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Interview

Landesdatenschutzbeauftragter Tobias Keber: „Sie wechseln keinen intakten Reifen bei voller Fahrt“

Seit bald zwei Jahren ist Tobias Keber Landesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit in Baden-Württemberg. Seine Behörde kontrolliert und berät die Verwaltung ebenso wie Unternehmen. Der Jurist selber kämpft vehement für ein Miteinander von Datennutzung und Datenschutz, denn die seien Geschwister.

Tobias Keber ist seit dem 1. Juli 2023 Landesdatenschutzbeauftragter von Baden-Württemberg.

Achim Zweygarth)

Staatsanzeiger: Sie sprechen davon, dass dem Datenschutz gegenwärtig kein angenehmer Wind entgegenwehe. Wie kommt das?

Tobias Keber: Da gibt es leider verschiedene Faktoren. Wir müssen berücksichtigen, wie technologischer Fortschritt zunehmend von künstlicher Intelligenz angetrieben wird, und künstliche Intelligenz ist auf Daten angewiesen. Das ist zunächst nachvollziehbar. Zugleich hat sich aber diese große These festgesetzt, die Datenschutz eng mit zu viel Bürokratie verknüpft und deshalb Innovationen ausgebremst werden.

Ist das was dran?

Bürokratie ist hochpolitischer Begriff geworden. Da kann ich nur empfehlen, viel genauer hinzuschauen, wo Datenschutz überhaupt bürokratisch ist. Nehmen Sie die Klagen über das Thema Protokollierung. Die dient dazu, ungerechtfertigte Zugriffe aufzudecken und Lücken zu identifizieren. Daran ist nichts falsch oder verzichtbar. Im Gegenteil: Das schafft Sicherheit.

Handwerk oder Verwaltung stöhnen aber.

Das stimmt, aber es gibt doch viele Hilfestellungen. Für Gemeinden haben wir schon 2019 erstmals eine Informationsbroschüre aufgelegt, um Unterstützung anzubieten. Wir bieten auch kostenlose Schulungen in unserem Bildungszentrum Datenschutz und Informationsfreiheit Baden-Württemberg an. Machen wir es an einem Beispiel konkret: Ein Verarbeitungsverzeichnis dient dazu, überhaupt klar zu machen, welche Daten verarbeitet und welche Daten ausgespielt werden. Da wird gerade Überflüssiges identifiziert und die Arbeit wird vereinfacht statt komplizierter.

Haben Sie das Gefühl, bei politischen Entscheidern durchzudringen, wenn sie so argumentieren?

Ich höre jedenfalls nicht auf, auf den Sinn des Schutzes der persönlichen Freiheit – nichts anderes ist Datenschutz – hinzuweisen. Gerade in einer hochtechnisierten Gesellschaft ist informationelle Selbstbestimmung von zentraler Bedeutung. Datenschutz ist ein sehr modernes europäisches Grundrecht, das in der EU-Grundrechte-Charta verankert ist. Datenschutz, die Freiheit des Menschen, souverän über die Nutzung der höchstpersönlichen Daten entscheiden zu können, gehört zum Kern europäischer Werte. Wir müssen Verantwortlichen in der Wirtschaft und den Behörden helfen, gerade in der extrem schnelllebigen und datenintensiven digitalen Welt die Grundrechte zu wahren.

Das heißt?

Ich verstehe unsere Aufgabe so, dass Datenschutz und Innovation zusammen gelingen müssen, denn das eine ohne das andere geht zulasten der Menschen. Datennutzung und Datenschutz sind Geschwister. Wird eines bevorzugt, das ist wie in einer Familie, beschwert sich das andere. Sie können streiten, aber sie gehören zusammen.

Um im Bild zu bleiben, werden die Landesbeauftragten nach den Vorstellungen der künftigen Bundesregierung jetzt aber Stiefgeschwister. Laut Koalitionsvertrag sollen ihnen alle Aufsichtsrechte im Bereich der Wirtschaft entzogen und diese beim Bund gebündelt werden.

Da ist die Semantik wichtig und die Entwicklung dieser Position. Ursprünglich, nach den Fachverhandlungen zur Digitalisierung, ging es um Zentralisierung. Jetzt wird eine Bündelung von Kompetenzen und bestimmten Aufgaben angestrebt. Da stellt sich doch die spannende Frage, was genau damit gemeint ist.

Was sollte in Ihren Augen damit gemeint sein?

Das kann ich Ihnen nicht sagen, aber es ist deutlich zurückhaltender formuliert als in Vorversionen des Koalitionsvertrags. Aber auch eine begrenzte Bündelung der Datenschutzaufsicht für die Wirtschaft beim Bund halte ich für den falschen Weg. Begründet wird das mit einer angeblich bestehenden Uneinheitlichkeit der Auslegungspraxis der Landesdatenschutzbehörden. Wo genau ist die? Ich bin sicher, nach meinen Erfahrungen und aus der Beratungspraxis heraus, dass wir vor Ort sein und hier von Stuttgart aus gerade für kleine Unternehmen oder Startups zuständig sein müssen. Nur wir wissen, wie die Uhren hier ticken. Die Beratung vor Ort in den bestehenden Strukturen ist unsere Stärke. Eine Beratung in Menge und Qualität, wie wir sie leisten, wird man bei der Bundesbeauftragten schon aus Kapazitätsgründen nicht leisten können. Um den angedachten Systemwechsel in ein Bild zu fassen: Sie wechseln doch auch keinen völlig intakten Reifen am Auto. Und sie tun es schon gar nicht bei laufender Fahrt.

Wie stehen Sie zum Plan der künftigen Bundesregierung, insbesondere mit Blick auf kleine und mittlere Unternehmen Verpflichtungen zur Bestellung von Betriebsbeauftragten für den Datenschutz abzuschaffen?

Das ist auch so eine uralte Idee, die immer wieder auftaucht, aber keine Verbesserung bringt, ganz im Gegenteil. Man muss sich doch die Praxis anschauen. Die Beauftragten können verschwinden, ihre Aufgaben bleiben. Sie sind unsere Telefonleitung in die Unternehmen. Sie abzuschaffen würde zu deutlich mehr statt weniger Aufwand führen. Und den Unternehmen selber überhaupt nicht helfen, denn die Datensicherheit würde abnehmen. Einen Brand im Haus verhindern Sie nicht dadurch, dass sie den Feuerlöscher abschaffen.

Baden-Württemberg war seit Anfang der 1980er-Jahre mit der Bestellung von Ruth Leuze zur ersten Datenschutzbeauftragten bundesweit immer stolz auf diese Vorreiterrolle. Wie konnte es geschehen, dass die Bedeutung von Datenschutz über die Jahre abgenommen hat?

Das hat wieder mehrere Faktoren. Der Einsatz bestimmter Techniken ist sehr praktisch. Die Nutzung selbst datenintensiver Dienste bringt viele Vorteile. Das muss man einfach anerkennen. Technik kann Vorteile bringen, das ist gut. Die Risiken treten jedoch gerne in den Hintergrund, leider aber eben auch dann, wie Risiken relativ einfach vermieden werden können. Diese Ich-habe-nichts-zu-verbergen-Erzählung hat auch früher schon gezogen. Inzwischen ist nur die Bedrohung eine ganz andere, zum Beispiel, weil sich Biografien verändern und das Internet nichts vergisst. Es ist auch ein Unterschied, ob ein Arbeitgeber allein Daten über einen langjährigen Mitarbeiter sammelt oder ob diese Daten unter vielen Arbeitgebern ausgetauscht werden. Beschäftigtendatenschutz ist für uns in Europa zentral.

Wie kann der oder die Einzelne gegenhalten?

Es ist geradezu unsere Kernkompetenz, in den Vordergrund zu rücken, was Bürgerinnen und Bürger mit teilweise sehr einfachen Dingen selbst gestalten können. Wir arbeiten auch an Kulturtechniken des Digitalen, das gehört zu unseren gesetzlichen Aufgaben. Wir klären auf, sensibilisieren und organisieren jährlich eine KI-Woche für Fachleute und Bürgerschaft. Wir befassen und auch mit Alltagsfragen: Prüfen Sie sich, wie viele USB-Sticks oder Festplatten Sie zu Hause herumliegen haben. Sind die verschlüsselt? Wissen Sie überhaupt, welche Daten drauf sind? Wie schaut ein Mail-Postfach aus? Kann man da nicht das eine oder andere auch mal löschen? Oder, um nochmals zur Wirtschaft zu kommen, werden wirklich alle vorhandenen Daten gebraucht? Die, die nicht mehr gebraucht und gelöscht werden, können Hacker übrigens auch nicht missbrauchen.

Das Gespräch führte Johanna Henkel-Waidhofer

Datenlöschungen im Blick

Landesdatenschutzbeauftragter Tobias Keber und seine unabhängige Behörde haben das Jahr 2025 zum Jahr der „Digitalen Kehrwoche“ erklärt. Nach dem „urschwäbischen Prinzip“ solle über Löschungen diskutiert und informiert werden. „Wir wollen die Menschen dafür sensibilisieren, wie viel Datenmüll vergessen herumliegt“, sagt der Landesbeauftragte und freut sich, dass die Idee nicht nur in die zuständigen EU-Gremien eingebracht, sondern auch bereits auf Interesse gestoßen ist: 32 Aufsichtsbehörden in Europa machen mit.

Tobias Keber (rechts) und einer seiner Mitarbeiter im Gespräch mit der Journalistin Johanna Henkel-Waidhofer.

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