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Rechtsextremismus in der Polizei – was tun?

Auch wenn es bisher nur Einzelfälle sind: Rechtsextremistische Chatgruppen bringen die Polizei in Verruf. Jetzt soll dafür ein neuer Straftatbestand geschaffen werden, doch die beiden Polizeigewerkschaften lehnen dies ab.

Innenminister Thomas Strobl hatte sich für die Teilnahme der Landespolizei an einer bundesweiten Studie ausgesprochen, die Motivation, Einstellung und Gewalt im Polizeialltag untersuchen sollte. Der Hauptpersonalrat legte jedoch sein Veto ein.

dpa/Marijan Murat)

Stuttgart. Der „Itiotentreff“ machte seinem Namen alle Ehre. Das ist der erste Eindruck, den man gewinnt, wenn man durch die Inhalte der gleichnamigen internen Chatgruppe der Frankfurter Polizei scrollt, die jetzt von Jan Böhmermann veröffentlicht wurden. In der Whatsapp-Gruppe, die 2015 gegründet und 2018 im Rahmen der NSU-Fahndung entdeckt wurde, wurden rassistische, antisemitische und menschenverachtende Inhalte, darunter Hitler-Bilder in allen Variationen, geteilt.

Nordrhein-Westfalen will Gesetzeslücke schließen

Dennoch ließ das zuständige Landgericht Anfang des Jahres keine Anklage gegen die sechs mutmaßlichen Mitglieder der Chatgruppe zu. Die Richter argumentierten mit dem Recht auf Meinungsfreiheit. Und damit, dass die Inhalte nicht öffentlich verbreitet worden seien und deshalb beispielsweise nicht als Volksverhetzung verfolgt werden könnten.

Dieses Argument könnte in Zukunft hinfällig sein. Denn Nordrhein-Westfalen bringt an diesem Freitag eine Gesetzesinitiative in den Bundesrat ein, die den Austausch extremistischen Gedankenguts auch dann unter Strafe stellen soll, wenn dieses nur privat geteilt wird. Voraussetzung: Es besteht ein Bezug zu Dienstgeschäften, etwa weil die Chatgruppe ursprünglich zum kollegialen Austausch gegründet wurde.

Denn dann handele es sich um „mehr als eine bloße Meinungsäußerung unter Kolleginnen und Kollegen“, wie es in der Gesetzesbegründung heißt. So würden Stimmungen erzeugt und „zu einer nicht mehr an Recht und Gesetz, sondern an solchen Ideologien orientierten Dienstausübung animiert“.

Ähnliche Fälle gibt es auch in Baden-Württemberg. Am 11. Mai waren laut Innenministerium 61 Disziplinarverfahren gegen Polizisten anhängig, die Mitglieder von solchen Chatgruppen waren. Dies ergab eine Landtagsanfrage der AfD.

Das Ministerium sieht darin, wie es 2022 in seiner Antwort auf eine FDP-Landtagsanfrage ausführte, „kein strukturelles Problem“. Die Polizei zähle über 34 000 Beschäftigte. Polizisten müssten sich jederzeit aktiv für die freiheitlich demokratische Grundordnung einsetzen. Gleichwohl hält das Ministerium den Vorschlag von NRW für richtig. Er schließe eine Gesetzeslücke.

Ähnlich argumentieren Oliver Hildenbrand (Grüne), Christian Gehring (CDU) und Boris Weirauch (SPD). Dagegen lehnen Nico Weinmann (FDP) und Daniel Lindenschmid (AfD) den neuen Paragrafen ab. Weinmann sieht das Problem von Echokammern, in denen sich Gleichgesinnte radikalisieren. Trotzdem seien die Regeln ausreichend. Lindenschmid warnt vor „Gesinnungsschnüffelei“.

Grünen-Innenexperte Hildenbrand hat zudem „Vorschläge für die weitere Stärkung einer wertegeleiteten Polizeikultur“ erarbeitet, darunter die Möglichkeit der „tätigen Reue“: Wer offenlegt, dass er sich eines Dienstvergehens schuldig gemacht hat, soll mit Milde rechnen können.

Das geht in die Richtung, in die der Frankfurter Kriminologe Tobias Singelnstein argumentiert. Er forscht seit Jahren zu Themen wie Polizeigewalt und bezweifelt, dass das Problem strafrechtlich zu lösen ist. Für ihn die Chatgruppen nur ein Symptom. Das Problem gehe tiefer.

Kriminologe bedauert, dass Land nicht an Bundesstudie teilnimmt

Rechtsextremistische Einstellungen könnten sich im Dienst herausbilden, etwa, wenn ganze Dienstgruppen ihrem Vorgesetzten folgten. Außerdem ziehe die Polizei aufgrund ihrer Gewaltbefugnisse Menschen an, die in Kategorien wie Macht und Hierarchie dächten. Darunter seien auch Rechtsextremisten.

Singelnstein rät der Polizei, bei der Rekrutierung, spätestens jedoch vor der Ernennung auf Lebenszeit, genau darauf zu achten, mit wem man es zu tun habe. Außerdem hält er die Erforschung der Ursachen für wichtig und bedauert, dass sich das Land nicht an einer bundesweiten Studie beteiligt habe, die unter anderem ergab, dass zehn Prozent der Polizisten mit Muslimen und 17 Prozent mit Sinti und Roma Schwierigkeiten haben.

Innenminister Thomas Strobl (CDU) hatte sich für eine Teilnahme ausgesprochen, der Hauptpersonalrat war jedoch dagegen. Dessen Chef Ralf Kusterer hatte „rechtliche Bedenken“ geltend gemacht. Kusterer, der auch der Deutschen Polizeigewerkschaft vorsteht, ist auch gegen den neuen Paragrafen. Seiner Ansicht nach werden wirkliche Extremisten davon kaum abgeschreckt. Von den Mitgliedern der nun entdeckten Chatgruppen wiederum sei keine Gefahr ausgegangen. Die Chats hätten keine bleibenden Stimmungen erzeugt. Ihr Handeln habe sich weiterhin an Recht und Gesetz orientiert.

Gundram Lottmann, Chef der Gewerkschaft der Polizei, sieht das ähnlich. Er verweist auf das Disziplinarrecht, das „ausreichend hohe Strafen für die wenigen schwarzen Schafe innerhalb der Polizei“ vorsehe.

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