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Notfallpraxen: 13 Städte klagen gegen Schließungen

Menschen aus vermutlich bedrohten Städten und Gemeinden im Zuge der Neuordnung der Notfallpraxen in Baden-Württemberg nehmen vor dem Sitz der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) an einer Demonstration teil. Nach massiver Kritik an bereits öffentlich gewordenen Schließungsplänen will die (KVBW) ihre Pläne für die künftige Struktur des ärztlichen Bereitschaftsdienstes im Südwesten offiziell vorstellen.
dpa/Marijan Murat)Stuttgart. Gegen die Schließungspläne von Notfallpraxen durch die Kassenärztliche Vereinigung (KVBW) hat es viel Protest gegeben. Demonstrationen und Unterschriftenaktionen haben den Unmut dokumentiert. Nun gehen 13 Städte in Baden-Württemberg einen Schritt weiter und suchen eine Entscheidung des Sozialgerichts Stuttgart. Sie klagen gegen gegen die KVBW und wollen so deren Schließungspläne kippen.
„Durch die Ankündigungen am 21. Oktober und am 19. Dezember des vergangenen Jahres wurden die Städte vor vollendete Tatsachen gestellt“, so Ettlingens Oberbürgermeister Johannes Arnold (parteilos). Zu jenen Terminen hatte die KVBW in einer Pressekonferenz und einer Informationsveranstaltung ihre Pläne verkündet, nach welchen 18 Praxen ab dem kommenden April geschlossen werden. Die Kommunen seien hierüber teils nur Stunden zuvor informiert worden.
Kommunen fühlen sich von der Ärztevereinigung übergangen
Damit habe die KVBW ihre gesetzliche Beteiligungspflicht bei solchen Entscheidungen verletzt, sagt Martin Löffler , SPD-Bürgermeister aus Müllheim (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald) und Klagekoordinator. Die Städte wüssten nicht, was konkret zur Schließung der jeweiligen Praxis geführt hat. Allgemeine Begründungen wie die 30 Minuten Fahrzeit für 95 Prozent der Kreisbewohner zur jeweiligen Notfallpraxis, die unrealistische Annahme von Fahrtzeiten oder die ungleiche Behandlung von bevölkerungsstarken und weniger bewohnten Landkreisen kann der Rathauschef nicht nachvollziehen.
Die KVBW weist die Vorwürfe zurück. Man sei teils sehr lange mit den Kommunen im Gespräch gewesen, so ein Sprecher. Die zumutbaren Fahrzeiten habe man einem Gesetzesentwurf zur Neuordnung der Notfalldienste entnommen. Die Bevölkerungsdichte von Landkreisen sage nichts über eine notwendige Zahl von Praxen aus, sondern allenfalls über die Größe der Praxis. Wie sich die KVBW auf die Wünsche der Kommunen einzulassen habe, sei Gegenstand des Verfahrens. Ob es nachträgliche Veränderungen gebe, wolle die KVBW ebenfalls vor Gericht und nicht in der Öffentlichkeit erörtern, so der Sprecher.
Von den Kommunalverbänden kommt Verständnis für die Klage. Gemeindetagspräsident Steffen Jäger stellt Pläne zur Strukturreform nicht infrage. Allerdings sollten die Bürgermeister davon nicht aus der Zeitung erfahren müssen: „Umso mehr scheint es geboten, dass die Kassenärztliche Vereinigung nicht im Sinne einer Basta-Politik einfach weiter Tatsachen schafft.“ Ralf Broß, Geschäftsführer des Städtetags, hält es für unerlässlich, „Reformen im ärztlichen Bereitschaftsdienst in einem offenen und nachvollziehbaren Prozess zu erarbeiten – und die jeweiligen Städte dabei zu beteiligen“.
Ministerium mahnt zur Versachlichung der Debatte
Auch die Landespolitik hat auf die Klage reagiert. Eine Sprecherin von Sozialminister Manne Lucha (Grüne) mahnte gegenüber der dpa zur Versachlichung der Debatte. Es gehe nicht um medizinische Notfälle, sondern um eine Neuordnung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes außerhalb der gewöhnlichen Sprechstundenzeiten. Lucha erntet Kritik von der Opposition, weil es keinen Dialog mit den betroffenen Akteuren gegeben habe, so der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Jochen Haußmann. Florian Wahl, gesundheitspolitischer Sprecher der Landtags-SPD, verwies auf eine Erhebung, nach der in Buchen fast 40 Prozent mehr ambulante Patienten in der Notaufnahme im örtlichen Krankenhaus erschienen seien, nachdem die Notfallpraxis dicht gemacht wurde. „Wenn die Kassenärztliche Vereinigung ihre Angebote einschränkt, dann tut sie das massiv auf Kosten der Krankenhäuser“, so Wahl.
Der Standort Buchen gehörte zu einer ersten Schließungswelle im Oktober 2023, bei der acht Standorte ganz geschlossen wurden und sechs nur verkürzt geöffnet hatten. Hintergrund war eine Entscheidung des Bundessozialgerichts, nach der Pool-Ärzte, die Dienste bei den Notfallpraxen übernommen haben, sozialversicherungspflichtig sind. Diese Regel sollte durch eine Gesetzänderung abgeschafft werden, allerdings kam der Entscheidung das Ampel-Aus zuvor, so ein Sprecher der KVBW.
Diese Kommunen beteiligen sich an der Klage
Von den 18 Städten, in denen die KVBW ab April die Bereitschaftspraxen schließen möchte, erheben zwölf nun Klage: Backnang (Rems-Murr-Kreis), Bad Saulgau (Kreis Sigmaringen), Brackenheim (Kreis Heilbronn), Ettlingen und Neuenbürg (Kreis Karlsruhe), Herrenberg (Kreis Böblingen), Kirchheim unter Teck (Kreis Esslingen), Müllheim (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald), Münsingen (Kreis Reutlingen), Nagold (Kreis Calw), Oberndorf (Kreis Rottweil), Schwetzingen (Rhein-Neckar-Kreis) sowie Tettnang im Bodenseekreis suchen ihr Recht vor Gericht. Die Klage unterstützt zusätzlich Güglingen, obwohl nur durch Schließung im benachbarten Brackenheim indirekt betroffen. Die Städte Achern und Wolfach (Ortenaukreis), Albstadt (Zollernalbkreis), Eberbach (Rhein-Neckar-Kreis) sowie Ellwangen (Ostalbkreis) machen bei der Klage nicht mit.