Kommentar

Schulreform: Chancen und Herausforderungen für Eltern und Schüler

Grün-Schwarz einigt sich auf eine wegweisende Schulreform in Baden-Württemberg. Die Einführung neuer Fächer und der Umstieg auf das neunjährige Gymnasium sind zentrale Punkte des Gesetzesvorschlags. Die Opposition bleibt skeptisch und fordert konkrete Umsetzungspläne, kommentiert Staatsanzeiger-Chefredakteur Rafael Binkowski.  

Im Bildungssystem stehen in Baden-Württemberg Veränderungen an.

imago images/wolterfoto)

Es ist die zweite große Einigung von Grün-Schwarz für eine wegweisende Bildungsreform . Nach dem Pakt für mehr Geld für frühkindliche Bildung im Frühjahr hat sich die Koalition kurz vor der Sommerpause nach viel Hin und Her auf Eckpunkte und ein Gesetz zur Schulreform verständigt. Das zeigt immerhin: Trotz des sich abzeichnenden Vorwahlkampfs zur Landtagswahl 2026 und erkennbaren Absetzbewegungen der Union bundesweit funktioniert das Bündnis in Stuttgart weiterhin.

Dass, wie zu hören ist, die Kultusministerin zwischendurch mal drohen musste, den von allen gewünschten Umstieg auf das neunjährige Gymnasium ab 2025 doch noch platzen zu lassen, muss kein Schaden sein. In der Bildungspolitik treffen sehr unterschiedliche Weltanschauungen aufeinander. Nun läuft die ohnehin nicht zukunftsfähige Werkrealschule aus, künftig werden alle Schüler jenseits des Gymnasiums in Verbünden unterrichtet, die sowohl einzelnen Leistungsanforderungen gerecht werden als auch die seit Jahrzehnten geforderte Durchlässigkeit garantieren. Dazu kommen am Gymnasium wichtige Fächer, etwa Informatik/KI/Medienbildung.

Allerdings sollten diese Themen nicht nur dort, sondern auch in anderen Schularten behandelt werden. Bleibt zu hoffen, dass die angestrebte „Schülerstromlenkung“ nach der vierten Klasse nicht all zu viel Druck auf Eltern und Kinder ausübt.

Man kann sicher an der einen oder anderen Stelle kritisieren, und manche Fragen sind noch ziemlich vage, etwa wie der Raumbedarf gedeckt werden soll. Da werden manche Kommunen sicher hellhörig werden, das Land darf sie dabei nicht alleine lassen. Doch auch ohne einen „Bildungsfrieden“ mit SPD und FDP könnten ideologische Gräben endlich zugeschüttet werden.

Die Opposition wird, und das ist ihr Recht und ihre Pflicht, im Detail den Finger in die Wunde legen. Und das ist gut so. Denn von den getragenen Worten im geplanten Gesetz bis zur konkreten Umsetzung und Finanzierung ist es ein weiter Weg. Und die Vera-Vergleichstests zeigen, dass bei Drittklässern beim Zuhören, Lesen und Schreiben weiterhin erschreckende Lücken klaffen.

Bemerkenswert ist, dass sich die beiden G9-Initiatorinnen, die fast im Alleingang das neunjährige Gymnasium im Land erreicht haben, jetzt von der Gruppe abwenden. Sie haben unglaublich viel erreicht, beharren aber nicht auf Maximalforderungen, sondern hätten gerne einen Kompromiss mit dem Kultusministerium gesucht. Was wohl auch angeboten wurde. Die neue Leitung von „G9 jetzt“ setzt auf einen sofortigen Totalumstieg, was unrealistisch ist. Dafür noch einmal mehr Unterschriften zu sammeln, ist wenig aussichtsreich. Und es wäre auch ein falsches Signal. Gerade die Bildungspolitik lebt von Ausgleich und Kompromiss.

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Lesermeinungen

    von Birgit Sommer
    Es ist ein Totschlagargument, einen unliebsamen Gegner durch einen Begriff wie „Totalumstieg“ in eine totalitäre und daher nicht mehr dialogwürdige Ecke stellen zu wollen. Inhaltlich daneben!

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