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Essay

Kürzer arbeiten, mehr leisten? Die Kommunen sind skeptisch

Bei den Tarifverhandlungen geht es auch darum, ob und wie die Arbeit in Zukunft bewältigt werden kann, wie Michael Schwarz in seinem Essay erläutert.

Für die Erzieherinnen hat Verdi schon zusätzliche freie Tage erstritten. Nun sollen alle kommunalen Beschäftigten in diesen Genuss kommen.

dpa/photothek/Thomas Imo)

Nein, reich wird man nicht im öffentlichen Dienst. Das hat auch niemand gesagt. Doch leben will man schon davon, nach Möglichkeit mit Familie. Da kann es dann schnell eng werden, insbesondere, wenn man in Teilzeit arbeitet. Respektive „frau“, denn anders als in der freien Wirtschaft sind die Frauen in der Überzahl: Sie stellen 58,3 Prozent der Beschäftigten.

Dennoch entscheiden sich immer mehr dafür, die Arbeitszeit zu reduzieren. Lag die Teilzeitquote 2020 noch bei 33,4 Prozent, ist sie seither auf 35,1 Prozent gestiegen. Mehr als ein Drittel der Beschäftigten verzichtet lieber auf Geld als auf Freizeit. Unter anderem aus gesundheitlichen Gründen und weil der finanzielle Anreiz so groß nicht ist.

Das ist die Ausgangslage für eine Tarifrunde im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen, in der es auch ums Gehalt geht. Aber eben nicht nur. Verdi und der Beamtenbund fordern mehr Freizeit und Zeitsouveränität – also die Freiheit, selbst zu entscheiden, wann man arbeitet.

Dabei wissen die kommunalen Arbeitgeber oft nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht, weil sie immer mehr Aufgaben mit immer weniger Personal erfüllen sollen. Sie weisen das Ansinnen der Gewerkschafter nach drei zusätzlichen freien Tagen strikt zurück. Stattdessen möchten sie die Arbeitszeit von 39 auf 42 Stunden erhöhen – jedenfalls für alle, die dies wünschen.

Für Diskussionen ist also gesorgt, wenn sich die kommunalen Arbeitgeber und die Gewerkschaften ab Januar gegenübersitzen. Zumal eine Besonderheit dazukommt: Zwischen die zweite und die dritte Verhandlungsrunde fällt die Bundestagswahl.

Das heißt, dass auf der Strecke der Bund als Verhandlungspartner abhandenkommen könnte. Dabei war es in der Vergangenheit oft der Bund, der den Weg zu einer Einigung ebnete, weil er aufgrund seines geringen Personalkostenanteils nicht so knapp kalkulieren muss.

Wo könnte die Kompromisslinie liegen? Darüber lässt sich einen Monat vor Beginn der Verhandlungen allenfalls spekulieren. Klar ist jedoch, dass die Situation eine völlig andere ist als vor zwei Jahren. Damals war Corona gerade zu Ende, während der Krieg in der Ukraine ins zweite Jahr ging. Die Preise stiegen, und die Arbeitnehmer hatten noch ein Argument auf ihrer Seite: Sie hatten während der Pandemie den Laden am Laufen gehalten, viele mit großem persönlichen Einsatz.

Entsprechend üppig fiel der Tarifabschluss aus: 3000 Euro abgaben- und steuerfrei, dazu im Schnitt elf Prozent mehr Geld. Die Gewerkschaften jubelten über den besten Tarifabschluss seit 50 Jahren.

Und heute? Da spiegelt sich die wirtschaftliche Lage schon in der vergleichsweise moderaten Verdi-Forderung von acht Prozent wider. Die Inflation hat sich abgeschwächt. Gleichzeitig gehen in der freien Wirtschaft zahlreiche Arbeitsplätze verloren. Und die Krise kommt allmählich auch bei den Kommunen an, selbst in Städten wie Stuttgart, die lange aus dem Vollen schöpfen konnten.

Trotzdem dürften viele Arbeitgeber im Südwesten bereit sein, den Gewerkschaften entgegenzukommen. Selbst wenn sich die Kämmerer Sorgen machen, ganz so groß wie in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen sind diese nicht. Gleichzeitig tun sich die Kommunen zwischen Main und Bodensee schwer mit der Stellenbesetzung. Insbesondere, wenn es um die für öffentliche Hand so vitale Digitalisierung geht.

Also gibt es neben Zündstoff auch Verhandlungsmasse. Zumal die Interessen sich ja nicht notwendigerweise widersprechen. Es muss ja nicht jeder 42 Stunden arbeiten – aber was spräche aus Gewerkschaftssicht eigentlich dagegen, es jenen zu ermöglichen, die es wünschen? Und was die zusätzlichen freien Tage angeht – das ist doch für die Arbeitgeber immer noch besser als ein hoher Krankenstand oder immer mehr Teilzeit. Vielleicht kehren ja auch Beschäftigte in Vollzeit zurück, wenn der Job nicht mehr so stressig ist.

Letztlich könnten beide Seiten profitieren, wenn sie sich kompromissbereit zeigen. Am Horizont stehen ohnehin KI und das Ausscheiden der Babyboomer. Und vielleicht eines Tages die Vier-Tage-Woche.

Dazu kommen die Krisen dieser Welt und ihre Folgen, etwa in Form von Flüchtlingen. Die Zeiten werden nicht einfacher. Insbesondere für die Kommunen, die nur hoffen können, dass ihnen nicht noch mehr Aufgaben aufgehalst werden. Und dass die Politik endlich ernst macht, was den Bürokratieabbau angeht.

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