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Politiker brauchen Beamte – und umgekehrt ist es genauso
Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche. Und es ist kein Wunder, wenn sie sich, altersmilde geworden, besinnen, woher sie einst kamen. Dies könnte ein Grund sein, warum Winfried Kretschmann, der einst antrat mit dem Versprechen, 11 600 Lehrerstellen zu streichen, der den Verweis des Grundgesetzes auf die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums entbehrlich fand und die üppigen Pensionen infrage stellte, auf seine alten Tage zum Beamtenfreund wird. Schließlich hat er selber einmal als Lehrer angefangen, was beinahe – man mag es kaum glauben – am Radikalenerlass gescheitert wäre.
Aber so ist das mit den Menschen: Sie ändern sich und bleiben sich doch treu. Keiner kann aus seiner Haut. Und Menschen wohnt noch eine Eigenschaft inne, die sie mit allen Lebewesen teilen, aber auch mit Organismen, die nicht im strengen Sinne leben, aber eben doch nicht totzukriegen sind: der Selbsterhaltungstrieb. Er ist Teil dessen, was Biologen als Autopoiesis bezeichnen und was Niklas Luhmann in die Soziologie einführte: Auch soziale Systeme tun alles, damit es sie morgen noch gibt.
Das heißt nun nicht, dass das Berufsbeamtentum, um das es hier gehen soll, überflüssig wäre. Es hat Vorteile, treue Staatsdiener zu haben, die an Recht und Gesetz gebunden sind, deren berufliche Existenz gesichert ist und deren Karriere zumindest im Idealfall nicht vom Wohlwollen ihrer Vorgesetzten, sondern von objektiven Kriterien abhängt. Der Beamtenstatus verleiht eine Unabhängigkeit, die einem Gemeinwesen guttut. Allerdings gilt dies nur, sofern die Tätigkeit, der dieser Beamte nachgeht, dieser Unabhängigkeit bedarf.
Wer Kretschmanns Reden schreibt oder im Namen der Landesregierung Presseauskünfte erteilt, braucht diese Unabhängigkeit nicht. Denn seine Aufgabe besteht ja gerade darin, Partei zu sein. Weshalb es auch keinen Grund gibt, diesen Personenkreis zu verbeamten.
Aber das ist nur ein Teil der Geschichte. Diejenigen, die Kretschmanns Verbeamtungspläne kritisieren, tun das Ihre, damit es auch in Zukunft Beamte gibt. Da sind die Fraktionen – mit Ausnahme der AfD –, die Wert darauf legen, dass ihre parlamentarischen Berater verbeamtet werden, auch wenn deren Aufgabe darin besteht, die Welt durch eine Parteibrille zu sehen. Auch der Beamtenbund und der Koalitionspartner CDU wollen nicht den Beamten als solchen abschaffen – allenfalls könnte es dem einen oder anderen gefallen, wenn die Grünen in dieser Diskussion ihr Fett abbekommen.
Kretschmanns Wandlung ist auch deshalb so erstaunlich, weil der Grüne lange mit dem Beamtenbund über Kreuz lag. Legendär sind jene Rededuelle, die er sich mit dem damaligen Vorsitzenden Volker Stich lieferte. Tiefpunkt war sicher jene Protestveranstaltung des Beamtenbunds in der Stuttgarter Liederhalle 2012, bei der es um die Sparpläne der grün-roten Regierung gehen sollte, man aber angesichts der Geräuschkulisse kaum sein eigenes Wort verstand.
Unter dem Strich, das lässt sich zwölf Jahre später sagen, hat sich die Standesorganisation durchgesetzt. Nicht nur, dass das Land mit wenigen Ausnahmen alle Sparmaßnahmen von damals kassierte. Auch alle Pläne, das Berufsbeamtentum zu reformieren oder den Personenkreis, der dafür infrage kommt, einzuschränken, scheiterten. Jedenfalls, wenn man eher kosmetische Maßnahmen nicht mitzählt.
Dabei zeigen Länder wie Österreich und die Schweiz, die einen ähnlichen Beamtenstatus hatten und sich davon verabschiedeten, dass Gemeinwesen auch ohne die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums gedeihen können.
Das heißt nun nicht, dass man das Berufsbeamtentum abschaffen muss. Aber ein paar Zöpfe darf man durchaus abschneiden. Die Vorstellung etwa, dass alle Beamten Alleinverdiener sind und ihr Gehalt für eine vierköpfige Familie reichen muss. Und dass Leistung nicht mit Prämien, sondern ausschließlich mit Beförderungen belohnt werden darf.
Dabei darf man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten: Selbstverständlich tun Staatsdiener dem Staat gut. Doch inzwischen verfestigt sich eher der Eindruck, als solle das Berufsbeamtentum auf alle Zeiten so bleiben, wie es ist. Weil es seinem Selbsterhaltungstrieb folgt. Und weil die Interessen der Beamten und der Regierenden in dieser Hinsicht offenbar deckungsgleich sind. Kretschmann hält nicht nur aus Altersmilde den Beamten die Treue. Sondern weil sie einfach praktisch sind.