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„Die Grünen können es nicht, die CDU scheint es nicht zu wollen“
Staatsanzeiger: Herr Stoch, wohin fahren Sie dieses Jahr in Urlaub?
Andreas Stoch: Jetzt werden vielleicht manche anfangen zu lachen, weil es ein altes SPD-Klischee bedient: Ich habe tatsächlich vor, dieses Jahr in die Toskana zu fahren. Ich finde, das ist ein wunderschöner Landstrich mit einer sehr guten Küche und sehr schönen Städten. Und meine Familie, meine vier Kinder gehen alle mit, obwohl sie schon zwischen 18 und 24 sind.
Was sagen Sie einer sechsköpfigen Familie, die sich in diesem Sommer keinen Urlaub leisten kann? Und in nächster Zeit kein neues Auto und demnächst vielleicht nicht einmal die Miete?
Dieser Familie sage ich, dass wir alles dafür tun werden, dass die Menschen die gestiegenen Kosten für Wohnen, für Lebenshaltung, für Energie tragen können. Ich werde ihr sagen, dass wir alles dafür tun, dass auch ihre Kinder bestmögliche Bildungschancen bekommen. Das ist die entscheidende Frage, wenn es um Teilhabe geht.
Muten die Regierenden den Regierten zu viel zu?
Vieles von dem, was an Zumutungen da ist, hat sich die Politik nicht ausgesucht. Inzwischen haben wir es fast vergessen: Aber als der Krieg in der Ukraine losging, haben viele noch davon gesprochen, dass wir im Winter im Kalten sitzen würden. Das ist zum Glück nicht passiert und die Bundesregierung hat es geschafft und da bin ich Bundeskanzler Olaf Scholz und seinen Ministerinnen und Ministern sehr dankbar, dass wir als Gesellschaft nicht auseinandergebrochen sind.
Und wie sieht es mit dem Heizungsgesetz aus? Da haben es viele Bürger mit der Angst zu tun bekommen.
Da ist in der Tat sowohl handwerklich als auch in der Kommunikation nicht alles gut gelaufen. Das macht natürlich etwas mit den Menschen. Und aus dem Grund sage ich: Die Bundesregierung hat in den letzten anderthalb Jahren sehr viel Gutes geleistet in sehr, sehr schwierigen Zeiten. Aber nichts ist so gut, dass es nicht noch besser werden könnte. Auch, was die Frage des Umgangs innerhalb der Koalition angeht. Ich glaube, dass alle drei Partner, sowohl SPD als auch Grüne und FDP, in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode geräuschloser regieren sollten.
Der ehemalige Ministerpräsident Günther Oettinger warnt in einem Interview davor, die Rezession auf die leichte Schulter zu nehmen. Tut seine CDU genug, damit Baden-Württemberg gut durch die Krise kommt?
Die CDU lebt immer noch in dem Glauben, Baden-Württemberg ist automatisch vorne. Sie hat ja immer sehr marktliberal argumentiert und hat gesagt, der Markt wird es dann schon irgendwie regeln. Das sehe ich anders. Bei der Transformation der Automobilindustrie und beim Thema Klimaneutralität schaffen es viele, vor allem kleine und mittelständische Unternehmen, nicht allein. Das heißt, sie müssen unterstützt werden, zum Beispiel, was das Thema Weiterbildung und Qualifizierung ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angeht.
Und wie sieht es mit der Partei aus, die den Ministerpräsidenten stellt?
Die Grünen definieren Ziele: Sie wollen zum Beispiel die Klimaneutralität in Baden-Württemberg fünf Jahre vor dem Bund erreichen. Und wenn wir dann eine wissenschaftliche Untersuchung machen, stellt sich heraus, dass sie meilenweit an den Klimazielen vorbeisteuern. Die Grünen glauben, Politik besteht darin, Ziele zu definieren und dann mit wolkigen blumigen Worten irgendwie so zu tun, als ob man die richtigen Entscheidungen treffe. Bei den Grünen habe ich das Gefühl, sie können es nicht, und bei der CDU, dass sie es nicht wollen.
Trotzdem tritt die SPD in Baden-Württemberg mit 13 Prozent auf der Stelle.
Wir sind – und das ist leider das Schicksal der Landespolitik – sehr stark von bundespolitischen Schwankungen abhängig. Bei der Bundestagswahl hat die SPD hier im Land 21 Prozent geholt – vor den Grünen und nur drei Prozent hinter der CDU, was früher undenkbar war, als der Abstand noch 15 bis 20 Prozentpunkte betrug. Jetzt liegt die SPD im Bund schlechter, aber wir liegen im Land immer noch besser als bei den letzten beiden Landtagswahlen.
Auch bundesweit steht die Partei des Bundeskanzlers, des Bundespräsidenten und der Bundestagspräsidentin nur auf Platz drei. Fürchten Sie ein böses Erwachen?
Jeder Mensch, der sich abends zu Bett legt, muss damit rechnen, auch mal schlecht zu träumen. Das Wichtige ist, dass er wieder aufwacht und wieder Zuversicht hat. Wir haben 2021 etwas geschafft, was uns niemand zugetraut hatte. Vier Monate vor der Wahl haben uns die Journalisten noch gefragt, ob wir wirklich einen Kanzlerkandidaten bräuchten. Ich bin von klein auf Sportler gewesen. Wenn man aufs Feld geht, sollte man nicht ans Verlieren, sondern ans Gewinnen denken.
Die AfD eilt von Umfragerekord zu Umfragerekord. Bereitet Ihnen das Sorgen?
Ich halte diese Entwicklung für hochproblematisch. Und ich habe das Gefühl, dass manche Menschen in unserem Land Dinge für selbstverständlich halten, die nicht selbstverständlich sind. Zum Beispiel Frieden. Aber auch Demokratie. Das ist gefährlich, weil eine Demokratie von innen heraus ausgehöhlt werden kann. Aber da hilft kein Lamentieren.
Was hilft stattdessen?
Dass die Parteien, die in politischer Verantwortung sind, Politik machen, die Probleme löst. Und dass wir im Umgang einen wertschätzenden Ton anschlagen. Opposition und Regierung müssen sich im Parlament auch streiten können.
Das tun sie doch.
Aber im Ton höre ich da sehr häufig eine gewisse Unversöhnlichkeit heraus. Und diese Unversöhnlichkeit erweckt bei den Menschen den Eindruck, dass die demokratischen Parteien keine Lösungskompetenz besitzen. Wenn die CDU jeden Tag davon spricht, dass wir im Bund die schlechteste Regierung aller Zeiten haben, dann macht das was mit den Menschen. So lenkt die CDU das Wasser auf die Mühlen der AfD. Sinnvoller wäre es allemal, gute Sachpolitik zu machen.
Zurück ins Land: Der Innenminister ist im Amt, die Landespolizeipräsidentin auch, nur der suspendierte Inspekteur der Polizei muss sich möglicherweise neu orientieren. Was hat der Polizei-Untersuchungsausschuss gebracht außer lautem Blätterrauschen?
Der Untersuchungsausschuss hatte von Anfang an nicht nur eine Dimension. Wir wollten auch Strukturen beleuchten, die solche Art von sexuellen Übergriffen möglich machen. Unser Fazit: Es herrscht erheblicher Verbesserungsbedarf. Wie auch bei der Besetzung von Spitzenposten. Wir wissen aus den bisherigen Zeugenvernehmungen, dass einige CDU-Abgeordnete im Innenministerium ein- und ausgegangen sind, darunter einer, der inzwischen Justizstaatssekretär ist. Und dass der Eindruck entstand, dass Beförderungen besser funktionieren, wenn man sich mit ihnen gut stellt.
Sie vermuten Mauscheleien?
Diejenigen, die hinter den Kulissen die Strippen gezogen haben, haben nicht zuvorderst das Wohl des Landes oder die Bestenauslese im Sinn gehabt, sondern politische Günstlingswirtschaft betrieben. So geht das Vertrauen der Menschen in die staatlichen Institutionen verloren. Deswegen halte ich diesen Untersuchungsausschuss nach wie vor für richtig und wichtig, weil er rechtliche, aber auch demokratische Hygiene bringt. Wir sind sehr gespannt, wie es nach der Sommerpause weitergeht.