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Manchmal kann er auch langsam
Stuttgart. Um 13.17 Uhr klingelt mein Handy. Es sei vielleicht etwas überfallartig, sagt die Dame am anderen Ende, aber Herr Oettinger habe jetzt Zeit: Ob sie mich durchstellen könne? „In sieben Minuten, dann bin ich im Büro“, sage ich, während ich meinen Schritt beschleunige.
In sechs Minuten sind elf Fragen beantwortet
Um 13.22 Uhr ist Oettingers Assistentin wieder am Apparat. Ob es jetzt gehe? Ich stehe vorm Lift, doch der will nicht kommen. Um 13.26 Uhr rufe ich zurück. Elf Fragen stehen auf dem Zettel. Oettinger warnt: Um fünf nach halb warte sein nächster Gesprächspartner. Um 13.32 Uhr sind wir durch. Zur allgemeinen Zufriedenheit. Im Günther-Oettinger-Tempo.
Nein, Er hat sich nicht geändert. Er steht immer noch unter Strom, er arbeitet immer noch 50 bis 60 Stunden pro Woche. Nur manchmal, da kann der Mann, der 14 Jahre lang die CDU-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg leitete, der fünf Jahre Ministerpräsident und zehn Jahre EU-Kommissar war, auch anders. Jetzt, da der Politikberater nur noch drei Aufsichtsräten und drei Beiräten angehört.
Eine halbe Stunde dauert unser zweites Gespräch. Das Thema liegt ihm am Herzen, das spürt man, auch wenn die Ereignisse 15 Jahre zurückliegen. 2009 präsentierte die zweite Föderalismuskommission, die Oettinger zusammen mit Peter Struck, dem Chef der SPD-Bundestagsfraktion führte, ihre Ergebnisse. Heraus kam eine Grundgesetzänderung, die das Handeln der Politik bis heute prägt: die Schuldenbremse.
Sie ist, wenn man so will, sein Vermächtnis, sein Auftrag an alle, die heute Politik machen. Zum Beispiel Winfried Kretschmann. Ihn solle ich doch fragen, wenn ich wissen wolle, warum die Schuldenbremse jetzt infrage gestellt werde. Kretschmann sei damals, als er in der Föderalismuskommission den Landtag vertrat, einer der größten Anhänger des Schuldenbremse gewesen. Nun fordert der grüne Ministerpräsident eine Reform, genauer: eine Lockerung. Anders sei die Transformation der Wirtschaft nicht zu stemmen.
Doch, antwortet Oettinger und widerspricht auch gleich der Behauptung, dass der Staat die dafür nötigen Wasserstoffleitungen finanzieren müsse. Diese Aufgabe sollten doch bitte schön Private übernehmen.
Noch nie habe der Staat so viel Geld zur Verfügung gehabt wie heute, trotzdem komme er damit nicht klar, schimpft Oettinger. Willy Brandt, Helmut Schmidt und Helmut Kohl hätten unter ganz anderen Umständen 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Bundeswehr steckt. Heute stemme man selbst zwei Prozent nicht mehr.
Stattdessen schaffe der Staat immer weitere Stellen und leiste sich solche Dinge wie die Rente mit 63. „Wir müssen mehr und länger arbeiten, wollen wir unseren Lebensstandard halten.“ Also mehr Wochenstunden und mehr Lebensjahre.
Wenn er so redet, meint man den Oppositionsführer im Bundestag zu hören. Und Günther Oettinger verhehlt auch nicht seine Sympathie für Friedrich Merz. Auch wenn er findet, dass Merz und Markus Söder die K-Frage untereinander klären sollen.
So weit hat Günther Oettinger es nie gebracht: vielleicht auch, weil er zwar blitzgescheit, aber nie volksnah war. Das Rastlose, der Staccato-Sprechstil, das bisweilen unfreiwillig Komische – es stand dem Aufstieg in die allerhöchsten Staatsämter vermutlich im Wege.
Doch Oettinger kann sich trösten: Auch andere Vertreter seiner Generation mussten feststellen, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Man denke nur an Roland Koch und Christian Wulff, die wie Oettinger dem sagenhaften „Andenpakt“ angehörten, einer Gruppe von Vertretern der Jungen Union, die sich einst anschickten, die Ämter der Republik im Sturm zu erobern.
Seine Aufgabe beim Reiten ist klar: „Ich bin der Möhreneinkäufer“
70 Jahre ist Oettinger im Herbst geworden. In einem Alter, wo andere sich längst zur Ruhe gesetzt haben, reist er von Berlin und Brüssel nach Paris und zurück, macht Station in Hamburg, wo sein Büro ist, und im Oldenburger Münsterland, wo die Pferde seiner Lebensgefährtin stehen. Dabei sind die Rollen klar verteilt: „Ich bin der Möhreneinkäufer.“
Den Höhenflug des VfB, die letzten Schritte seines Sohns auf dem Weg zum Master-Abschluss in Stuttgart verfolgt Oettinger bisweilen nur aus der Ferne. Der VfB werde auf jeden Fall nächstes Jahr europäisch spielen. Auch wenn das Pokalspiel in Leverkusen verloren ging. So gut, so offensiv habe er seine Mannschaft lange nicht gesehen. Zufrieden ist er auch mit seiner CDU. Sie werde nach dem Stand der Dinge nicht nur den nächsten Kanzler, sondern auch den nächsten Ministerpräsidenten stellen. Dafür sei Manuel Hagel sei trotz seiner Jugend bestens geeignet.