Essay

Landtag betritt juristisches Neuland bei der Richterwahl

Die Wahl Rami Suliman, Vorsitzender der israelitischen Religionsgemeinschaft Baden, bedeutet zugleich, dass die AfD in Zukunft kein festes Mitglied mehr am Verfassungsgerichtshof stellt, nur noch einen Stellvertreter. Dagegen wollen die Rechtspopulisten vor eben diesem Gericht klagen.

Rami Suliman wurde am Mittwoch zum neuen Verfassungsrichter gewählt - auf Vorschlag von Grünen, CDU, SPD und FDP.

dpa/Sebastian Gollnow)

Das war keine gute Woche für die AfD. Am Montag unterlag die Partei vor dem Oberverwaltungsgericht Münster in der Frage, ob der Verfassungsschutz die AfD weiter als Verdachtsfall beobachten darf. Am Dienstag kassierte ihr prominenter Rechtsausleger Bernd Höcke eine Geldstrafe für die Verwendung der Nazi-Parole „Alles für Deutschland“.

Und am Mittwoch wählte der Landtag auf Vorschlag von Grünen, CDU, SPD und FDP einen neuen Richter für den Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg: Rami Suliman, Vorsitzender der israelitischen Religionsgemeinschaft Baden. Dabei hätte die AfD den Posten bekommen müssen, wenn sich die Konkurrenz an eine langjährige Praxis gehalten hätte. Es handelte sich schließlich um eine Nachbesetzung; im Januar war eine AfD-Richterin gestorben.

Pech gehabt? Das ist noch nicht raus. Alle drei Fälle dürften ein juristisches Nachspiel haben. Wer weiß, vielleicht setzt sich die AfD noch durch. Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand. Das wissen auch diejenigen, die diesmal die Oberhand behielten.

Darüber hinaus stellt sich eine andere Frage: In welchen Zustand befindet sich unsere Demokratie, wenn ein Teil der politischen Auseinandersetzung in Gerichtssäle verlegt wird, wenn eine Partei, die einen großen Teil der Wählerschaft repräsentiert, ausgegrenzt wird, ja, vielleicht ausgegrenzt werden muss? Muss man die AfD mit allen Mitteln stoppen? Die Gegner der AfD sagen ja. Sie argumentieren: Die Demokratie geht vor die Hunde, wenn wir sie ihren Feinden überlassen.

Dafür, dass die AfD in diese Ecke gestellt wird, hat sie selbst gesorgt. Da war etwa das Potsdamer Treffen, auf dem Martin Sellner seine Remigrationsthesen ausbreiten durfte. Da sind die beiden Spitzenkandidaten für die Europawahl, von denen der eine Geld von Russland genommen und der andere Geheimnisse an China verraten haben sollen.

In der AfD haben zum Teil Leute das Sagen, die mit Demokratie, mit Meinungsfreiheit, mit Menschenrechten wenig am Hut haben. Doch noch scheinen sie, zumindest in Baden-Württemberg, in der Minderheit zu sein. Diesen Eindruck konnte man zumindest beim Landesparteitag im März in Rottweil gewinnen. Die Mehrheit will die Uhr zurückdrehen, etwa, wenn es um Atomkraft und Europa geht. Sie scheint sich aber nicht nach einer Diktatur zu sehnen.

Oder haben alle nur Kreide gefressen? Wenn es die AfD mit der Demokratie ernst meinen würde, dann müsste sie doch Figuren wie Maximilian Krah, Petr Bystron und Bernd Höcke in die Schranken weisen. Dann müsste es heißen: Wenn ihr euch noch einmal daneben benehmt, dann schmeißen wir euch raus.

Das scheinen die gemäßigteren Kräfte nicht zu vermögen. Vielleicht, weil der Druck des offiziell abgeschafften Flügels zu groß ist. Vielleicht, weil die Parteistrategen meinen, die Krawallmacher zu brauchen, um ultrarechte Wählerschichten zu erschließen.

Doch dann muss sich die AfD nicht wundern, wenn sie von den „Parteien des demokratischen Verfassungsbogens“, wie sich Grüne, CDU, SPD und FDP bezeichnen, geschnitten wird. Gleichzeitig darf nicht übersehen werden, dass Wahlkampf ist. Und dass man sich in solchen Zeiten auch mit klarer Kante profiliert.

Am Mittwoch verließ die AfD-Fraktion geschlossen den Saal, nachdem ihr Antrag, die Wahl zu vertagen, gescheitert war. Dasselbe Schauspiel wiederholte sich bei der Vereidigung. So macht man sich keine Freunde. Für FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke zeigt dies, dass in der AfD ein „tief sitzender Antisemitismus herrscht“. Da mag er bei manchem Recht haben.

Gleichzeitig herrscht aber auch eine tief sitzende Abneigung der anderen Fraktionen, der AfD auch nur einen Millimeter entgegenzukommen. Stattdessen bewegen sie sich mit ihrem Wahlvorschlag möglicherweise auf juristisch dünnem Eis.

Zwar hatte der Verfassungsgerichtshof im Februar dem Landtag zugestanden, AfD-Vertreter – damals ging es um die Landeszentrale für politische Bildung – abzulehnen. Mit ihrem Vorgehen, einen Gegenkandidaten zu präsentieren, betreten Grüne, CDU, SPD und FDP jedoch Neuland. Diesmal könnten die Minderheitenrechte der AfD tatsächlich verletzt worden seien. Sollte das Gericht zu dieser Auffassung kommen, würde sich die AfD die Hände reiben. Und die anderen müssten sich die Frage gefallen lassen, ob sie die Schraube nicht doch überdreht haben.

Nutzen Sie die Vorteile unseres

Premium-Abos. Lesen Sie alle Artikel aus Print und Online für

0 € 4 Wochen / danach 189 € jährlich Nachrichten aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren