Essay

Nur die Starken profitieren von einem schwachen Staat

Gegen ein bisschen Milei oder Musk ist nichts einzuwenden, man muss nur wissen, wann Schluss ist. Diese Auffassung vertritt Michael Schwarz in seinem Essay.

Zwei Männer - ein Gedanke: Elon Musk (links) will der Bürokratie mit der Kettensäge zu Leibe rücken. Javier Milei hat damit, was Argentinien angeht, schon begonnen.

dpa/Presidencia Argentina)

Carsten Linnemann liebäugelt damit und Christian Lindner spricht davon, Deutschland solle „ein klein bisschen mehr Milei oder Musk wagen“. Die Idee, dass es viel zu viel Bürokratie gibt, hat auch Deutschland erfasst. Allerdings sind die Bretter bei uns besonders dick.

Da ist auf der einen Seite ein wuchernder Verordnungs- und Paragrafendschungel, der mit jedem Regierungswechsel undurchdringlicher wird und den wir auch dem föderalen Aufbau der Bundesrepublik verdanken: Jeder Sachverhalt wird nicht nur einmal, sondern im Extremfall 17 Mal geregelt – vom Bund und den 16 Ländern. Auch Europa sieht seine Bestimmung darin, kontinuierlich neue Verordnungen und Richtlinien auf den Weg zu bringen.

Und dann sind da noch die Behörden, für die Genauigkeit vor Schnelligkeit gilt, was ja kein Fehler wäre, würde diese Mixtur aus Überregulierung und äußerster Sorgfalt nicht den Standort Deutschland gefährden.

Versuche, dem etwas entgegenzusetzen, wurden anfangs belächelt, man erinnere sich nur an die Stoiber-Kommission. Doch allmählich beginnt sich der Wind zu drehen. In Baden-Württemberg hat man damit begonnen, jeden Stein umzudrehen auf der Suche nach Verfahrenserleichterungen. Die Landesregierung hat die Notbremse gezogen, damit nicht noch mehr Arbeitsplätze verloren gehen, weil Unternehmer dem Bürokratiedschungel den Rücken kehren.

Dabei sind Regeln ja nicht per se schlecht. Wer wie Musk mit der Kettensäge unterwegs ist, muss sich fragen lassen, ob er nicht mehr zerstört, als er befreit. Da ist die Analogie mit dem Brombeergestrüpp, dem der Ministerpräsident mit der Heckenschere zu Leibe rücken will, doch sympathischer. Doch auch an ihm gibt es Kritik. Man denke nur daran, dass der Verzicht auf ein Antidiskriminierungsgesetz vom Staatsministerium mit Bürokratieabbau begründet werden sollte. Inzwischen scheint sich der Wind zu drehen. Am Dienstag erwähnte Winfried Kretschmann das Vorhaben, das nun als „Gleichstellungsgesetz“ firmiert, in einer Reihe mit anderen, bei denen man sich „in konstruktiven Gesprächen“ und „teils auf der Zielgerade“ befinde.

Lässt sich der Bürokratieabbau à la Kretschmann mit den Plänen von Elon Musk überhaupt vergleichen? Ja, aber nur bis zu einem bestimmten Punkt. Ausmisten wollen beide. Doch da ist ein entscheidender Unterschied. Der reichste Mensch der Welt hat ein wirtschaftliches Eigeninteresse. Deshalb droht er ja nicht nur den Paragrafen mit der Kettensäge, sondern auch den Menschen dahinter. Beziehungsweise, schlimm genug, ihren Arbeitsplätzen.

Dies hätte aus Sicht der Milliardärsclique um Trump, die in Zukunft in den USA das Sagen hat, zwei Vorteile: Sie könnten ihren Geschäften ungestörter nachgehen. Und sie könnten ihre Mitarbeiter aus einem wachsenden Arbeitskräftereservoir rekrutieren. Denn der Fachkräftemangel hat ja auch damit zu tun, dass sich so viele Arbeitgeber um so wenig Nachwuchs streiten. Wenn man wie Javier Milei in Argentinien einfach mal die Hälfte der Ministerien abschafft, kann sich die freie Wirtschaft die Finger lecken.

So weit wird es bei uns hoffentlich nie kommen. Doch daraus ergibt sich ein anderes Problem. Der Beamtenbund weist seit Jahren darauf hin, dass Deutschland zu wenige öffentlich Beschäftigte hat. Mehr als eine halbe Million Stellen seien unbesetzt. Nun wird man schon aus demografischen Gründen nicht jede Stelle wiederbesetzen können. Überall, auch im öffentlichen Dienst, muss man sich mit der Frage auseinandersetzen, wie weniger Menschen die gleiche Arbeit schaffen. Und weil dies auf Dauer nicht geht, wie man die Arbeit reduziert. Etwa mit Bürokratieabbau. Oder mit KI.

Gleichzeitig schadet es auch nicht, wenn man sich einmal klarmacht, worin die Vorteile eines Systems liegen, in dem die Staatsquote nicht bei 37 Prozent liegt wie in den USA, sondern bei knapp 50. In Deutschland sind die Einkommensunterschiede weit weniger ausgeprägt als in den USA. Der Staat lässt seine Bürger nicht allein. All dies ist nicht umsonst zu haben. Die Steuerbelastung ist hoch. Dafür wird den Menschen aber auch einiges geboten – in Sachen Justiz, innere Sicherheit, öffentlicher Nahverkehr, Bildungswesen –, was sich trotz mancher Schwächen international sehen lassen kann. Und das es nur deshalb gibt, weil man sich auf dieser Seite des Großen Teichs zu einem starken Staat bekennt. Inklusive eines starken öffentlichen Dienstes und dessen Kosten.

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