Nichts stört die Harmonie – Kritik kommt nur von der Opposition
Stuttgart . Nicht einmal Ulrich Raisch konnte das Bild der Harmonie stören. Der Dauerkandidat bei gefühlt jeder Bürgermeisterwahl im Südwesten wollte bei der Wahl des neuen Landesvorsitzenden auf dem Reutlinger Parteitag gegen Manuel Hagel kandidieren. Doch der aktuelle Sitzungsleiter, der frühere Abgeordnete Klaus Herrmann aus Ludwigsburg, ließ ihn einfach abperlen: Da er kein Delegierter sei, könne er nicht vorgeschlagen werden. Punkt aus, Thema erledigt, dann wählten 91,5 Prozent Hagel zum neuen Parteichef.
Aussprache, Debatte, Diskussion? Gab es nicht. Als Der Staatssekretär Thomas Bareiß, der die Parteitagsregie führte, Fragen aufrief nach dem Bericht des scheidenden Landesvorsitzenden Thomas Strobl und des künftigen Manuel Hagel: keine einzige Wortmeldung.
Einstimmig gegen Grundrecht auf Asyl
Sogar der Antrag des CDU/CSU-Fraktionsgeschäftsführers im Bundestag, Thorsten Frei, das Grundrecht auf Asyl abzuschaffen und durch eine Institionsgarantie zu ersetzen, wurde einstimmig durchgewinkt. Nur Christian Bäumler, der früher für viel Widerspruch gute Landesvorsitzende der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) meldete sich zu Wort.
Aber nicht, um den Antrag in Frage zu stellen, dem könnte er „voll inhaltlich zustimmen“. Nur eine Formulierung bat er zu streichen: den Verweis auf die Ruanda-Regelung nach britischem Vorbild, Asyl-Antragssteller nach Ruanda auszufliegen, um dort ihr Verfahren abzuwickeln. Nachdem dies durch den britischen Supreme Court verworfen wurde, solle man das Wort „Ruanda“ doch nicht erwähnen. Das wurde so übernommen.
Auf Antrag der Jungen Union wurde eine Israel-Resolution einstimmig verabschiedet. Da schon 18 Uhr war, schlug der neue Parteichef Manuel Hagel vor, das Gros der 150 Anträge auf den nächsten Parteitag im Frühjahr 2024 zu überweisen und dort zu diskutieren.
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Die Grabenkämpfe sollen überwunden sein
Auch das wurde – natürlich – einstimmig beschlossen. Die Partei will wieder regieren, will die alten Grabenkämpfe hinter sich lassen. Der jahrelange Zwischen zwischen Liberalen und Konservativen, ursprünglich zwischen Oettinger- und Schavan-Fans, hat sich überlebt, die meisten Apologeten dieser Streitlinie sind im politischen Ruhestand. Oder wurden, wie der Aalener Abgeordnete und einstiger Mappus-Intimus Winfried Mack, gar nicht mehr in den Parteivorstand gewählt. Auch das ein Zeichen. Die Bauministerin Nicole Razavi, die früher Büroleiterin von Mappus war, erhielt bei der Wahl immerhin 73,3 Prozent.
Oettinger wie Schavan waren übrigens beide da – und stellten sich nach der Wahl von Hagel demonstrativ neben und hinter den neuen Parteivorsitzenden. Die Partei schließt die Reihen.
Kritik gab es nur von extern. Der SPD-Generalsekretär Sascha Binder ließ noch am Sonntag mitteilen: “ Die CDU hat heute eine Kerze für Manuel Hagel angezündet, um sich heute noch wohlig in den Schlaf zu wiegen.“
Nun müsse Hagel allerdings gemeinsam mit den Grünen das Feld bewirtschaften. Denn ein braches Feld bis zur nächsten Wahl könnte sich das Land nicht leisten. „Für die Bürgerinnen und Bürger ist entscheidend, was jetzt in der Migration, bei Arbeitsplätzen und im Klimawandel passiert und nicht, was nach einer Wahl in zwei Jahren passieren müsste“, so Binder.
Nabu fordert weniger Flächenverbrauch
Der Naturschutzbund Baden-Württemberg gratuliert Manuel Hagel zur Wahl zum CDU-Landesvorsitzenden. Der Landesvorsitzende Johannes Enssle betont: „Die CDU ist ein wichtiger Anker für eine stabile Demokratie im Land. Und unter CDU-Beteiligung ist gerade in den letzten sieben Jahren für den Natur- und Klimaschutz viel passiert.“
Gleichzeitig stehe Baden-Württemberg vor vielen Herausforderungen, an begonnenen Prozessen gelte es dran zu bleiben. Etwa beim naturverträglichen Ausbau der Erneuerbaren Energien oder für die Umsetzung des Biodiversitätsstärkungsgesetzes. Kritik gab es auch: „Eine besonders große Baustelle gibt es beim Thema Flächensparen. Hier klaffen Anspruch und Wirklichkeit noch weit auseinander, die angestrebte ‚Netto-Null‘ steht einem Flächenverbrauch von zuletzt 4,6 Hektar pro Tag gegenüber.“
Irritiert hätten dabei jüngste Äußerungen, wonach sich Teile der CDU-Fraktion offenbar vom Netto-Null-Ziel aus dem Koalitionsvertrag distanzieren. Enssle: „Wir setzen darauf, dass Manuel Hagel in seiner neuen Rolle für konstruktive Gespräche mit den Umwelt- und Bauernverbänden, auch zum Flächensparen, offen ist.“
Wie geht es mit Grün-Schwarz weiter?
Interessant wird nun zu beobachten sein, wie sich die Forderungen des neuen Parteichefs im Regierungsalltag niederschlagen. Vor allem bei der Migrationspolitik: Hagel fordert Sachleistungen für Asylbewerber, zumindest eine Beteiligung an der bundesweiten Bezahlkarte. Und eine „180-Grad-Wende in der Einwanderungspolitik“ – was immer darunter zu verstehen ist.
Dass weiter konstruktiv miteinander regiert wird, stellte der 35-Jährige noch am Samstag klar: „Wir werden die Legislaturperiode mit Winfried Kretschmann beenden.“