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„Oper voll, Urnen voll“: Wie sich die FDP an Dreikönig Mut zuspricht
Stuttgart. Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner bietet seine Partei als Alternative für „gemäßigte Wähler und Wählerinnen“ an, die bisher der AfD oder dem Bündnis Sarah Wagenknecht ihre Stimme gegeben haben. Ohne AfD und BSW im Bundestag „gäbe es längst eine schwarz-gelbe Mehrheit im Bundestag“, so Lindner auf dem Dreikönigstreffen in Stuttgart. Und deshalb müsse der Versuch unternommen werden, Menschen zu erreichen, „die gegenwärtig nicht das demokratische Zentrum wählen“.
Fünf Bundesvorsitzende hat die FDP in vergangenen 20 Jahren erlebt, von Klaus Kinkel über Wolfgang Gerhardt, Guido Westerwelle, Philipp Rösler bis zu Christian Lindner. Sehr unterschiedliche Temperamente, die auf diesem traditionsreichen Stelldichein der deutschen Liberalen zum Jahresauftakt aber alle zum selben Stilmittel gegriffen haben: der kämpferischen Rede, mit der das Publikum im Großen Haus der Württembergischen Staatstheater deren Stellung im Parteienspektrum herausgestrichen werden soll als „einzige Kraft der Freiheit“. Diesmal, nach dem Ampel-Aus und der massiven Kritik an den als D-Day-Papier bekannt gewordenen Ausstiegsszenarien, waren Zweifel durchaus vorhanden, ob die Oper überhaupt voll wird. Sie wurde es. Und Lindner in seinem gut einstündigen Auftritt mit viel Szenenapplaus bedacht, vor allem, als er seine Vision einer Bundesregierung aus Union und FDP entwickelt.
Wähler von den politischen Rändern zurückholen
Manchen möge diese Perspektive noch wenig realistisch erscheinen, so der frühere Bundesfinanzminister mit Blick auf die Umfragewerte seiner Partei auf der kargen Bühne, die ein Rednerpult als Requisit ziert, das allerdings keiner der Redner verwendet. Aktuell weist kein demoskopisches Institut mehr als vier Prozent für die Liberalen aus. Aber Wahlkämpfe seien nicht dazu da, Umfragen zu bestätigen, sondern dazu, Umfragen zu verändern. Zurückgeholt werden müssten Wähler der Ränder „mit der Perspektive einer Wirtschaftswende, einer kontrollierten, aber weltoffenen Einwanderung und mit mehr Freiheit statt Bevormundung“.
Lindner macht kein Hehl daraus, dass das Ziel nicht nur der Wiedereinzug in den Bundestag, sondern die Rückkehr in die Bundesregierung ist. Ausdrücklich übrigens zum Wohle nicht nur der Republik, sondern auch der Union. Denn: „Die CDU/CSU ist ein politsches Chamäloen.“ Sie passe sich den jeweiligen Koalitionspartnern an, weshalb Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün nichts anderes als eine „Ampel light“ sei. Nicht nur einen Kanzler-, sondern einen „echten Politikwechsel“ gäbe es allein mit der FDP.
Es gehört auch zu den Auftritten der Prominenz an Dreikönig, dass ihre Argumentation im üblichen Parforce-Ritt durch verschiedenartige Themen nicht immer ganz stringent gelingt. So erklärt Lindner die dringende Notwendigkeit einer schwarz-gelben Bundesregierung auch damit, dass es 20 Jahre „ohne Reformen“ gegeben habe. Keine halbe Stunde zuvor hatte er noch eine überraschend positive Bilanz der Ampelkoalition gezogen: Das Klimaschutzgesetz sei marktwirtschaftlich novelliert, Steuerentlastungen beschlossen und damit begonnen worden, Ordnung in die Migrationspolitik zu bringen, die Bundeswehr zu ertüchtigen und Bürokratie „in größeren Maßstab“ abzubauen. Es habe verfassungskonforme Haushalte mit Rekordinvestitionen gegeben. Besonders stolz äußert sich Lindner über das Startchancenprogramm, weil damit für zehntausende Kinder und Jugendliche das Ausstiegsversprechen erneuert werde. Der Schulabschluss hänge nicht von der Herkunft der Eltern ab, sondern „von Fleiß, Talent und Einsatzbereitschaft“.
Lindner kritisiert Habeck und Scholz
Im Übrigen lässt der FDP-Chef kein gutes Haar an den früheren Partnern. Robert Habeck habe im Wahlkampf bereits Versprechungen in einem Volumen von einer halben Billion Euro gemacht, Bundeskanzler Olaf Scholz verglich er mit einem Karnevalsprinzen, der Kamelle verteilt. Zuvor hatte sich der frühere Bundesjustizminister Marco Buschmann, heute FDP-Generalsekretär, gerade mit den wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Sozialdemokraten und Grünen befasst. Die setzten immer auf „vier S“: mehr Staat, mehr Schulden, mehr Subventionen, mehr Steuern. Das sei „die ganz alte Leier aus den Sechzigern und Siebzigern, die aber noch nie funktioniert hat“. Wie Lindner verwies auch Buschmann auf das Motto der Kundgebung: „Alles lässt sich ändern“. Beide werben für einen Mentalitätswechsel. „Was mir nicht gefällt“, bekannte der Generalsekretär, „ist, dass sich ein Gefühl breitmacht, als ginge alles den Bach runter.“
Die Veranstaltung endete so, wie Dreikönig mit ganz wenigen Ausnahmen seit vielen Jahren endet: mit stehenden Ovationen und euphorischer Zustimmung im zum Teil geladenen Publikum. Jürgen Morlok, einst Parteichef im Land, hatte als einfacher Besucher in einer der ersten Reihen schon vor dem offiziellen Beginn optimistisch in die Reihen und auf die Ränge geblickt und an eine „ganz alte Regel“ erinnert: „Oper voll – Urnen voll.“ Und eben die werde am 23. Februar ihre Richtigkeit beweisen.