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Kretschmann zu Corona-Entscheidungen: „Es wäre nicht ehrlich, sich zu entschuldigen“
STUTTGART. 89 Sachverständigen und zwölf Verbände wurden bereits angehört, insgesamt 85 Stunden beraten, 102 Vereinigungen und Organisationen sind zu Stellungsnahmen aufgefordert, zwei Minister waren zu Gast: Insgesamt wünscht sich Alexander Salomon (Grüne), der Vorsitzende der Landtags-Enquête zur Krisenfestigkeit der baden-württembergischen Gesellschaft mehr öffentliche Aufmerksamkeit. „Wir machen die Arbeit nicht für uns, sondern für die Bürgerinnen und Bürger“, sagt der Karlsruher Abgeordnete.
Am Freitag war Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) erstmals geladen. Und nach zwei Stunden stand fest, dass er nochmals kommen wird, etwa um mit ihm über die Risikobereitschaft von Politiker zu diskutieren, über die Verunsicherung durch zum Kulturkampf stilisierte Fragen oder dem Dilemma im Kampf gegen die Erderwärmung.
Kretschmann: Angst war in Corona ein schlechter Ratgeber
Seit inzwischen mehr als einem Jahr tagen Abgeordnete und externe Fachleute. Es geht um sehr unterschiedliche Handlungsfelder, um Vorsorge und Bewältigung, um die Rolle der Behörden vor Ort, bei Flutkatastrophen wie in Braunsbach zum Beispiel, um Information und Eigenverantwortung, um die Definition von Krise überhaupt. Kretschmann erläuterte, dass und wie Politiker bereit sein müssten, ins Risiko zu gehen. Gerade in der Pandemie sei Angst immer ein schlechter Ratgeber gewesen.
Durch Zaudern und Zögern hätte wichtige Zeit verlorengehen können. Allerdings würden Fehler mehr bestraft als innovative Vorschläge belohnt: „Wir sind aber an Belohnung interessiert aus einem einfachen Grund: Wir wollen wiedergewählt werden, denn sonst verlieren wir unseren Gestaltungsspielraum.“
Kretschmann habe nicht eigensinnig gehandelt
Einen Grund, Abbitte zu leisten für Entscheidungen während der Pandemie, sieht der Regierungschef nicht. „Es wäre nicht ehrlich, sich zu entschuldigen“, sagt der Grüne, weil er auch heute im Rückblick „mit dem Wissen von damals so gut wie alles genauso wieder machen würde.“ Zwar sehe er heute manches anders und habe etwa die psychischen Folgen von Schulschließungen „unterschätzt“, er habe aber weder leichtfertig gehandelt noch eigensinnig oder wider den Rat von Wissenschaftlern. Schnelles Handeln sei gefragt, wer aber zu schnell handele, das habe die Heizungsdebatte gezeigt, verliere die Zustimmung der Bevölkerung.
In einer besonderen Verantwortung sieht der Ministerpräsident in diesem Zusammenhang die klassischen Medien, vor allem die Presse und ihre Berichterstattung. Nachdem er die Qualitätsmedien für ihre Arbeit in der Pandemie ausdrücklich lobt, spricht er aber auch von seinen Lehren aus zwölf Regierungsjahren. „Die heilige Dreifaltigkeit der Presse“ heiße Konfliktorientierung, Defizitorientierung, Fehlerorientierung. Auch deshalb sei es „nicht so einfach“, von Politikern in schwierigen Situationen mehr Risikobereitschaft zu verlangen.
Viel Lob formuliert er nicht nur für die Zivilgesellschaft und ihr ehrenamtliches Engagement, sondern auch für den Staat und speziell die kommunale Verwaltung. Er sei am Tag nach der Flugkatastrophe in Braunsbach gewesen und habe sich, angesichts der Lage und der Organisation vor Ort, gedacht: „Verdammt, wir sind einfach ein wohlgeordnetes Gemeinwesen.“ Anfang 2024 will die Enquête Handlungsempfehlungen vorlegen.
Quelle/Autor: Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer