange leben die beiden Südafrikaner im Hotel. Die jungen Leute bekommen auch einen Zuschuss für das Deutschland-Ticket, mit dem sie zur Berufsschule nach Ulm fahren können und auch sonst mobil sind. Den erhalten die anderen Auszubildenden inzwischen auch. „Wir wollten gar keine Neid-Diskussion aufkommen lassen“, erklärt Sahin.
Die Bemühungen des Logistikspezialisten, der mit 360 Mitarbeitern einen Umsatz von 40 Millionen Euro erzielt, gehen aber weit über die Arbeit hinaus. Stöhr hat beispielsweise auch Kontakte zu Vereinen geknüpft, um den jungen Südafrikanern die Integration im Alltag zu erleichtern. „Ich beginne demnächst mit Reiten“ erzählt die 19-Jährige Sias und strahlt. Ihr Kollege ist bereits in einem Boxverein untergekommen und kickt in einer Nachbargemeinde. „Die haben mich sofort gut aufgenommen“, unterstreicht der junge Mann, der davor Deutschland nur vom Sprachkurs kannte.
Solch umfangreiche Vorbereitung und Zusatzbetreuung sind aus Sicht der Experten dringend notwendig, soll die Integration der Neuen langfristig erfolgreich sein. Darauf müssen sich die Betriebe einstellen. IHK-Spezialistin Kirchner räumt auch gleich mit einer weiteren Vorstellung vieler Mittelständler auf: „Im Ausland den fertigen Spezialisten zu finden ist eine Utopie.“ Es brauche im Unternehmen also Prozesse, um die Wissenslücken schnell zu schließen. Oft fehle es an der nötigen Praxis, denn das duale System wie in Deutschland ist in den meisten Staaten unbekannt. Zudem müssten sich die Betriebe auch von ihrer Grundeinstellung auf eine internationale Belegschaft weiterentwickeln.
Mitarbeiter aus unterschiedlichen Ländern mit unterschiedlichen Sprachen
Diesen Wandel hat die Cteam Gruppe aus Ummendorf bei Biberach schon vollzogen. Das Unternehmen berät, plant, erstellt und wartet mit 1500 Beschäftigten Freilandleitungen und Mobilfunkmasten. Zuletzt hat das schwäbische Unternehmen, das auch in Frankreich, Luxemburg und Österreich aktiv ist, einen Umsatz von 435 Millionen Euro erzielt. „Durch die Energiewende wachsen wir sehr schnell und brauchen pro Jahr etwa 100 zusätzliche Mitarbeiter“, erklärt der Bereichsleiter Personal Alexander Nagl. Gesucht werden vor allem Monteure, die quer übers Land neue Leitungen errichten.
Cteam hat ganze Mannschaften von Monteuren aus Österreich, Portugal, Lettland oder aus den Balkanländern zusammengestellt, die miteinander in ihrer Sprache arbeiten. „Viele fahren dann am Wochenende wieder nach Hause oder wir ermöglichen es, dass sie für mehrere Tage wieder in die Heimat fahren können“, erklärt Nagl. Das Unternehmen sei komplett international aufgestellt. Alle Informationen erfolgen mehrsprachig. „So wird auch die Betriebsversammlung simultan in verschiedene Cteam-Sprachen übersetzt“, so der Personal-Experte, der merklich stolz hinzufügt: „Wir verstehen das als eine Wertschätzung unserer Mitarbeiter.“
Eine Belegschaft aus Mitarbeitern aus mehr als 20 verschiedenen Nationen, die oft kein Deutsch beherrschen, stellt die Personalabteilung vor Aufgaben, die Mittelständler so kaum kennen. Nagls Kollegen begleiten die Mitarbeiter auch bei Arztbesuchen oder Behördengängen. Sie sind auch aktiv an der Zusammenstellung der Monteur-Mannschaften beteiligt. „Wir achten darauf, dass Nationalitäten und Kulturen zueinander passen und es keine unnötigen Spannungen gibt.“ Der zusätzliche Aufwand rund um die ausländischen Beschäftigten sorgt bei den inländischen Mitarbeitern nicht für Neid, wie Nagl versichert: „Die spüren, dass ihre Kollegen große Entbehrungen auf sich nehmen, um bei uns zu arbeiten, während sie selbst am Abend zu ihren Familien können.“
Das schnell wachsende Unternehmen stößt inzwischen bei der Rekrutierung in Europa an seine Grenzen. „Wir prüfen deshalb, ob wir Personal in Brasilien oder Peru finden können“, bestätigt Nagl. Auf die Personaler kämen dann neue Herausforderungen zu.
Aber auch die ausländischen Beschäftigten müssen sich auf neue Bedingungen einstellen, wenn sie in Deutschland leben und arbeiten. Manchmal wundern sie sich über Details, die hierzulande gar nicht auffallen. „Die Leute schauen einen sehr intensiv und durchdringend an. Das kenne ich von meiner Heimat nicht“, erzählt Somyali, der nun die Ausbildung bei Stöhr in Rottenacker begonnen hat. Auch seine Kollegin Sias aus Südafrika wundert sich: „Hier ist vieles noch sehr analog. Bei uns ist der Alltag schon wesentlich digitaler.“
Ausländische Fachkräfte
Zur Fachkräftesicherung müssen nach Angaben der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit alle Hebel genutzt werden. Dazu zählt auch neben inländischen Potenzialen die Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland. Diese wurde durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz erleichtert. „Neben weiteren Prozessverbesserungen kommt es vor allem auf eine starke Willkommens- und Bleibekultur an“, sagt die Chefin der Regionaldirektion, Martina Musati. (sta)