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Sprachstreit: Wie hält es der Südwesten mit dem Gendern?
STUTTGART. Ein Gesetzentwurf ist ausformuliert. Er verlangt, dass die Landesregierung und die ihr nachgeordneten Behörden sowie alle übrigen Einrichtungen des Landes in der internen und externen Kommunikation ausschließlich das Amtliche Regelwerk „Deutsche Rechtschreibung, Regeln und Wörterverzeichnis“ verwenden. Mehr als 21.600 Unterschriften sind laut Internetauftritt gesammelt. Wer dem Volksbegehren aber tatsächlich auf die Sprünge helfen will, muss zunächst einen Stimmzettel ausdrucken und ausfüllen. Eine Online-Unterschriftensammlung reiche nicht, erinnert Sarah Händel von „Mehr Demokratie“.
„Wir fordern schon länger, eine Online-Sammlung einzuführen“, so Händel, „denn es ist schwer vermittelbar, dass ich heute mit dem Handy kontaktlos meinen Einkauf bezahlen kann, aber Instrumente der Bürgerbeteiligung von mir verlangen, ein Formblatt auszudrucken, es zu unterschreiben und dann per Post wegzuschicken.“ Noch jedoch sei diese Forderung nicht erfüllt, was die Politik des Gehörtwerdens unnötig schwermachen; deshalb zählen auch die Online-Unterschriften für den Gender-Stopp nicht.
- Ja 74%, 135 Stimmen135 Stimmen 74%135 Stimmen - 74% aller Stimmen
- Nein 26%, 47 Stimmen47 Stimmen 26%47 Stimmen - 26% aller Stimmen
Hagel und Kretschmann gendern nicht
Einen politischen Streit hat die vom Heidelberger Rechtsanwalt Klaus Hekking gestartete Initiative aber schon mal ausgelöst. Hekking bezeichnete Gendern als „Firlefanz“. „Eine Vorgabe, so zu sprechen und zu schreiben, ist ein nicht akzeptabler Eingriff in die Meinungsfreiheit“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Er hätte gern, dass das Thema Gendern mit dem Volksbegehren endlich erledigt sei, damit die Regierenden sich um die richtigen Themen kümmern könnten.
Die CDU stellt sich gegen weite Teile der Grünen und interessiert sich weniger dafür, ob die Unterschriften überhaupt zulässig sind, sondern wie groß der Zuspruch ist. Es zeige sich, dass das Thema die Menschen bewege, sagt Fraktionschef Manuel Hagel: „Da darf die Landespolitik nicht einfach darüber hinweggehen.“ Er nimmt an, dass der offizielle Verzicht auf das Gendern den gesellschaftlichen Zusammenhang stärkt. Privat, sagt Hagel, sei es jedem selbst überlassen, „aber an Schulen, Hochschulen, der Landesverwaltung sowie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sollte das amtliche Regelwerk des Rats für deutsche Rechtschreibung angewandt werden“.
Er selber gendert nicht und weiß sich in guter Gesellschaft, denn auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ist ein Anhänger des generischen Maskulinums, also der traditionellen Dominanz der männlichen Form. „Die Schulen müssen sich an das halten, was der Rat für deutsche Rechtschreibung vorgibt“, so der Ministerpräsident. „Sonst haben wir am Ende keine einheitliche Rechtschreibung mehr.“ Man solle mit der Sprache lieber kreativer werden, „statt mit Doppelpunkt und Unterstrich nicht sprechbare Dinge zu schreiben“, so Kretschmann.
An der Speerspitze der Bewegung um mehr Gleichberechtigung befand sich das Land ohnehin nie. Erst Ende der Achtziger wurde abgeschafft, dass auf offiziellen Einladungen tatsächlich nur Herren angesprochen wurden und als Dresscode Straßenanzug, Abendanzug und Smoking angegeben war. Ein erstes Frauenministerium, das sich auch zur Aufgabe machte, auf Sprachsensibilität zu achten, schaffte erst die SPD in der Großen Koalition zwischen 1992 und 1996. Selbst noch im Jahr 2023 verzichtet der grüne Sozialminister Manne Lucha, dessen Haus für die Gleichstellungsagenden mit zuständig ist, den Begriff „Frauen“ im offiziellen Namen seines Ressorts zu führen. Die CDU-Landtagsfraktion forderte auf ihrer Klausurtagung im vergangenen Herbst, alle amtlichen, behördlichen und schulischen Einrichtungen in Baden-Württemberg sollten sich ausschließlich an die gültigen Grammatik- und Rechtschreibregelungen halten. Genau darauf bezieht sich jetzt die Unterschriftensammlung.
Auch die FDP hatte sich die CDU-Formulierung schon zu eigen gemacht und einen Antrag in den Landtag eingebracht, der aber am Widerstand der Landesregierung und daran scheiterte, dass Grüne und CDU sich versprochen haben, nicht unterschiedlich abzustimmen. Die SPD ist verärgert und rügt die „transfeindliche Stimmungsmache“, so der Abgeordnete Florian Wahl. Nichtbinäre und Transmenschen müssten auch in der Sprache sichtbar und nicht durch ein Gender-Verbot unsichtbar gemacht werden. Und der Koalitionsvertrag, geschlossen vor gut zwei Jahren, hilft auch nicht weiter.
Das letzte Wort hat der Rat für deutsche Rechtschreibung
Dreh- und Angelpunkt weiterer Entwicklungen sind die Vorgaben des Rats für deutsche Rechtschreibung. Der hatte – vor inzwischen allerdings schon mehr als zwei Jahren – festgestellt, dass „allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll und sie sensibel angesprochen werden sollen“. Dies sei allerdings eine gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Aufgabe, „die nicht allein mit orthografischen Regeln und Änderungen der Rechtschreibung gelöst werden kann“.
Das Amtliche Regelwerk wurde als geltend für Schulen, Verwaltung und Rechtspflege festgeschrieben. Und darin heißt es bis auf weiteres: „Der Rat hat vor diesem Hintergrund die Aufnahme von Asterisk („Gender-Stern“), Unterstrich („Gender-Gap“), Doppelpunkt oder anderen verkürzten Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen im Wortinnern in das Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung zu diesem Zeitpunkt nicht empfohlen.“
Unterschriften für Volksbegehren sind nur auf Papier gültig
Die Bürger können seit 2015 eigene Gesetzesentwürfe in das Parlament einbringen und eine Abstimmung erzwingen. Für die Zulassung eines Volksbegehrens werden zunächst 10.000 Unterschriften auf Papier benötigt. Den Antrag muss das Innenministerium prüfen. Wird er als zulässig erachtet, können in einem zweiten Schritt innerhalb von sechs Monaten weitere Unterschriften gesammelt werden. Rund 800.000 sind für das eigentliche Volksbegehren notwendig.