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Kretschmann soll Brief seines Amtschefs in der Endfassung nicht gekannt haben
Stuttgart. In einem Krisengespräch zu Wochenbeginn versuchen die Grünen, die erheblichen Irritationen rund um das eigentlich bereits beschlossene Antidiskriminierungsgesetz des Landes aus der Welt zu schaffen. „Wir haben schon immer gut daran getan, im persönlichen Gespräch gemeinsam Lösungen zu erarbeiten, wenn wir unterschiedlicher Auffassung waren“, sagt Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz auf Anfrage des Staatsanzeigers.
Es geht nicht nur darum, ein vom CDU-geführten Innenministerium erarbeitetes und schon vor zehn Monaten im Kabinett beschlossenes Vorhaben umzusetzen. Es geht mittlerweile auch um die Zukunft des wichtigsten Beraters von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, des Chefs der Staatskanzlei, Florian Stegmann (alle Grüne). Fraktionschef Schwarz ist deshalb eine zentrale Figur, weil Stegmann ihn bereits Ende August brieflich aufgefordert hatte, „auf die Umsetzung des Koalitionsvertrags in diesem Punkt zu verzichten“. Stegmann beschreibt seine Funktion in dem dreiseitigen Schreiben als die eines „politischen Regierungsbeauftragter“, der über den Koalitionsvertrag zu wachen habe. Und er argumentiert mit „reiflicher und tiefer Überzeugung“, die ihn zu diesem Schluss habe kommen lassen, und mit der anhaltenden Kritik unter anderem von „Unternehmensvertretern, Selbstständigen und Beschäftigten“.
Die grüne Landtagsfraktion ist massiv verärgert, sowohl wegen der Tonlage als auch wegen „inhaltlicher Fehler“ im Brief des „Kanzleichefs“, wie ein Abgeordneter Stegmann nennt. Bestimmte Einzelheiten des Gesetzentwurfs würden wissentlich falsch dargestellt. Dabei war Stegmann schon in den Grünen-Fraktionsvorstand geladen, wo man ihm, so wird berichtet, noch einmal deutlich gemacht habe, dass das Gesetz des Landes bestehende Lücken in der Bundesgesetzgebung schließe und deshalb gerade nicht die Wirtschaft, sondern vor allem die Verwaltung betroffen sei. Einzelne Abgeordnete fordern eine Versetzung Stegmanns unter anderem mit dem Argument, er habe „seinen Kompetenzrahmen gesprengt“ und eine weitere Zusammenarbeit sei unmöglich.
Kretschmann wurde in der moldawischen Hauptstadt Chişinău kalt erwischt von der Aufregung daheim. Bekannt ist, dass die Endfassung des Schreibens nur ein sehr kleiner Kreis von Mitarbeitern kennt, nicht aber der Ministerpräsident selbst. Grünen-Abgeordnete werfen Stegmann vor, sein Brief habe den Weg in die Öffentlichkeit über das Staatsministerium gefunden, in Abwesenheit des in Rumänien und Moldawien weilenden Regierungschefs. Der musste nach der Veröffentlichung, das Gesetz sei beerdigt, zurückrudern und erklärte, er stehe weiter zu den Plänen.
„Wir stellen uns die Frage, was wir auf die Sonntagsreden zum Bürokratieabbau noch geben können“, erklärt Oliver Barta, der Hauptgeschäftsführer der Unternehmer Baden-Württemberg (UBW). Kretschmann stelle die „kluge und richtige Entscheidung, das Gesetz nicht weiterzuverfolgen umgehend wieder infrage“, dies erschüttere das Vertrauen in die Politik. Der Verzicht auf dieses „überflüssige Gesetz“ sei ein Kernanliegen der Wirtschaft und der kommunalen Verbände.
CDU-Landes- und Fraktionschef Manuel Hagel wissen die Kritiker an ihrer Seite. „Als Union stehen wir für ein Land, in dem Verwaltung, Politik und Wirtschaft vertrauensvoll miteinander umgehen und arbeiten“, so Hagel auf Anfrage. Gleichzeitig müsse es doch heute „mehr denn je darum gehen, Bürokratie wirksam abzubauen und nicht immer neue Bürokratie zu schaffen“. Zu diesen beiden wichtigen Zielen „stand aus unserer Sicht das Gleichbehandlungsgesetz schon immer in einem Widerspruch, und wenn unser grüner Koalitionspartner nun auf das Gleichbehandlungsgesetz verzichten möchte und auf unseren Kurs einschwenkt, finden wir das vollkommen richtig“. Das Staatsministerium verweist auf Nachfrage auf die zwei Sätze vom Dienstag: „Wir stehen weiter darüber im Austausch, wie wir die Ziele des Gleichbehandlungsgesetzes wirksam und unbürokratisch erreichen.“