Neues EU-Schweiz-Paket: Hochschulen können sofort starten
Stuttgart. Wenn die EU und die Schweiz 2026 oder 2027 tatsächlich ein umfassendes neues Kooperationsabkommen unterschreiben können, ist das auch baden-württembergischer Pendeldiplomatie zu verdanken. Seit dreieinhalb Jahren macht sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) in Bern und Brüssel für Kompromisse stark. Von den unmittelbar wirksamen Forschungsvereinbarungen wird das Land besonders profitieren.
Mal reiste das halbe Stuttgarter Kabinett zu den Nachbarn im Süden, mal versuchte sich der Ministerpräsident im Gespräch mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als Brückenbauer. Depeschen gingen hin und her. Als der Schweizer Bundesrat im Mai 2021 entschied, die Gespräche über ein neues Rahmenvertragswerk mit der EU abzubrechen, bemühte sich die grün-schwarze Landesregierung um Wiederannäherung. Mit Erfolg: Jetzt sei ein wichtiges Etappenziel erreicht, erklärten die Brüsseler Verhandler kurz vor Weihnachten. Als konkrete Vorteile sind unter anderem die Zusammenarbeit für eine reibungslose Stromversorgung, im Falle schwerwiegender Gesundheitsgefahren und für Hochschulen hervorgehoben, die sofort in Kraft treten.
Entscheidung voraussichtlich 2026
Vor der Sommerpause 2025 soll der Schweizer Bundesrat die Kompromisse mit der EU und die notwendige Anpassung an die eigene Gesetzgebung vorlegen. Das Parlament in Bern könnte dann 2026 entscheiden. Möglich ist aber, dass Kritiker der wieder institutionalisierten Zusammenarbeit mit der EU eine neuerliche Volksabstimmung anstreben, um das Rahmenabkommen, das dritte seiner Art, doch noch zu Fall zu bringen. Im Jahr 2000 waren die ersten Vereinbarungen, zusammengefasst zur sogenannten „Bilaterale I“, noch mit gut 67 Prozent Ja-Stimmen gebilligt worden.
Baden-Württemberg und die Schweiz verbinden nicht nur dreihundert Kilometer gemeinsame Grenze oder 57.000 Beschäftigte, die täglich in die Schweiz auspendeln, sondern auch die intensive Zusammenarbeit von Hochschulen. Insgesamt bestehen 130 Kooperationen, auch unter Einschluss von Österreich und Liechtenstein um den Bodensee oder am Rhein entlang gemeinsam mit Frankreich. Fehlende rechtliche Grundlagen erschwerten aber zunehmend, EU-Gelder einzuwerben.
Jetzt werde der Forschungsstandort gemeinsam gestärkt, hofft Kretschmann, „und das ist gerade für unsere Hochschulen und Forschungseinrichtungen im Land eine gute Nachricht, die sehr eng mit Partnern in den Schweizer Hochschulen kooperieren“. Nachdem in fast 200 Runden geschnürten Paket wird, wie der Schweizer Bundesrat mitteilt, die Teilnahme an den Ausschreibungen der Programme von „Horizon Europe“, Euratom und Digitales Europa ab 1. Januar 2025 ermöglicht.
Stolpersteine
Als möglicher Stolperstein auf dem Weg zum neuen Rahmenabkommen gelten die Schiedsgerichte zur Streitbeilegung für den Fall, dass Schweiz und EU keine gemeinsame Zustimmung zu Details der Abkommen erzielen. Unter anderem umstritten ist, dass in einzelnen Punkten auch der EuGH befasst werden könnte und die Eidgenossen sich damit europäischer Gerichtsbarkeit unterwerfen müssen.
Baden-Württemberg war während der zähen Gespräche über die „Bilaterale III“ im Rahmen eigener Möglichkeiten aktiv geworden. Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne) unterzeichnete im Frühjahr 2024 eine Absichtserklärung zur Stärkung von Hochschulpartnerschaften mit dem Kanton Zürich. Für Aufmerksamkeit in der Wissenschaftswelt sorgte die Entscheidung der renommierten Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH), in einer neuen Außenstelle in Heilbronn ein „Lehr- und Forschungszentrum für verantwortungsvolle digitale Transformation“ zu etablieren und 2025 die ersten von 15 Professuren auszuschreiben.