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Politischer Aschermittwoch der Grünen: Dieses Jahr wird nichts dem Zufall überlassen

Beim politischen Aschermittwoch der Grünen zeigt Bundesvorsitzende Franziska Brantner in der Stadthalle ihre kabarettistische Seite: Sie liest fiktive Nachrichten aus dem Jahr 2030 vor.
dpa/Stefan Puchner)Stuttgart. Wer zum politischen Aschermittwoch der Grünen in Biberach kommen will, muss zunächst einige Umleitungen, Absperrungen und Polizeikontrollen überwinden. Hier will man in diesem Jahr nichts dem Zufall überlassen, nachdem die Grünen ihre traditionelle Veranstaltung in Biberach im vergangenen Jahr absagen mussten. Die Proteste von Bauern hatten ein Durchkommen für die meisten Veranstaltungsbesucher verhindert. Auch konnte die Sicherheit der Teilnehmer nicht garantiert werden.
In diesem Jahr sieht es ganz anders aus. Die Halle ist voll besetzt. Draußen ist es ruhig, rund um die Halle stehen die Polizisten in kleinen Gruppen in der Sonne, beobachten die Straßen und Wege. Drinnen begrüßt man Bekannte und Parteikollegen. Die Stimmung ist gut, trotz der verlorenen Bundestagswahl. Eine Stunde ist zwischen Beginn des Einlasses in die Stadthalle und dem Beginn der Veranstaltung vorgesehen.
Es wird diskutiert. Etwa über das Milliarden-Paket, das der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) noch durch den alten Bundestag bringen will. Genauso ein Paket hatte Grünen-Spitzenkandidat Habeck bereits seit einigen Monaten gefordert. Es war Teil des Grünen-Wahlprogramms. Im Saal ist immer wieder zu hören, dass die Grünen dem Paket zustimmen sollten – im Bundestag wird eine zwei Drittel Mehrheit benötigt – allerdings wird von Merz auch gefordert, zu sagen, wie er die Zinsen für die Kreditaufnahme tilgen will. Allgemein herrscht die Meinung vor: Die Grünen sollten da auch mitreden. Immerhin werden ihre Stimmen auch für die Verabschiedung benötigt.
Schweigeminute für Opfer des Anschlags in Mannheim
Mit knapp 15 Minuten Verspätung kann es dann losgehen. Unter Beifallgeklatsche ziehen Kretschmann, Özdemir und Brantner dann in den Saal ein. Der politische Aschermittwoch beginnt mit einer Schweigeminute, um den Opfern des jüngsten Anschlags in Mannheim zu gedenken. Ministerpräsident Winfried Kretschmann machte deutlich: „Wir tun, was wir können, um die Bürger zu schützen.“ Aber sagt auch, dass es keine absolute Sicherheit geben wird. Mit Blick auf den Anschlag in Mannheim, der von einem gebürtigen Deutschen begangen wurde, hob er hervor, wie wichtig es ist, zunächst die Fakten zu prüfen, bevor man ein Urteil fällt. Denn in sozialen Medien war schnell die Rede von einem islamistischen Anschlag. Einen solchen Anschlag zu nutzen, um sein eigenes Süppchen zu kochen, sei „zutiefst verabscheuungswürdig“. „Wenn wir Tatsachen nicht mehr akzeptieren, legt das die Axt an jede funktionierende Gesellschaft“, so Kretschmann.
Zugleich räumte der Ministerpräsident auch ein, dass es oft Flüchtlinge waren, die solche Taten begangen haben. Er sprach auch davon, dass irreguläre Migration begrenzt werden müsse. Was das bedeutet? Kretschmann hält ganz klar daran Fest, dass politisch Verfolgte und Kriegsflüchtlinge Asyl und Schutz genießen. Doch das Asylrecht sei nicht für die Menschen gemacht, die aus Perspektivlosigkeit kommen. Zugleich machte er klar, dass eine reguläre Migration „verflüssigt“ werden müsse. „Wir brauchen Arbeits- und Fachkräfte“, so Kretschmann. Und er sagt: „Humanität gibt es nur in der Ordnung.“
Kretschmann: Nicht gerade ein Ausweis von Verlässlichkeit
Kretschmann spricht über die Stärke des Rechts, das Zivilisation bedeutet. Er spricht von Europa als einem Garant für Frieden und Freiheit. Er spricht über neue Technologien und deren Bedeutung. Und er spricht über den CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, und die ewige Debatte über die Schuldenbremse. Obgleich Kretschmann ein Anhänger der Schuldenbremse ist, macht er auch klar, dass diese in ihrer Starrheit nicht funktionieren kann. „Unsere Vorschläge wurden alle in Bausch und Bogen abgelehnt“, sagt er in Richtung CDU. Da auch der Bundestag der geplanten Änderung zustimmen muss, will er von Merz auch wissen, wie der Tilgungsplan aussieht. „In dieser Geschwindigkeit seinen Kurs zu wechseln, ist nicht gerade ein Ausweis von Verlässlichkeit“, so Kretschmann in Richtung Merz.
Der Spitzenkandidat der Grünen für die nächste Landtagswahl, Cem Özdemir, wandte sich am Ende seiner Rede direkt an die CDU im Land: „Ich weiß, Eure Sehnsucht ist groß, dass 2026 für Euch alles wieder ins Lot kommt. Aber ihr müsst jetzt ganz tapfer sein: Dass wir hier seit 2011 regieren, war kein historischer Zufall, keine Laune der Zeitläufe. Täuscht Euch da nicht. Da kommt noch was.“
Erst das Land, dann kommt lange nichts. Dann die Partei.
Wie sein Politikverständnis aussieht, machte er an diesem Vormittag ebenfalls deutlich: Erst das Land, dann kommt lange nichts, dann die Partei und am Ende irgendwann die Person. Was das bedeutet, untermauerte er mit Beispielen: Etwa bei der Suche nach Staatssekretären, als er nach dem Bruch der Ampelkoalition auch noch das Bundesbildungsministerium zusätzlich zum Landwirtschaftsministerium übernahm. Einen Staatssekretär holte er sich aus Baden-Württemberg. Beim zweiten wandte er sich an die ehemalige CDU-Ministerin Anette Schavan und fragte, wen sie ihm empfehlen könne. Die Wahl fiel auf einen ehemaligen Amtsleiter, der inzwischen im Ruhestand war, und der das Haus sehr gut kennt. Özdemir störte sich nicht daran, dass der Mann nicht sein Parteibuch hat. Und er spricht von Gesprächen mit den Landwirten, vom Zuhören und dem Suchen nach Lösungen. Lösungen, die seine Vorgänger seit Jahrzehnten nicht gesucht hätten. Was nicht zuletzt zu im vergangenen Jahr in den Bauernaufständen gipfelte. Auch hier sei es gelungen, den größten Teil der geplanten Verschlechterungen für die Bauern wieder zurückzunehmen, so Özdemir.
Er spricht auch über die FDP, die eine schlechte Karikatur des politischen Liberalismus geworden sei. „Der politische Liberalismus ist trotzdem wichtig, trotz der FDP“, so Özdemir. Und er rief dazu auf, der Essenz des Liberalismus bei den Grünen in Baden-Württemberg eine gute Heimat zu geben.
Erinnerung an Wieland
Und mit Blick auf künftige Minister der CSU erzählt er, wie schwer es sei, seine Kinder zu den Hausaufgaben zu motivieren, wenn diese ihm antworteten: Dass auch ein Alexander Dobrindt und ein Andreas Scheuer Minister geworden seien. Und Özdemir erinnert auch daran, dass Peter Ramsauer, Dobrindt und Scheuer das Bahnnetz so richtig vor die Wand gefahren hätten.
Sein Fazit: „Wenn sich nochmal jemand fragt in diesem Jahr, wofür es sich einzustehen lohnt, der erinnere sich an den Dichter Wieland: „Niemand kann etwas dabei zu befürchten haben, wenn es heller in den Köpfen der Menschen wird, – als diejenigen, deren Interesse es ist, daß es dunkel darin sey und bleibe.“ Und er macht deutlich: „Meine Heimat ist Baden-Württemberg, so, wie es Winfried nun seit 14 Jahre vorlebt: miteinander schwätzen. Voneinander lernen. Und dann mutig voraus.“ Die Besucher beim politischen Aschermittwoch belohnten ihn mit Standing Ovations.
Zum Einstieg der Veranstaltung hatte die Bundesvorsitzende Franziska Brantner einen satirischen Blick in die Zukunft geworfen. Wie bei diesen Veranstaltungen üblich, nahm sie den politischen Gegner ins Visier. Aber auf witzige und satirische Art und Weise. Sie las als Tagesschausprecherin die Nachrichten am 5. März 2030 vor. Darunter etwa eine von CDU und AfD erreichte Verlängerung des fossilen Verbrennungsmotors, die von Teilen der Bevölkerung begeistert aufgenommen wurde, wenn auch mit einem Nachteil: Zum Tanken müssen die Besitzer eines Verbrenners nach Texas oder nach Moskau fahren.
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