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Serie Lieblingsorte,Teil 4: Andreas Stoch

Sozialdemokratische Bildungspolitik prägt das ganze Leben

Der SPD-Landes- und Fraktionschef Andreas Stoch stammt aus Giengen an der Brenz. Ein Besuch im dortigen Freibad wird zu einer Zeitreise, die ihn vom Juso-Chef zum Minister gemacht hat. Aber der 54-Jährige ist auch ein Symbol für das sozialdemokratische Aufstiegsversprechen.

Andreas Stoch ist gerne unter Menschen und lacht viel.

Achim Zweygarth)

GIENGEN. Es ist ein wunderschönes Freibad, das Bergbad im schönen Giengen an der Brenz im Kreis Heidenheim. Mitten auf einer Bergkuppe gelegen, öffnet es den Blick auf die kleine Stadt im Brenztal, die für den Stammsitz des Stofftiere-Herstellers Steiff weltberühmt ist, sonst aber eher einen spröden Charme versprüht.

Es scheint, als wäre die Zeit stehen geblieben – das liebevoll sanierte Bad hat das Flair der 1950er-Jahre. „Das schönste Freibad Deutschlands“, strahlt der Bademeister. Andreas Stoch schüttelt alle paar Meter Hände, man kennt sich.

Am Eingang stehen zwei bronzene Seehunde auf einem Podest. „Die waren früher in der Mitte des Schwimmbeckens“, erinnert sich Stoch. Er scheint in die Zeit zurück zu blicken, als er noch Teenager war. Man hat Nachmittage an den Tischtennisplatten verbracht, das Freibad war der Treffpunkt.

Auch Heidenheims Trainer Frank Schmidt war hier

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Dazu kamen übrigens auch ein gewisser Frank Schmidt, heute Trainer des Bundesligisten FC Heidenheim, und Hendrik Rupp, früherer Chefredakteur der Heidenheimer Zeitung. Man kennt sich in Giengen. Und für Andreas Stoch war das Bädle Freiheit. Der heutige SPD-Landtagsfraktionschef stammt auf einem echten Arbeiterhaushalt, der Vater kam aus Tschechien, hat in der örtlichen Schraubenfabrik gearbeitet.

Und in gewisser Weise ist Andreas Stoch ein Sinnbild des sozialdemokratischen Aufstiegsversprechens, dass der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) in den 1970er-Jahren propagiert hat.

„Meine Eltern haben immer gesagt: Die Kinder sollen es einmal besser haben“, erzählt Stoch. Das passte zu seinem Ehrgeiz, im Gymnasium brachte er viele Einser nach Hause, und ärgerte sich über jede Drei. Er ging für den Zivildienst zur AWO, der früher begann als gedacht: Die Frist wurde verkürzt. „Ich stand in Irland in einer Telefonzelle und man sagte mir: In drei Tagen geht es los.“

Legendär: Bratkartoffeln mit Fleischküchle bei Frau Drost

Danach meldete er sich fürs Jura-Studium in Tübingen und Heidelberg an, gefördert durch ein Stipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung. Zuvor hatte sich Stoch der örtlichen Juso-AG angeschlossen. Man traf sich im Gasthaus „Felsen“, ein legendärer Ort. „Es gab für 3,50 Mark Bratkartoffeln mit Fleischküchle bei Frau Drost“, erinnert sich Stoch.

Diese waren so berühmt, dass sogar der bekannte sozialdemokratischer Liedermacher Hannes Wader nach seinen Konzerten auf der Ostalb oft gesagt haben soll: „Es geht grundsätzlich noch zu Frau Drost.“ Zum Referendariat wechselte er zurück in die Heimat, seine Frau studierte Sonderpädagogik, Stoch war am Landgericht Ellwangen, 1995 zogen sie nach Heidenheim. Während Stoch SPD-Ortsvereinsvorsitzender und mit 31 Jahren Kreischef wurde, stieg er beruflich in eine Anwaltskanzlei ein, verdiente gutes Geld. Doch er wollte in der Gesellschaft etwas bewegen. Und so wurde er Zweitkandidat des SPD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Staiger.

Wieder in Irland im Urlaub – Geschichte wiederholt sich – erfuhr Stoch von dessen gesundheitlichen Problemen. Da war klar: Es wird ernst mit der Politik, 2009 rückte er in den Landtag nach. Mit 34 Jahren.

Mit Fußball überbrückt Andreas Stoch Parteigrenzen

Wir sitzen inzwischen am Kiosk und schauen auf das Bad. Die Zeitreise von Andreas Stoch geht weiter. Der 54-Jährige erzählt Anekdote um Anekdote, so lebendig, man könnte ihm stundenlang zuhören. Und seine politische Entwicklung gleicht einer einzigen Achterbahnfahrt.

Über den Podcast von Andreas Stoch lesen Sie hier mehr.

Kaum im Landesparlament, bot ihm die frühere Spitzenkandidatin Ute Vogt an, ihren Sitz im Ständigen Ausschuss einzunehmen. Vogt zog es nach Berlin. Der junge Abgeordnete war beeindruckt, doch arbeitete er fleißig und überbrückte Distanz wie früher im Freibad mit Sport. Er schloss sich der Landtagsauswahl an, und kickte dann plötzlich bei einem Turnier gegen Teams aus anderen Bundesländern plötzlich mit den ehemaligen VfB-Profis Guido Buchwald und Maurizio Gaudino bei einem Auswahlspiel.

So entstanden gute Beziehungen über Parteigrenzen hinweg. Dann folgte 2010 der Schwarze Donnerstag zu Stuttgart 21 – und Stoch wurde Obmann im Untersuchungsausschuss, der damalige Fraktionschef Claus Schmiedel ermunterte ihn ausdrücklich dazu. Wahnsinn!

Kometenhafter Aufstieg in der SPD-Landtagsfraktion

Der junge Abgeordnete war plötzlich in der Tagesschau, stand im Fokus. Doch der Jurist bewährte sich, und zeigte, dass er gut organisieren und Dinge prägnant auf den Punkt bringen kann. Nach dem Machtwechsel 2011 wurde er Parlamentarischer Geschäftsführer. Als die überforderte Bildungsministerin Gabriele Warminski-Leitheußer 2013 zurücktrat, sagte man wieder ihm auf einer Parteiklausur in Berlin: „Andy, des musch du jetztchen.“

Minister? Ernsthaft? „Ich habe mich gefragt: Kann ich das? Mir wurde gesagt, das sei ein Amt für das Ende einer politischen Karriere.“ Sein Abgeordnetenkollege Ingo Rust sagte ihm: „Als Freund rate ich dir ab, aber als Politiker sage ich dir: Mach es!“ Politik lebt eben auch von Gelegenheiten, und Stoch ergriff sie.

Als Minister 16 Stunden am Tag unter Dauerbeobachtung

Und stand fortan im Feuer, bis zu 16 Stunden am Tag. Das stimmgewaltige bildungspolitische Verbändewesen äußerte sich zu jedem Wimpernschlag. Es blieben nur drei Jahre, doch in dieser Zeit schob er einiges an, was heute erst Realität wurde: Die Stärkung der frühkindlichen Bildung etwa, neue Bildungspläne.

Wie hart dieses Ministerium sein konnte, erlebte der SPD-Politiker in der Diskussion über den Bildungsplan. Dabei ging es an einer Stelle im Text auch um Akzeptanz für gleichgeschlechtliche Paare. Darauf entstanden dann die so genannten „Demos für alle“ christlicher Fundamentalisten, die ihm die „Sexualisierung des Unterrichts“ unterstellten. Es gab sogar Morddrohungen. Stoch: „Das war völlig absurd, aber plötzlich sind sogar Teile der CDU da mitgelaufen. Das war schon hart.“

Standing Ovations bei einer Bildungsklausur

Doch der Jurist brachte die Akteure an einen Tisch, hörte zu, mit seiner zupackenden Art konnte er auch die Skeptiker überzeugen. Weit über die SPD hinaus galt er als Idealbesetzung. Im Ministerium wurde er respektiert. Stoch erzählt selbst eine Geschichte, die dafür steht: „Am Ende einer bildungspolitischen Klausur mit 400 Fachleuten sind sie aufgestanden und es gab Standing Ovations. Da hatte ich Tränen in den Augen.“

Doch Politik kann grausam sein. Die SPD wurde 2016 mit 12,7 Prozent abgestraft, Grün-Rot war nach vier Jahren beendet, Ministerpräsident Winfried Kretschmann entschied sich für eine grün-schwarze Koalition. Stoch konnte die vielen Ideen nicht mehr umsetzen, die er angestoßen hatte. Der SPD-Mann fiel in ein tiefes Loch, das Engagement bis zur Belastungsgrenze wurde nicht gewürdigt, so empfand er es.

Doch die Partei richtete ihn wieder auf. Denn nach dem Abgang von Claus Schmiedel wurde ein neuer Landtags-Fraktionschef gesucht, um die demoralisierte und dezimierte Abeordnetentruppe anzuführen. Ab 2021 wurde er sogar in dieser Rolle zum Oppositionsführer. Ihm gelang es, die zerstrittene Fraktion zu einen und inhaltlich zu akzentuieren.

So zieht sich ein Muster durch Stochs Biografie: Wieder und wieder wurde der Heidenheimer nahezu bildhaft zum Feuerwehrmann, wenn es lichterloh brannte, und löschte schnell und effizient. Doch es gab noch mehr zu tun in der SPD.

Immer wenn es schwierig wurde, wurde Stoch zu Hilfe gerufen

Diesmal benötigte der chronisch zerstrittene Landesverband seine Hilfe. Der linke und der pragmatische Flügel blockierten sich, der Streit um die umstrittene Generalsekretärin Luisa Boos eskalierte, ein Datenschutzverstoß erschütterte die Landespartei. Die linke Landesvorsitzende Leni Breymaier trat nach einem verunglückten Mitgliederentscheid und vielen Querelen zurück. Stoch wollte zunächst nicht. „Aber als dann eine Größe wie Erhard Eppler bei mir angerufen hat, musste ich ran“, erzählt er. So wurde er 2018 beim Parteitag in Sindelfingen Landesvorsitzender.

Seither herrscht Ruhe, Stoch ist der starke Mann der Südwest-SPD, nur der Fraktionsvize und Ex-Generalsekretär Sascha Binder sticht noch heraus. Sie schätzen sich, sind aber beide machtbewusst. Und nun? Die Zeit ist wie im Flug vergangen. Andreas Stoch kann wie kaum ein anderer wortgewaltig die Landesregierung kritisieren, und hofft 2026 auf einen Machtwechsel. „Dann wird es keinen Amtsbonus geben“, sagt er. Und vielleicht neue Konstellationen, wenn es zu Grün-Rot nicht reicht? Eine Deutschlandkoalition mit CDU und FDP gar? Andreas Stoch lächelt und taucht ab – er hat sich seine Badehose mitgebracht, und macht einen eleganten Köpfer ins Wasser.

Er weiß so gut wie wenige: In der Politik ist alles möglich.

Andreas Stoch im Gespräch mit Chefredakteur Rafael Binkowski. Foto: Achim Zweygarth
Der SPD-Landes- und Fraktionschef Andreas Stoch springt im Bergbad auf dem Schießberg in Giengen/Brenz ins Wasser. Foto: Achim Zweygarth

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