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Essay

Tarifverhandlungen: Man kann auch streiten, ohne zu mauern und zu streiken

Der Auseinandersetzung im öffentlichen Dienst zeigt, wie sehr die Tarifpartner in Ritualen gefangen sind, konstatiert Michael Schwarz in seinem Essay.

Mal streiken die Pflegerinnen, dann wieder die Busfahrer und dann das Flughafenpersonal.

dpa/Marius Bulling)

Was waren das noch für Zeiten, als das halbe Pfund Butter weniger als zwei Euro kostete und als man auch für andere Dinge des täglichen Bedarfs nicht so tief in die Tasche greifen musste. Deutschland ist in den vergangenen Jahren richtig teuer geworden. Und da hilft es auch nicht, auf die allgemeine Inflation zu verweisen, die sich auf 2,3 Prozent abgeschwächt hat. Gefühlt leert sich das Portemonnaie fast doppelt so schnell. Zumal ja noch andere Kostentreiber dazukommen, die Krankenversicherung etwa und die Miete.

Das ist die Perspektive, die bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst die Arbeitnehmer einnehmen. Auf der anderen Seite stehen Bürgermeister, Kämmerer und Klinikchefs, die nicht wissen, wie sie die Ausgaben stemmen sollen. Und die mit einer Tarifforderung konfrontiert werden, die nur auf den ersten Blick acht Prozent beträgt. Wenn sie, wie von Verdi gefordert, auch noch drei zusätzliche Urlaubstage gewähren, jedes Gehalt um mindestens 350 Euro anheben und diverse Zuschläge erhöhen, kommen Ausgaben zusammen, die das Volumen des Rekordabschlusses von 2023 übertreffen.

So weit wird es natürlich nicht kommen. Denn für Tarifverhandlungen gilt die Faustregel, dass man sich in der Mitte trifft. Und dennoch wird man den Eindruck nicht los, dass die Tarifauseinandersetzungen in letzter Zeit heftiger werden, dass das Verständnis für die Position des anderen von Mal zu Mal schwindet.

Nur ein Beispiel: Die Gewerkschaften begründen ihre Forderung nach drei zusätzlichen Urlaubstagen mit der Arbeitsverdichtung, die kaum mehr Luft zum Atmen lasse. Die Arbeitgeber drehen den Spieß um: Wenn die Beschäftigten länger frei machten, gehe das auf die Kosten derer, die gerade arbeiteten. Außerdem könne man nicht ohne Weiteres die Arbeitszeit senken, ohne zugleich Einschnitte bei der Daseinsvorsorge in Kauf zu nehmen – etwa in Form verkürzter Kita-Öffnungszeiten.

Auch beim Gehalt wird gegensätzlich argumentiert: Während die Gewerkschaften sagen, dass eine attraktivere Bezahlung dem Fachkräftemangel entgegenwirken könnte, antworten die Kommunen, sie hätten schon alles probiert. Bestimmte Stellen seien schlichtweg nicht zu besetzen, weil es keine Bewerber gebe.

Das sähe selbstverständlich anders aus, würde Geld keine Rolle spielen. Doch davon kann angesichts der Milliardenverschuldung der öffentlichen Hand keine Rede sein. Und auch im gewöhnlich so stabilen Südwesten hat sich einiges geändert. Drängten die baden-württembergischen Kommunen 2023 noch auf einen schnellen Abschluss, gehören sie inzwischen auch zu den Bremsern.

Immerhin fordert hierzulande niemand eine Nullrunde. Irgendein Angebot werden Bund und Kommunen am kommenden Freitag, Samstag, Sonntag oder Montag schon auf den Tisch legen, nachdem sie in der ersten und zweiten Tarifrunde mal wieder gemauert haben. Und am Ende eines langen Wochenendes – 14. bis 16., eventuell 17. März – könnte mal wieder ein Kompromiss stehen. Eine Einigung, mit der alle Beteiligten leben können.

Denn das ist bei aller Anspannung, bei den zahllosen Warnstreiks in Kitas, bei der Müllabfuhr, in den Kliniken und bei Bus und Bahn, doch das Beruhigende: dass alle Beteiligten sich an bestimmte Spielregeln halten, dass man bei allem Streit weiß, was man aneinander hat. Das unterscheidet diese Auseinandersetzung von anderen, die derzeit auf dieser Welt geführt werden und bei denen nicht nur die Fetzen fliegen, sondern auch Regeln außer Kraft gesetzt werden, die als unumstößlich galten.

Tarifautonomie gehört zu den Dingen, die für eine Demokratie unverzichtbar sind. Sie schafft Waffengleichheit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sie sorgt dafür, dass die Beschäftigten an der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben und dass es auch in rauen Zeiten zu tragbaren Kompromissen kommt.

Wichtig ist jedoch, dass alle Beteiligten beim Blick auf die Interessen ihrer Mitglieder nicht das große Ganze auf dem Auge verlieren. Selbstverständlich dürfen Gewerkschaften ihre Mitgliederentwicklung im Blick haben, der Streiks in der Regel gut tun. Und selbstverständlich dürfen auch die Arbeitgeber taktieren.

Doch man kann sich durchaus auch mal ein Beispiel an anderen nehmen. Die Deusche Bahn und die Eisenbahnergewerkschaft haben sich im Februar ganz ohne Streik und mit nur wenig Streit geeinigt. Am Ende stand ein Tarifabschluss im Gesamtvolumen von achtbaren 7,6 Prozent.

Einen Ticker zu den aktuellen Entwicklungen der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst finden Sie hier.

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